Wie bist du Start-up-Investorin geworden?
Ich komme ursprünglich aus Frankreich, wo ich als Leiterin der Rechtsabteilung für das Telekommunikationsunternehmen Neuf Cegetel gearbeitet habe. Neuf Cegetel war sehr erfolgreich und ging 2006 an die Börse. Da ich am Unternehmen beteiligt war, bekam ich beim Börsengang eine schöne Summe. Das war also eigentlich mein erster erfolgreicher Ausstieg aus einem Start-up. Einen kleinen Teil von diesem Geld investierte ich in ein Start-up, das ein Kollege gegründet hatte. Seine Geschäftsidee gefiel mir, und das Unternehmen war ebenfalls erfolgreich. So kam ich auf die Idee, dass Investitionen in Start-ups etwas für mich sein könnten. Ein Freund machte mich dann mit einem Schweizer Business-Angel-Club bekannt. Ich besuchte Veranstaltungen und hatte Spass daran, interessanten jungen Unternehmen zuzuhören. Ich entdeckte so, dass ich nicht alleine investieren muss, sondern auch mit einer Gruppe kleine Beträge in Start-ups investieren kann. Also habe ich das ausprobiert.
Wie hilft dir deine operative Erfahrung aus der Arbeit in einem Start-up als Investorin?
Sie hilft mir wahrscheinlich auf drei Arten: Erstens habe ich gelernt, dass ein Start-up ein Führungsteam braucht, das anpassungsfähig ist. Wenn man ein Unternehmen gründet, wird man höchstwahrscheinlich nicht das tun und umsetzen, was man ursprünglich geplant hat. Deshalb hängt der Erfolg eines Start-ups auch stark von der Anpassungsfähigkeit des Teams ab. Man muss sich ständig Herausforderungen stellen und Chancen nutzen. Auf der anderen Seite braucht es die Fähigkeit der Investor:innen, notwendige Strategieänderungen zu begleiten. Meiner Meinung nach sind die Investor:innen genauso für den Erfolg eines Start-ups verantwortlich wie das Führungsteam. Wenn die Investor:innen stur sind und Dinge erwarten, die das Start-up nicht liefern kann, wird das Unternehmen scheitern. Bevor ich investiere, versuche ich deshalb immer herauszufinden, wer hinter dem Start-up steht und wie die Gründer:innen ticken. Ich höre mir an, wie sie ihr Projekt vorstellen, wie sie über frühere Ereignisse sprechen und so weiter. Letztendlich ist es aber eher ein Gefühl, das meine Entscheidung für eine Investition beeinflusst.
Und wie hilft deine operative Erfahrung sonst noch?
Der zweite Punkt ist, dass ich die Höhen und Tiefen in einem Start-up erlebt habe. Das gibt mir eine andere Perspektive auf die Unternehmen, in die ich investiere. Und es hilft mir, ruhig zu bleiben (lacht). Und drittens brachte mich die Arbeit in einem Start-up in Kontakt mit Unternehmer:innen, die Spass an den Herausforderungen haben, ein Start-up zum Laufen zu bringen. Ich habe ein Netzwerk von Leuten, mit denen ich über Dossiers und Dinge, die ich nicht verstehe, reden kann. Auch das hilft mir sehr.
Braucht ein Business Angel zwingend operative Erfahrungen aus der Start-up-Welt?
Nein, das glaube ich nicht. Meiner Meinung nach kann jede:r in Start-ups investieren. Jede Art von Erfahrung und Wissen kann für die Entwicklung eines Start-ups nützlich sein. Wenn man jedoch keine Ahnung hat, wie ein Start-up funktioniert, sollte man sich die Zeit nehmen, um einige Kompetenzen zu erwerben, zu beobachten und zu lernen. Hinzu kommt, dass Leute mit weniger Erfahrung in der Start-up-Welt vielleicht auch anders investieren.
Was meinst du damit?
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, in Start-ups zu investieren. Will man direkt investieren und dem Start-up auch als Berater:in zur Seite stehen, ist es schwierig, wenn man von der Start-up-Welt gar keine Ahnung hat. Aber es gibt auch andere Möglichkeiten zu investieren, zum Beispiel über einen Business-Angel-Club, einen Venture-Capital-Fonds oder eine Bank. Dort kann man sich auch auf die Kompetenzen und das Wissen anderer verlassen.
Wie investierst du in Start-ups?
