Man kann es drehen und wenden, wie man will: Frauen investieren auf der ganzen Welt deutlich weniger Kapital als Männer. In Westeuropa investiert nicht einmal jede fünfte Frau regelmässig ihr Geld am Aktienmarkt, bei den Männern tut dies jeder Dritte.
Auch in der Schweiz sieht es nicht anders aus. Eine Sotomo-Studie zeigt, dass 48 Prozent der Männer einen Teil ihrer Ersparnisse in Anlagen wie Aktien oder Fonds investieren, bei den Frauen sind es nur 32 Prozent.
Sparen statt Investieren
Diese Diskrepanz zwischen den Geschlechtern beim Investieren hat einen Namen: «Gender Investment Gap». Dass Frauen viel weniger investieren als Männer, hat übrigens nicht nur mit finanziellen Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern zu tun, sondern ist auch ein soziokulturelles Problem.
Studien zeigen nämlich, dass viele Frauen Sparerinnen sind: 79 Prozent von ihnen können regelmässig Geld auf die Seite legen. Diese Ersparnisse landen aber meist nicht auf dem Anlagekonto – nur 18 Prozent der Frauen investieren regelmässig. Spareinlagen werfen aber langfristig viel weniger Rendite ab als Investitionen am Aktienmarkt. Der Gender Investment Gap trägt also dazu bei, dass die finanzielle Ungleichheit zwischen Männern und Frauen weiterhin fortbesteht.
Warum bleibt diese Investitionslücke zwischen den Geschlechtern so hartnäckig bestehen? Das hat laut Studien folgende Hauptgründe:
- Frauen haben weniger Geld zur Verfügung als Männer.
- Die traditionelle Finanzindustrie spricht mit ihren Inhalten und Produkten primär Männer an.
- Frauen wird eingeredet, sie kennen sich mit Finanzen weniger aus.
Geringes Vermögen hindert Frauen am Investieren
Frauen haben nach wie vor auf der ganzen Welt weniger Geld als Männer. Über die Gründe dafür haben wir bei elleXX schon zahlreiche Artikel geschrieben:
- Gender Pay Gap: Frauen verdienen durchschnittlich noch immer weniger als Männer. Das Lohngefälle zwischen Männern und Frauen beträgt in der Schweiz 11 Prozent.
- Child Penalty: Frauen erleben einen finanziellen Einbruch, sobald sie Kinder bekommen. In der Schweiz verdienen Frauen nach der Geburt ihres ersten Kindes 68 Prozent weniger als davor. Hauptursache dafür ist, dass acht von zehn Müttern in der Schweiz Teilzeit arbeiten.
Die Studie von Sotomo bestätigt, dass rund ein Drittel der Frauen wegen zu geringer Ersparnisse nicht investiert. Im Vergleich dazu investiert ein Viertel der Männer aus diesem Grund nicht.
Dazu kommt, dass viele Frauen den Geldbetrag überschätzen, den es braucht, um mit dem Investieren loszulegen. Gemäss einer Studie von BNY Mellon schätzen Frauen in der Schweiz, dass sie zum Investieren mindestens 5500 Franken monatlich verfügbares Einkommen brauchen. Anlagen in Aktien lohnen sich aber auch mit kleineren Beträgen. Mit einem Gesamtbetrag von ca. 2000 Franken kannst du dir bereits ein Aktienportfolio mit 30 bis 40 Titeln zusammenstellen und so dein Risiko streuen.
Von Männern für Männer
Doch allein diese finanzielle Ungleichheit kann den Gender Investment Gap nicht erklären. Ein weiterer Grund dafür ist die männerdominierte Finanzbranche: So geben neun von zehn der Vermögensberater:innen zu, dass ihr Standard-Kunde ein Mann ist und dass sie mit ihren Produkten primär Männer erreichen wollen.
Entsprechend ist es kein Wunder, dass sich viele Frauen nicht fürs Anlegen interessieren. Sie werden mit einer Sprache, Bildern und Botschaften konfrontiert, die auf einen männlichen Kunden ausgerichtet sind. So versuchen Banken beispielsweise, ihren Kund:innen mit kompliziertem Fachjargon das Gefühl zu vermitteln, sie würden einem exklusiven Club angehören. Aber: 31 Prozent der Frauen fühlen sich von einer zu komplizierten Sprache abgeschreckt. Gemäss Umfragen wünschen sich viele Kundinnen, in einer zugänglichen Form angesprochen zu werden. In anderen Worten: Weniger Fachjargon – mehr Praxisbezug!
Um die Bankenwelt frauenfreundlicher zu gestalten, braucht es mehr Frauen in dieser Branche. So haben global 67 Prozent der Frauen das Gefühl, Bankberater:innen würden sich nicht in ihre Lebensrealitäten hineinversetzen können. Auch glauben drei Viertel der Bankangestellten selbst, dass die Bankenbranche mehr Frauen zum Investieren bringen könnte, wenn es mehr Anlageberaterinnen gäbe. In der Schweiz sind momentan 58 Prozent aller Bankangestellten Männer.
