Die deutsche Journalistin und Autorin Rebekka Endler wollte eigentlich gar kein Buch darüber schreiben, welche Gegenstände ausschliesslich für Männer entwickelt und wie Frauenleben davon beeinflusst werden. Bis eine alte Frau sie in Pompei mit einem Wischmopp verdrosch und als «puttana» beschimpfte. Weil sie sich nicht in die lange Schlange vor der Frauentoilette einreihen wollte und deshalb auf dem Männerklo pinkeln war. Die Klo-Thematik liess die Autorin nicht mehr los. Verständlich, denn öffentliche Toiletten sagen mehr über die Verhältnisse zwischen den Geschlechtern aus, als man auf den ersten Blick meinen könnte: Wickeltische beispielsweise sind oft in den Toiletten für Frauen aufgebaut, in denjenigen für Männer gibt es meist keine. Und das, obwohl immer mehr Papis mit ihren Kindern alleine unterwegs sind. Und wer sich öfter auf Festivals aufhält, dürfte auch schon mal Bekanntschaft gemacht haben mit «Pinkelhilfen»: Eine Art gefalteter Trichter, mit der auch Menschen ohne Penis im Stehen urinieren können. Anstatt dass mehr Unisex-Toiletten gebaut werden, sollen sich Frauen also offenbar dem Körper des Mannes anpassen.
Unser Alltag ist nicht auf Frauen ausgelegt
Nach ihrem eigenen Klo-Erlebnis fing Endler an zu recherchieren und stellte schnell fest: Die Welt wird von Männern für Männer gestaltet. In ihrem Buch «Das Patriarchat der Dinge» zeigt sie diverse Beispiele auf. Man trifft sie in praktisch allen Lebensbereichen an: Manche Videotools überhören Frauenstimmen. Auf Instagram werden weibliche Nippel mit wenigen Ausnahmen zensiert, diejenigen von Männern sind aber in jedem Fall okay. Selbst bei den Wohlfühltemperaturen zum Arbeiten gibt es Unterschiede zwischen den Geschlechtern: Frauen arbeiten produktiver bei etwa 25 Grad, Männer bei 22. Die Standardtabellen für Klimaplaner:innen gehen aber von einem Durchschnittsmann aus. Standard-Klaviertasten sind für Männer leichter bedienbar, weil sie eine grössere Handspannweite haben. Viele Smartphones sind zu gross für Frauenhände, die Taschen von Frauenhosen wiederum zu klein, als dass man wirklich etwas darin transportieren könnte.
Wer gilt eigentlich als Norm? Klar: der Mann!
Bei der Frage, für wen unsere Welt gestaltet wird, geht es aber um mehr als Hosentaschen, sagt Endler: «Die Gegenstände, die uns umgeben, erzählen viel über soziale Konstrukte und Machtverhältnisse.» Ein Beispiel dafür sind Elektrogeräte. Werden sie an Frauen vermarktet, sind sie oft kleiner, leichter und mit weniger Knöpfen ausgestattet, beschreibt die Journalistin in ihrem Buch. Sie nennt dieses Phänomen «pink it, shrink it». Und mehr noch: Produkte für Frauen werden häufig als Abweichung der «normalen» Version dargestellt. Die schwedische Produktedesignerin Karin Ehrenberger zeigte 2004 in einem einfachen Experiment auf, wie viel diese vermeintliche Abweichung der Norm mit Gender zu tun hat. Ehrenberger designte dazu einen Stabmixer in mattem Olivgrün und Schwarz. Er hatte orange Knöpfe, 27 Gänge, unzählige Aufsätze, ein LED-Display und hiess «Mega Hurricane». Daneben entwarf sie eine hellblau-weisse Bohrmaschine, die von der Form her einem Delfin nachempfunden war. Sie hatte einen einzigen Schalter, drei Funktionen und hiess «Dolphia» – der Name prangte in verspielter Schrift auf der Seite des Produkts.