Momentan ist für mich ein Venture Capitalist (VC) das Richtige. Dadurch kann ich in verschiedene Unternehmen investieren, auch in Branchen, die ich nicht kenne. Denn ich kann mich auf die Kompetenzen des VC-Firma verlassen, mit der ich zusammenarbeite. Mein Favorit ist übrigens Verve Ventures. Allen, die alleine investieren wollen, würde ich empfehlen, sich gründlich über die Branche zu informieren, in der ein Start-up tätig ist.
Beteiligst du dich aktiv an den strategischen Entscheidungen der Start-ups, in die du investierst?
Ich bin eher eine passive Investorin. Das bedeutet zum Beispiel, dass ich nicht im Verwaltungsrat von Start-ups sitze. Vielleicht ändere ich das in Zukunft, aber im Moment ist das meine Art zu investieren. Mein Mann zum Beispiel macht es genau andersherum: Er investiert nicht in Unternehmen, in denen er nicht aktiv ist.
Interessierst du dich fürs Investieren im Allgemeinen oder wirklich spezifisch fürs Investieren in Start-ups?
Ich verstehe nicht, wie man sich nicht fürs Investieren im Allgemeinen interessieren kann, aber dann ein Interesse hat, in Start-ups zu investieren. Ich selbst habe ganz klassisch begonnen. Als Neuf Cegetel an die Börse ging, musste ich etwas mit dem Geld machen, das ich bekam (lacht). Ich habe zunächst mit Bankprodukten gestartet und erst danach in Start-ups investiert, was viel risikoreicher ist. Ich versuche, mein Geld diversifiziert anzulegen. Wenn man in Start-ups investiert, muss man auch bereit sein, Geld zu verlieren. Das ist man in der Regel nur dann, wenn man auch noch eine Möglichkeit hat, einen Teil des Geldes mit weniger Risiko anzulegen.
Wie gehst du mit den Risiken um, die Investitionen in Start-ups mit sich bringen?
Ich versuche, kleine Beträge in viele verschiedene Start-ups zu investieren. Das mindert meinen Stress und passt zu meinem Wunsch, alle Arten von Unternehmen zu unterstützen. Ich habe alles mitgemacht, von Konkursen bis hin zu extrem erfolgreichen Exits von Start-ups. Wenn ich gute Nachrichten bekomme, freue ich mich immer riesig. Wenn ich schlechte Nachrichten erhalte, versuche ich, optimistisch zu bleiben. Normalerweise schaue ich mir auch die Ergebnisse meiner Investitionen nicht jeden Monat an. Ich werfe nur alle drei Monate einen Blick darauf, und wenn ein Start-up in irgendeinem Bereich einen Rückschlag erleidet, beobachte ich, wie die Gründer:innen damit umgehen. Wie analysieren sie die Situation? Was tun sie und was planen sie? Macht das für mich Sinn? Wenn ich wirklich mein Geld verliere, was vorkommt, atme ich tief durch und denke an die vorherigen und nächsten erfolgreichen Unternehmen (lacht).
Warum investierst du gerne in Start-ups? Oder besser gesagt, weshalb ist das für dich eine gute Art, zu investieren?
Investitionen in Start-ups sind eine gute Möglichkeit, die Realwirtschaft und die Unternehmen, die einen gesellschaftlichen Nutzen generieren, zu unterstützen. Ich unterstütze gerne Unternehmen, die einen positiven Einfluss auf ihre Branche und manchmal sogar auf die Welt haben, die Probleme lösen und deshalb erfolgreich sind. Darum investiere ich gerne in Start-ups – man weiss, wohin das Geld fliesst und wofür. Ein weiterer Grund ist, dass ich sehr beeindruckt bin von Menschen, die den Mut und die Hingabe haben, ein innovatives Unternehmen zu gründen. Der Aufbau eines Unternehmens ist meiner Meinung nach etwas vom Schwierigsten, was man tun kann. Ich denke, es ist wichtig, die Leute, die frische Ideen haben, zu unterstützen. Das ist Innovation.
Wenn du in Start-ups investierst: Was ist für dich das Wichtigste?
Das Team. Ein starkes Team, weiss, wie es Unterstützung bekommt, zum Beispiel indem es die richtigen Investor:innen und Mitarbeiter:innen für die Schlüsselpositionen findet. Ein Kernteam muss technisches, Sales-relevantes und finanzielles Know-how vereinen. Die Geschäftsidee ist natürlich wichtig, aber wie gesagt, als Start-up macht man normalerweise nicht das, was man geplant hat. Aber die ursprüngliche Idee muss bahnbrechend sein, sich von der Konkurrenz abheben und ein bestehendes Bedürfnis decken. Und vor allem muss das Start-up mit meinen Werten übereinstimmen und ein gutes Gefühl in mir wecken. Wenn ich also ein Dossier erhalte, frage ich mich zunächst: Spricht es mich an? Bin ich begeistert? Erst danach mache ich eine kleine Recherche.