(Vermeintlich) fehlendes Wissen hemmt Frauen
Bis 1988 durften Frauen in der Schweiz ohne die Zustimmung ihres Mannes kein eigenes Bankkonto eröffnen und entsprechend auch nicht investieren. Deshalb erstaunt es wenig, dass lange Zeit der allgemeine Tenor war, Finanzfragen seien Männerangelegenheiten. Bis heute haben viele Frauen in der Schweiz das Gefühl, ihr Finanzwissen sei zu gering, um zu investieren.
Laut der Studie von Sotomo schätzen 36 Prozent der Frauen ihr Finanzwissen als schlecht ein und nur 22 Prozent als gut. Im Vergleich dazu haben 33 Prozent der Männer eine positive Selbsteinschätzung und 22 Prozent eine negative. Dieses fehlende Selbstvertrauen der Frauen in Bezug auf ihr Finanzwissen ist in Westeuropa übrigens besonders ausgeprägt: Global gesehen trauen sich 28 Prozent der Frauen Investitionen am Aktienmarkt zu – in Westeuropa sind es nur knapp 20 Prozent.
Woher kommt das? In Schweizer Haushalten sind es häufiger die Männer, die finanzielle Entscheidungen und Verwaltungsaufgaben übernehmen, während sich die Frauen vermehrt um den Haushalt und Betreuungsaufgaben kümmern. Diese Rollenverteilung ist laut der Sotomo-Studie ein wesentlicher Grund dafür, dass es den Frauen an Finanzwissen und Erfahrung fehlt, was auch das Selbstvertrauen in Bezug auf Finanzthemen schmälert.
Frauen investieren nachhaltiger und erfolgreicher
Für alle, die sich noch nicht an das Investieren gewagt haben, gibt es einen Lichtblick: Frauen liegen falsch, wenn sie glauben, dass sie weniger talentiert sind im Investieren als Männer. Im Gegenteil. Studien zeigen, dass Frauen langfristige Sicherheit gegenüber kurzfristigen Gewinnen bevorzugen. Im DACH-Raum investieren 48 Prozent der Frauen mit dem primären Ziel, finanzielle Stabilität für ihre Familie aufzubauen.
Entsprechend neigen sie dazu, weniger mit Wertpapieren zu handeln und konsequenter zu investieren, was in der Vergangenheit zu besseren Renditen geführt hat. Studien bestätigen: Frauen schneiden im Durchschnitt beim Investieren leicht besser ab als Männer.
Frauen investieren nicht nur langfristig, sondern grösstenteils auch nachhaltig. In der Schweiz geben 55 Prozent der Frauen an, dass sie nur in nachhaltige Unternehmen investieren wollen, und 77 Prozent finden nachhaltiges Anlegen generell wichtig. In Europa sind es sogar 92 Prozent der Frauen, die nachhaltiges Investieren wichtig finden.
Gute Neuigkeiten gibt es übrigens auch für die Finanzbranche: Eine Studie von BNY Mellon hat errechnet, dass wenn Frauen im gleichen Masse wie Männer investieren würden, das verwaltete Privatvermögen global um 3.2 Billionen Dollar zunehmen würde. Das ist mehr als das Bruttoinlandprodukt des Vereinigten Königreichs. Entsprechend könnten Banken pro Jahr bis zu 700 Milliarden Dollar mehr Umsatz machen, wenn sie ihre Kundinnen besser betreuen würden.
So fängst du mit dem Investieren an
Es ist also in vielerlei Hinsicht höchste Zeit, den Gender Investment Gap zu schliessen. Willst du auch mit dem Investieren anfangen? Dann los! Hier ein paar Tipps, wie du es anpacken kannst:
- Bevor du investierst, solltest du dir als erstes einen Überblick über deine Finanzen verschaffen und allfällige Schulden abzahlen. Tipps für einen starken Finanzplan findest du hier.
- Du musst nicht alles über Investitionen wissen, bevor du anfängst. Es macht jedoch Sinn, wenn du deine Beziehung und Einstellung zu Geld vorher erforschst. Dies kannst du zum Beispiel tun, indem du mit Freund:innen anfängst, über Geld zu reden.
- Wenn du dich für nachhaltiges Investieren interessierst, kannst du dich schon vor deinem Besuch auf der Bank damit beschäftigen, was dir wichtig ist. Wie genau das geht, zeigen wir dir in diesem Artikel.
- Hol dir unterschiedliche Angebote ein und vergleiche sie beispielsweise bezüglich der Gebühren. Wenn du dich bei deiner Bank nicht gut beraten fühlst, kannst du auch jederzeit zu einem/einer unabhängigen Vermögensberater:in gehen.