Ehrenberger zeigte die beiden Geräte einer Gruppe Proband:innen und wollte wissen, welche Eigenschaften sie mit der Optik der Geräte verbinden. Das Urteil war vernichtend: Die grosse Mehrheit der Frauen und Männer empfand die Bohrmaschine als minderwertig und «schwach». Das muss ein Gerät für Frauen sein, so der Tenor der Befragten; obwohl danach nicht spezifisch gefragt wurde. Den Stabmixer hingegen ordneten die meisten Testpersonen nicht explizit Männern zu, gaben aber an, ihn als «kraftvoll» und «professionell» zu empfinden. Das Experiment zeigt also: Die Norm ist offenbar stark und qualifiziert – und vor allem ist sie männlich.
Frauenunfreundliches Design kann lebensgefährlich sein
Dass Forschung und Entwicklung Frauen vernachlässigen, kann im schlimmsten Fall sogar lebensgefährlich sein. Eines der bekanntesten Beispiele sind die Dummys, die bei Crashtests für neue Autos eingesetzt werden: Der Standard-Dummy wurde in den 1970er-Jahren entwickelt, er ist 175 Zentimeter gross, 78 Kilogramm schwer, mit durchschnittlichen männlichen Körpermassen. Faktoren wie Körpergrösse und Gewicht haben aber einen Einfluss darauf, wie schwer man bei einem Autounfall verletzt wird. Bis heute sind Crashtests mit unterschiedlichen Dummys jedoch keine gesetzliche Vorgabe, sondern lediglich eine Empfehlung. Deshalb ist für Frauen das Risiko einer schweren Verletzung bei einem Verkehrsunfall 47 Prozent höher als für Männer, schreibt Endler. Das Risiko, sich leicht zu verletzen, liegt für Frauen sogar ganze 71 Prozent höher.
Auch im Berufsleben findet Endler Beispiele für Gegenstände, bei denen nicht für Frauen mitgedacht wurde: Stichschutzwesten und schusssichere Westen für Frauen, die kleiner sind als der Durchschnittsmann, gibt es kaum. Ein besonders absurdes Beispiel für die Konsequenzen: 1999 unterzog sich eine britische Polizistin einer Brustverkleinerung, damit sie ihre Schutzweste bequem tragen konnte. Auch in anderen Ländern kämpfen Polizistinnen mit unpassender Ausrüstung: Deutsche Beamtinnen wurden vor der Einführung ihrer Uniformen 1982 nicht nach ihren Bedürfnissen gefragt. Darum passten die von der Polizei genutzten Notizblöcke anfangs nicht in die Taschen der Frauen-Uniformen. Nicht viel besser sieht es in anderen Berufsgattungen aus. Eine Studie von 2014 zeigte: Kanadische Feuerwehrfrauen tragen Hosen, die für Männer entwickelt wurden. Für Frauen sind diese Modelle aber oft zu gross und sitzen nicht richtig. Das führt dazu, dass sie ihren Job – der immerhin Leben rettet! –, weniger gut ausführen können als ihre Kollegen und sich dabei eher verletzen. Immerhin: Seither produzieren immer mehr Hersteller Berufskleidung für Feuerwehrfrauen, die spezifisch auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten sind.
Es ginge auch anders: Frauen machens vor
So weit, so patriarchal, unser Alltagsdesign. Langsam, aber sicher machen sich jedoch Veränderungen bemerkbar. Und das unter anderem ausgerechnet in einer der männerdominiertesten Branchen: dem Fussball. Fussballschuhe für Frauen, schreibt Endler in ihrem Buch, sind eigentlich gar keine Schuhe für Frauen: Es sind kleine Männerschuhe oder grosse Kinderschuhe – oft natürlich in Pink oder mit verspielten Mustern. Frauenfüsse haben aber ganz andere Ansprüche als liebliche Farben zu tragen: Die weibliche Ferse ist schmaler, der Vorfuss proportional dafür etwas breiter. Die Stellung der Knie und der Hüfte sowie die Verteilung des Körpergewichts sind bei Frauen anders als bei Männern; dadurch unterscheidet sich die Verteilung des Drucks auf weibliche Füsse.
