Wer bei Lauren Wildbolz zu Gast ist, fühlt sich wohl. Die grossgewachsene Frau ist eine warmherzige Gastgeberin. Es ist nicht verwunderlich, dass sie es war, die das erste vegane Restaurant der Schweiz eröffnet hat. Die damals noch kleine vegane Szene hatte einen neuen Treffpunkt. Das «Vegan Kitchen and Bakery» ist zwar schon lange Geschichte. Dafür hat Lauren in der Zwischenzeit mehrere Kochbücher herausgegeben - eines für schwangere Mütter - zahlreiche Kochkurse unterrichtet, ein erfolgreiches Catering names Future Cuisine auf die Beine gestellt und sie berät Restaurants bei der Umstellung auf die pflanzenbasierte Küche.
Das Rezept für die Kronenhalle
So hat sie beispielsweise dem Chefkoch der Kronenhalle spontan einen persönlichen Brief geschrieben, als sie dort das vegane Stroganoff bestellt hatte. Es schmeckte ihr nicht besonders gut und sie fand, es sei keine gute Werbung für die pflanzliche Küche. Sie lacht, als sie die Geschichte erzählt. Tatsächlich wurde das Rezept dank ihr verändert. Eines der grössten Projekte bisher war das Maison Raison während des ersten Lockdowns. In wenigen Wochen krempelte sie die gesamte Karte des Maison Blunt um, organisierte Bio-Lieferanten und gestaltete ein neues Konzept. Die Corona-Zeit habe sie finanziell durchgeschüttelt, sagt sie rückblickend. Keine leichte Zeit für Unternehmerinnen, besonders in der Gastronomie. «Ich war ehrlich gesagt verzweifelt, von einem Tag auf den anderen hatte ich kein Einkommen mehr.»
Doch sie gab nicht auf. Mit der Plant Box erfand sie während den schwierigen Monaten ein innovatives Konzept, um die vegane Küche in die Haushalte zu bringen. Dazu verschickte sie per Velokurier eine grosse Box mit Gemüse, Kräuter, und Flocken, ergänzt mit japanischen Umeboshi oder Dulse-Algen. Per Video konnte, wer wollte, sich die Köchin und Künstlerin zu Hause in die Geheimnisse der veganen Küche einweihen lassen. Nach der Pilotphase, in der die Plant Box-App entstand und unerwartet ein neues Startup daraus erwuchs, ruhte das Projekt vorerst. Bereits sind mögliche Kooperationspartner jedoch in Sicht.
Veganes Essen grenzt niemanden aus
Lauren Wildbolz gelingt es, nicht als fundamentalistische Körnlipickerin wahrgenommen zu werden, die anderen vorschreibt, wie sie zu leben haben. Sie will die vegane Küche mit Lebenslust verbinden, kocht 14-gängige Menus und serviert Champagner dazu.
Traditionelle Produkte aus Tofu, Tempeh oder Seitan, die Fleischprodukte imitieren, findet Wildbolz okay, weil sie an der Zweitausend Jahre alten Geschichte der buddhistischen Kloster anknüpfen, wo ein gewaltfreies Leben auch in den Klosterküchen praktiziert wurde. Neue molekulare oder zellulare lehnen sich an diese Tradition an, sie hat kein Problem mit den Fleischimitaten.
«Warum sollte jemand, der aus ethischen Gründen kein Fleisch isst, aber den Biss und den Geschmack davon vermisst oder seine Kochgewohnheiten nicht umstellen mag, nicht darauf zurückgreifen? Lauren Wildbolz sieht diese Debatte locker. «Veganes Essen grenzt niemanden aus, sondern schliesst alle ein», lautet ihr Credo seit Jahren.
Für Wildbolz ist es ein Erfolg, dass der Veganismus in den letzten Jahren auch in der Schweiz salonfähig geworden ist. Veganer verkörpern – auch dank ihr – nicht mehr nur das Image von radikalen Bekehrern. Mittlerweile hat Lauren Wildbolz mit Auftritten in Fernsehen und Radio auch schon nationale Bekanntheit erlangt. Für viele Menschen ist sie eine Inspiration dank den neuen kulinarischen Geschmackserlebnissen ihrer Küche.
Futuristisch unterwegs
Mit ihrer Küche möchte sie zeigen, dass es möglich ist, auch ohne tierische Produkte lustvoll zu essen. Damit sollen andere zum Nachahmen animiert werden. Sich auch nur ab und zu vegan zu ernähren, sei bereits ein erster Schritt.
Es geht ihr aber um mehr, als «nur» um den Veganismus. Letztlich möchte Lauren Wildbolz den Konsum in seiner Gesamtheit auf den Tisch bringen. «Die Probleme sind nicht alle gelöst, wenn wir keine tierischen Produkte mehr konsumieren.» Ihre Vision ist es, Menschen dazu zu bringen, ihren Konsum zu hinterfragen und bewusstere Kaufentscheidungen zu treffen – oder ganz auf gewisse Produkte zu verzichten. Lauren Wildbolz ist überzeugt, dass die meisten Konsumgüter zu günstig sind. Damit verringere sich auch deren Wertschätzung. Auf Food Waste, das Wegwerfen von noch essbaren Lebensmitteln, aufmerksam zu machen, ist ihr ein grosses Anliegen.
Als Abschlussarbeit ihres Bachelorstudiums an der Hochschule der Künste in Zürich hat Lauren Wildbolz während zweier Wochen am Sihlquai ein temporäres Restaurant betrieben, in dem sie täglich für 50 bis 70 Personen kostenlos zu Mittag kochte – zubereitet nur mit Lebensmitteln aus der Abfalltonne. Sogar die Möbel stammten aus dem Müll.
Diese Zeiten sind längst vorbei, heute sind ihre besten Kund:innen Grossbanken oder Hochschulen für die sie grosse Bankette und Caterings ausrichtet. Foodwaste ist aber auch heute noch ein No-Go für sie.
Vorbild statt Sittenwächterin
In der Schwangerschaft, in der viele Mütter – auch jene, die sich nicht vegan ernähren – Eisenmangel haben, hatte Lauren sehr gute Werte. «Die Ärzte waren überrascht.» Geholfen hat die Spirulina-Alge. Geht es um für sie wichtige Themen, ist Lauren Wildbolz sehr belesen und online gut vernetzt. Die Mutter hat sich während der Schwangerschaft sehr bewusst ernährt, sie weiss, worauf sie achten muss, damit beim Kind keine Mangelerscheinungen auftreten.
Lebt ihr Kind vegan? «Bei mir zu Hause schon. Aber sie darf selber entscheiden, was für sie stimmt.» Sie will keine Sittenwächterin sein, sondern lieber als Vorbild dienen.
Dieses Porträt habe ich ursprünglich für die NZZ geschrieben, es war jedoch an der Zeit, ihn stark zu überarbeiten und aktualisieren. Und Laurens Foto ist einfach der Knüller, nicht?