Macht und Misogynie, Geld und Gier, Patriarchat und Privilegien: Wer die Antwort nicht scheut, darf unseren Kolumnisten alles fragen. Markus Theunert teilt, was er in 25 Jahren Beschäftigung mit Männern und Männlichkeit gelernt hat.  

Heute mit der Frage von Beatrice (51): Warum investieren Männer mit mehr Risiko?

Liebe Beatrice

Die Antwort scheint auf der Hand zu liegen: Weil Männer im Lauf ihres Aufwachsens lernen, dass es als «männlich» gilt, wenn sie sich riskant verhalten. Während Buben mit irrwitzigen Schlittelmanövern oder mutigen Parkour-Moves ihren Rang in der gleichgeschlechtlichen Peer Group sichern, versuchen dies erwachsene Männer vielleicht mit tollkühnen Investments. 

Weil die Antwort so naheliegend scheint, ist mir ihre kritische Überprüfung ein Anliegen. Die gilt zuerst mal der zugrunde liegenden Annahme, dass Männer Geld risikoreicher anlegen. Eine kurze Recherche zeigt: Die Annahme bestätigt sich auf verschiedenen Ebenen. Männer scheinen tatsächlich öfter, aktiver, selbstbewusster und umfangreicher zu investieren.

Markus Theunert
Frauen scheinen langfristig höhere Renditen zu erzielen, weil sie ihre Investments breiter anlegen und sie weitsichtiger bewirtschaften.

Aber: Die Unterschiede sind weit weniger gross, als es das Klischee vermuten lässt. So verzichten 36 Prozent der Frauen ganz auf Geldanlagen, aber eben auch 26 Prozent der Männer. Unter den Frauen, die investieren, tun dies 62 Prozent mit hohem Selbstbewusstsein. Bei den Männern sind es 68 Prozent. 72 Prozent der investierenden Frauen ist Nachhaltigkeit wichtig. Bei den Männern beträgt der Anteil 67 Prozent.  

Es drängt sich also die Frage auf, ob sich in den vermeintlich «typisch männlichen» Risikostrategien nicht einfach die ökonomischen Ungleichheiten spiegeln, die noch immer vorherrschen. Denn natürlich spielt eine entscheidende Rolle, dass Männer mehr finanzielle Mittel zur Verfügung haben: Weil sie im Schnitt über mehr Vermögen verfügen, höheren Erwerbspensen nachgehen und dabei auch bei gleicher Arbeit höhere Saläre generieren (Stichwort: Lohnungleichheit). Logisch, dass mit wachsendem finanziellem Spielraum die Bereitschaft steigt, auch mal ins Risiko zu gehen.

Das wäre dann aber weniger Ausdruck geschlechtstypischer Risikobereitschaft als Folge einer privilegierten Teilhabe an ökonomischen Mitteln. 

Tröstlich: Diese Ungleichheit wird zumindest teilweise aufgewogen durch ein smarteres Anlageverhalten von Frauen. Denn diese scheinen langfristig höhere Renditen zu erzielen, weil sie ihre Investments breiter anlegen und sie weitsichtiger bewirtschaften.

Markus Theunert
Statt ihrem Geld geduldig beim Wachsen zuzusehen, vernichten Männer Wert.

Das legt die Vermutung nahe, dass Männer in unrealistischem Optimismus dazu neigen, finanziellen Erfolg als Resultat eigener Kompetenz zu verstehen und nicht als Mitnahmeeffekt kapitalistischer Wachstumszwänge. Statt ihrem Geld geduldig beim Wachsen zuzusehen, vernichten sie in der Folge Wert, weil sie Anlagen zu ungestüm bewirtschaften.

In diese Richtung weisen auch Forschungsergebnisse, die nahelegen, dass ein hoher Testosteron-Level und ein hoher Anlageerfolg negativ korrelieren.  

Diese Kolumne verfolgt – auf Einladung der ellexx-Redaktion – das Anliegen, einen patriarchatskritischen Blick auf Geschlechter-, Geld- und Gesellschaftsfragen beizusteuern. Unserem Kolumnisten ist es wichtig, seine Unsicherheit transparent zu machen, wo die Bereicherung durch eine reflektierte Männerperspektive aufhört – und wo das «Mansplaining für Fortgeschrittene» beginnt.

Markus Theunert ist Gesamtleiter von männer.ch, dem Dachverband progressiver Schweizer Männer- und Väterorganisationen. Kontakt: theunert@maenner.ch

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