Klar ist also: Frauen brauchen eigene Modelle von Fussballschuhen. Das stellte auch die britische Fussballerin Laura Youngson fest. 2017 organisierte sie ein Turnier auf dem Kilimandscharo mit reinen Frauenteams, Profis und Amateurinnen aus aller Welt. Zwischen den Spielen tauschten sich die Frauen über ihre unbequemen Schuhe aus. Sie beklagten, dass die Männerschuhe nicht richtig passten und diejenigen für Kinder aus minderwertigem Material produziert seien. Die meisten Spielerinnen aber hatten sich schlichtweg schon an die Blasen und Schürfungen an den Füssen gewöhnt. Youngson war schockiert: «Diese Frauen haben Weltmeisterschaften gespielt in Schuhen, die nicht für sie gemacht sind!»
Die Britin erhob daraufhin eigene Daten und fand heraus: 75 Prozent der fussballspielenden Frauen im Amateur- und Profisport tragen Kinder- oder Männerschuhe. Gemeinsam mit ihrem Kollegen Ben Sandhu gründete sie deshalb die Firma IDA Sport, die weltweit erste Fussballschuh-Manufaktur für Frauen. Zusammen mit Spielerinnen entwickelte Youngson einen Schuh, der qualitativ und optisch den Wünschen der Zielgruppe entspricht: ein schlichter Lederschuh, der ganz ohne Blümchen auskommt und auf den Frauenfuss zugeschnitten ist. Der Erfolg gibt Youngson recht: Im August gewann IDA Sports die Sports and Fitness Industry Association (SFIA) Start-up Challenge.
Von Frauen für Frauen entwickelt
Auch in anderen Bereichen treiben Frauen Veränderungen voran. Es gibt immer mehr Unternehmen, die Produkte spezifisch für die Bedürfnisse von Frauen entwickeln. Und meistens werden sie von Frauen geführt. Die Menstruationstasse Diva Cup zum Beispiel entwickelte 2003 ein Mutter-Tochter-Duo. Hinter der Dating-App Bumble, auf der Frauen den ersten Schritt machen, steht mit Whitney Wolfe Herde ebenfalls eine Gründerin. Übrigens startete sie die Plattform 2014, nachdem sie ihren Arbeitgeber Tinder verliess und wegen sexueller Belästigung verklagte. Dipsea, eine Bibliothek mit vorgelesenen erotischen Kurzgeschichten, ist eine weitere App von Frauen für Frauen. Die beiden Co-Gründerinnen Gina Gutierrez und Faye Keegan entwickelten die App, weil sie erkannt hatten: Anders als Männer reagieren Frauen nicht primär auf visuelle Reize beim Sex und Masturbieren, sondern eben auch auf Geschichten, die unser Kopfkino in Schwung bringen.
Geschäftsideen von Frauen erhalten jedoch oft noch immer weniger Finanzierungsgelder als diejenigen von Männern, wie verschiedene Studien immer wieder beweisen. Und das, obwohl weiblich geführte Start-ups für jeden Dollar, der in sie investiert wird, 78 Cent Umsatz erwirtschaften – Männer hingegen lediglich 31 Cent. Frauen geben aber nicht auf, im Gegenteil. Die Zahl der weiblich geführten Start-ups nimmt Jahr für Jahr zu, auch in der Schweiz: Innosuisse, die Schweizerische Agentur für Innovationsförderung des Bundes, verzeichnete im Rahmen ihrer Start-up-Trainings 2021 einen Frauenanteil von 46 Prozent, bei rund 5’500 Teilnehmenden. Im Jahr 2020 waren es noch 43 Prozent und davor noch weniger.
Rebekka Endler arbeitet derweil an ihrem neuen Buch über die Wirkungsmechanismen des Patriarchats auf Menschen und Politik. Für sie ist klar, dass viele Entwicklungen erst am Anfang stehen. Es braucht mehr Frauen in der Forschung, in der Entwicklung, im Design – eigentlich überall: «Wir müssen wegkommen von der männlich geprägten Nabelschau – hin zu einer Welt, die sich um uns alle dreht.»