Inwieweit spielt die Diversität in einem Gründer:innenteam für dich eine Rolle?
Zunächst ist es für mich sehr wichtig, dass es ein Team ist. Ich investiere nicht in Einzelgründer:innen. Aber wenn ich mir Teams anschaue, dann beurteile ich nicht nur die Gründer:innen, sondern auch das Management-Team. Da ist es für mich sehr wichtig, dass das Team die verschiedenen Fähigkeiten widerspiegelt, die ein Unternehmen braucht. Wenn einige Fähigkeiten noch fehlen, muss es eines der Ziele der Finanzierungsrunde sein, diese Fähigkeiten abzudecken. Wenn deine Frage auf die Vielfalt der Geschlechter abzielt …
Ja? (Lacht.)
Ich sehe es immer gerne, wenn mindestens eine Frau im Management ist. Denn ich denke, dass Frauen manchmal eine andere Sichtweise auf Dinge und einen andere Herangehensweise für Probleme haben. Diese Vielfalt finde ich sehr wichtig. Aber wenn ich ein junges Start-up sehe mit zwei Nerds im Gründungsteam, heisst das nicht, dass ich nicht investieren würde. Ich schaue mir zum Beispiel auch die Advisory Board eines Start-ups an: Gibt es dort Frauen? Oder ist den Gründer:innen bewusst, dass sie in Zukunft andere Kompetenzen brauchen?
Wenn jemand Business Angel werden möchte: Wie kann man anfangen?
Als Erstes sollte man sich wahrscheinlich Gedanken darüber machen, wie gut man sich in der Start-up-Welt auskennt, welche Stärken und Schwächen man hat und welche Erwartungen man an Investitionen hat. Du musst also wirklich verstehen, was du weisst, was du kannst, was du nicht kannst und was du willst. Danach ist es wichtig, das richtige Umfeld und die richtigen Partner:innen zu finden, damit du die notwendigen Informationen und Unterstützung erhältst. Ich empfehle, sich verschiedene Möglichkeiten anzuschauen, vielleicht mit Kolleg:innen, einen Business-Angel-Club oder einen VC-Fonds. Und dann sollte man sich genug Zeit nehmen, um das Ganze etwas zu beobachten. Fang nicht gleich mit 100 Investitionen an. Investiere ein paar kleine Beträge, um Erfahrungen zu sammeln, ohne zu viel Stress. Beobachte und verstehe, wie sich die Dinge entwickeln, wie die Vorstandsmitglieder miteinander umgehen und so weiter. Auf diese Weise kannst du viele Fehler vermeiden.
Was meinst du mit kleineren Beträgen? Gibt es einen Mindestbetrag?
Es ist sehr wichtig zu verstehen, dass man keine grossen Summen braucht, um in Start-ups zu investieren. Ich habe erst bei diesem Business-Angel-Club damals verstanden, dass ich mit 10’000 Franken anfangen kann. Natürlich ist das immer noch eine Menge Geld, aber ich dachte, ich brauche 100’000 Franken, um anzufangen. Das ist eine wirklich wichtige Information, die gar nicht so leicht zugänglich ist. Wenn man direkt investiert, braucht man natürlich ein bisschen mehr Geld. Aber wenn man über Clubs oder VC-Fonds investiert, kann man viel kleinere Beträge investieren.
Welche Lektionen hast du als Start-up-Investorin gelernt, die du gerne schon vorher gewusst hättest?
Ich hätte sicherlich einige unangenehme Überraschungen vermeiden können, wenn ich mir etwas mehr Zeit gelassen und verschiedene Investitionsmöglichkeiten etwas genauer unter die Lupe genommen hätte.
Leider gibt es nicht viele Frauen, die in Start-ups investieren. Was sind deiner Meinung nach die Gründe dafür?
Ich denke, dafür gibt es zwei Hauptgründe. Obwohl viele Frauen finanziell unabhängig sind, habe ich das Gefühl, dass sie sich oft nicht trauen, die Kontrolle über ihr Geld zu übernehmen. Sie fühlen sich nicht legitimiert und berechtigt, darüber zu verfügen, es zu investieren und vor allem, es aufs Spiel zu setzen. Ich habe das Gefühl, dass viele Frauen ihr Geld immer noch als Geld für die Familie sehen und nicht als etwas, über das sie verfügen können.
Und der zweite Grund?
