Quantencomputer lautet das Trendwort der Stunde – zumindest, wenn man den Finanzzeitschriften glaubt. Die extrem leistungsfähigen Rechner beruhen auf den Gesetzen der Quantenmechanik und sollen Probleme lösen, an denen die grössten Supercomputer bisher gescheitert sind.
Wells Fargo, Goldman Sachs oder JP Morgan Chase gehören zu denjenigen Grossbanken, die bereits Ressourcen darauf verwenden, um die Leistungen von Quantencomputern künftig in der Praxis einzusetzen. Die Boston Consulting Group bestätigt in einer Studie, dass die Zuversicht in Bezug auf Quantencomputer im letzten Jahr stark gewachsen ist. Laut einer Prognose von Gartner werden zwanzig Prozent der Unternehmen bis 2023 Ressourcen für die Quantentechnologie bereitstellen, gegenüber nur einem Prozent im Jahr 2018.
Mit der steigenden Zuversicht, dass Quantencomputer in den nächsten Jahren tatsächlich den Durchbruch schaffen könnten, nimmt auch die Skepsis rund um die Technologie zu. Manche Foren und Gruppen spekulieren bereits über Entwicklungen, die an Science-Fiction-Filme erinnern. Etwa soll das sogenannte Quanten-Finanzsystem all unsere bestehenden Systeme ersetzen.
Was sind Quantencomputer?
Christa Zoufal ist Forscherin für Quanten-Applikationen bei IBM. Sie erklärt, dass es sich bei Quantencomputern nicht einfach um leistungsfähigere normale Computer handelt. Vielmehr würden Quantencomputer Informationen ganz anders darstellen: «Wenn wir uns einen Ball vorstellen, dann können Informationen beim normalen Computer nur oben oder unten liegen. Beim Quantencomputer können Informationen überall auf diesem Ball liegen.»
Das illustrative Beispiel mit dem Ball greift auf die unterschiedlichen Informationsträger bei normalen Computern und Quantencomputer zurück. Im Vergleich zu den klassischen Computern, die mit Bits rechnen, verwenden Quantencomputer sogenannte Qubits. Bits können nur in zwei Zuständen sein, null oder eins. Ein Qubit hingegen kann mit einer gewissen Wahrscheinlichkeitsverteilung gleichzeitig null und eins sein.
Wozu können Quantencomputer verwendet werden?
Da Quantencomputer Informationen anders verarbeiten als herkömmliche Computer, bieten sie für gewisse Anwendungen potenziell deutlich höhere Rechenleistung. Zu den Anwendungsfeldern, die von Quantencomputern profitieren könnten, zählt zum Beispiel die Simulation von Molekülen. Laut Zoufal könnte dies für die Entwicklung neuer Medikamente oder besserer Materialien für Batterien von entscheidender Bedeutung sein.
Mit der höheren Rechenpower sind aber auch potenzielle Risiken verbunden, zum Beispiel für die IT-Sicherheit. Physikerin Zoufal erklärt: «Heutzutage basieren die meisten Verschlüsselungstechnologien, die Vertraulichkeit von sensiblen Informationen gewährleisten, auf der Primfaktorzerlegung. Das heisst, Daten werden durch die Multiplikation von Primzahlen verschlüsselt. Da normale Computer Schwierigkeiten haben, diese grossen Primzahlen wieder in ihre Faktoren zu zerlegen, ist die Methode sicher. Quantencomputer hingegen könnten das in effizienter Zeit tun und somit heutige Verschlüsselungen leichter knacken.»
Werden Quantencomputer die Finanzbranche revolutionieren?
Die Implikationen der Quantencomputern für die Sicherheit von Systemen dürften auch die Finanzbranche aufwühlen. Auch die Sicherung von Konten basiert heutzutage auf standardmässigen Verschlüsselungsmethoden, die von Quantencomputern geknackt werden könnten. Zoufal relativiert: «Zahlreiche Wissenschaftler:innen arbeiten bereits seit Jahren daran, neue Verschlüsselungsmethoden zu entwickeln, die auch sicher vor Quantencomputern sind. Von daher sehe ich für Banken vor allem Vorteile in Quantencomputern, denn sie können bei der Erkennung von Betrugsfällen sehr nützlich sein.»
Ein weiteres Anwendungsfeld, auf das wohl viele Grossbanken hoffen, ist die Modellierung von Risiken. Herkömmliche Rechner stossen nämlich bei der Simulation von Finanzmärkten oft an ihre Grenzen und können Analysen nicht in Echtzeit machen. Quantencomputer könnten da Abhilfe schaffen, indem sie in Echtzeit Gewinnwahrscheinlichkeiten bestimmen und potenzielle Risiken bewerten. Zoufal betont aber, dass Quantencomputer als Komplementärtechnologie gesehen werden sollten: «Sie werden nur manche Aufgaben erleichtern und beschleunigen können. Ausserdem sind heutige Quantencomputer aufwendig in der Lagerung, deshalb werden sie in naher Zukunft kaum herkömmliche Rechner in Bereichen ersetzen, wo diese nicht an ihre Grenzen stossen.» Stand jetzt müssen viele Quantencomputer-Technologien auf minus 273 Grad Celsius gekühlt und per Vakuum abgeschirmt werden.
Haben Bitcoin und Co. ausgedient?
Auf diversen Krypto-Plattformen werden Quantencomputer als grosse Gefahr für Blockchain-Technologien und Kryptowährungen betitelt. Grund dafür ist, dass auch Kryptowährungen auf klassischen Verschlüsselungsmethoden basieren, die Quantencomputer potenziell knacken könnten. Zoufal gibt Entwarnung: «Tatsächlich könnten Quantencomputer eine Gefahr für die heutigen Protokolle der meisten Kryptowährungen darstellen. Allerdings arbeitet die Wissenschafts-Community schon seit Jahren daran, neue Standards zu entwickeln, die sicher vor Quantencomputern sind.»
Zoufal verweist hier auf einen Wettbewerb des National Institute of Standards and Technology (NIST), der seit fünf Jahren läuft, mit dem Ziel, quantensichere Verschlüsselungstechnologien zu entwickeln. Bis 2024 sollen diese Algorithmen als globale Standards eingeführt werden. «Wir gehen davon aus, dass diese Standards dann weltweit eingeführt werden und auch Kryptowährungen neue Protokolle etablieren werden», sagt Zoufal.
Wann können Quantencomputer in der Praxis eingesetzt werden?
Goldman Sachs rechnet laut eigenen Angaben damit, dass in fünf Jahren Quantenalgorithmen in der Praxis eingesetzt werden können. Zoufal sagt, dass solche Zukunftsprognosen schwierig seien: «Unsere Quantencomputer bei IBM sind noch in einem frühen Entwicklungsstadium. Momentan können die verfügbaren Quantencomputer noch keine praxisrelevanten Probleme schneller und besser lösen als die besten Superrechner. Wann es zu einem Durchbruch kommt, ist sehr schwierig zu sagen, aber wir sind optimistisch.»
Dennoch hat IBM bereits ein Quantennetzwerk mit 170 Praxispartnern aufgebaut, die im Forschungsstadium versuchen, das Potenzial von Quantencomputern auszuloten. Christa Zoufal: «Viele Firmen erkennen das Potenzial von Quantencomputern. Deshalb wollen sie bereits heute den Umgang mit dieser Technologie lernen.»