Der andere Grund ist, dass es den Frauen oft an Selbstvertrauen fehlt. Sie glauben, sie wüssten nicht genug. Wir müssen diese Selbstzweifel im Allgemeinen und in der Finanzwelt im Besonderen überwinden. Die Botschaft, die Frauen hören müssen, ist, dass sie keine Expertinnen für Finanzmärkte oder Technologie sein müssen, um zu investieren. Beim Investieren in Start-ups gibt es Strukturen, die die ersten Schritte unterstützen und es ermöglichen, zu lernen. Manchmal trauen sich Frauen nicht, grundlegende Fragen zu stellen, weil sie Angst haben, nicht ernst genommen zu werden. Das müssen wir ändern, denn es ist wichtig, Fragen zu stellen. Und deshalb ist der Zugang zu den notwendigen Informationen und zum Wissen der Schlüssel. Und schliesslich sehe ich auch ein Zeitproblem ...
Wie meinst du das?
Investitionen in Start-ups sind zeitaufwendig. Und solange Frauen noch immer für alle Betreuungsaufgaben und den Haushalt zuständig sind, ist es auch ein Mangel an Zeit, der sie am Investieren hindert. Stell dir vor, wenn du Kinder, einen Haushalt und einen Job hast, dann hast du keine Zeit, dir jedes faszinierende Start-up-Dossier anzuschauen. Es ist also auch einfach ein gesellschaftliches Problem. Die Dinge ändern sich, aber wir stehen noch am Anfang.
Was hältst du von Netzwerken für weibliche Business Angels? Hilft das, mehr Frauen in das Start-up-Ökosystem zu bringen?
Ich halte es für sehr nützlich, Räume für Frauen zu schaffen, in denen sie sich wohlfühlen und nach Informationen fragen können. Wenn sie gleichgesinnte Frauen treffen, die in ein Start-up investieren, inspiriert das vielleicht, dasselbe zu tun. Es ist auch wichtig, sich mit anderen Frauen auszutauschen, denn wir ticken oft anders als Männer und haben vielleicht andere Bedenken und Prioritäten. Dennoch denke ich, dass wir mit solchen geschlossenen Kreisen vorsichtig sein müssen. Vielfältige Ansichten sind nach wie vor sehr wichtig, vor allem in Managementteams und Vorständen von Start-ups.
Sind die wenigen Investorinnen ein Grund dafür, dass es auch so wenige von Frauen gegründete Start-ups gibt?
Das hat sicherlich einen Einfluss. Als Frau merkt man sofort, wenn in einem Gründerteam Frauen sind. Wahrscheinlich helfen deshalb Investorinnen Gründerinnen, weil sie automatisch auch auf Frauen im Team setzen. Ich glaube aber auch, dass sich die Männer immer mehr bewusst werden, was Frauen in ein Unternehmen einbringen können. Wenn wir mehr Frauen in Unternehmen haben, gewöhnen sich Männer daran, in vielfältigen Teams zu arbeiten und erkennen, wie wertvoll das sein kann. Generell denke ich aber, dass mehr Investorinnen nicht die einzige Lösung sind, um mehr Start-up-Gründerinnen zu gewinnen.
Welche anderen Lösungen gibt es?
Traditionell war es so, dass Frauen einen sicheren Weg wählen sollten. Und Tag und Nacht für etwas zu arbeiten, das nach ein paar Jahren bankrott gehen könnte, war lange Zeit nicht die Art, wie Frauen ihr Leben planen sollten. Ich glaube, das ändert sich jetzt. Und das gesamte Umfeld für Start-ups ändert sich auch. Jetzt gibt es zum Beispiel an jeder grossen Universität ein Start-up-Ökosystem. Männer und Frauen sehen, dass es möglich und erwünscht ist, etwas zu erfinden und für ihre Ideen zu arbeiten. Und ich denke, das wird die wichtigste Entwicklung sein, um das gesamte Start-up-Ökosystem für Mädchen und Frauen zu öffnen.
Odile Gaudart-Gastaldo ist Juristin. Sie arbeitet seit mehr als 15 Jahren in der Telekommunikationsbranche. Sie war unter anderem an der Entwicklung des ersten Mobilfunknetzes in Frankreich bei Telemate beteiligt und war später als Leiterin der Rechtsabteilung beim Aufbau der Firma Neuf Cegetel involviert, dem Hauptkonkurrenten von France Telecom. Vor 15 Jahren zog sie mit ihrem Mann und ihrer Tochter nach Zürich, wo sie heute als Start-up-Investorin tätig ist.