Das Homeoffice bietet neue Chancen, den Spagat zwischen Berufsalltag und familiären Verpflichtungen besser zu meistern. Im Durchschnitt sparen Arbeitnehmer:innen in der Schweiz durch das Wegfallen des Arbeitsweges rund 30 Minuten pro Weg ein, die sie für Care-Arbeit, Hausarbeit oder Erholung nutzen können.

Da Frauen nach wie vor den grösseren Anteil der Kinderbetreuung und Hausarbeit übernehmen, können berufstätige Mütter von der Flexibilität und Zeitersparnis im Homeoffice profitieren. Ohne Arbeitsweg können sie etwa morgens die Kinder für die Schule fertig machen – und sich anschliessend direkt an die Arbeit setzen.

Mütter sehen sich zudem häufiger gezwungen, berufliche Kompromisse zugunsten der Familie einzugehen. Um Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen, entscheiden sich Frauen daher häufiger für kürzere Arbeitswege. Eine Entscheidung, die in der Regel eine kleinere Auswahl an Jobmöglichkeiten zu einem geringeren Gehalt nach sich zieht. Das Homeoffice bietet hier eine wertvolle Alternative: Besonders für Frauen in ländlichen Gegenden eröffnet es den Zugang zu besser bezahlten Arbeitsplätzen, die sonst geografisch nicht erreichbar wären. 

Nur – die Realität ist weniger rosig

Was bei der Homeoffice-Debatte häufig vergessen geht, ist die Tatsache, dass das eigene Daheim nicht zwingend arbeitsplatzkompatibel ist. Mit dem Haushalt vor der Nase und quengelnden Kindern in den Ohren lässt sich kaum konzentriert arbeiten. Die räumliche Nähe zum Haushalt kann es schwer machen, der Versuchung zu widerstehen, neben der beruflichen Arbeit noch «schnell» den Haushalt zu erledigen.

Tanja Schuler
Im Vergleich zu Männern verbringen Frauen im Homeoffice erheblich mehr Zeit mit unbezahlter Hausarbeit.

Kurz: Frauen scheinen damit zu hadern. Sie übernehmen ja auch doppelt so viel Haus- und Familienarbeit wie Männer. Im Homeoffice verstärken sich diese traditionellen Rollenmuster sogar. Eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung zu diesem Thema kam zum Schluss: «Väter machen Überstunden, Mütter auch – und kümmern sich zusätzlich mehr um die Kinder.» Eine Studie der University of California kommt zu ähnlichen Ergebnissen: Im Vergleich zu Männern verbringen Frauen im Homeoffice erheblich mehr Zeit mit unbezahlter Hausarbeit.

Die unterschiedlichen zeitlichen Anforderungen von Mutterschaft und Beruf lassen Frauen kaum Raum für persönliche Freizeit. Sie sparen ohne Arbeitsweg zwar durchschnittlich 30 Minuten Zeit – nur sparen sie diese Zeit nicht wirklich ein: Statt die gewonnene halbe Stunde für die eigene Freizeit zu nutzen, verwenden sie sie meist für Betreuung, Hausarbeit oder bezahlte Arbeit. Das ständige Hin- und Herschalten zwischen beruflichen und familiären Aufgaben und die fehlende Erholungszeit beeinträchtig die psychische Gesundheit von Frauen negativ.

Erschöpfung, Stress und Frustration sind die Folge. 

Flexibles Arbeiten versus starre Rollen

Spätestens an diesem Punkt stellt sich die grundlegende Frage, warum die Verantwortung für Haushalts- und Betreuungsarbeit auch in Zeiten des Homeoffice mehrheitlich auf den Schultern der Frauen lastet. Schliesslich bieten flexible Arbeitsmodelle auch Vätern die Möglichkeit, sich intensiver an der Kinderbetreuung und am Haushalt zu beteiligen.

Dass die Realität anders aussieht und Homeoffice-Möglichkeiten nicht zwingend zu mehr Gleichstellung führen, ist vermutlich auf tief verwurzelte stereotypische Rollenbilder zurückzuführen. Viele Frauen sind mit traditionellen Normen aufgewachsen. Als Mädchen haben sie miterlebt, wie ihre Mütter den Haushalt geführt und ihre Väter das Geld nach Hause gebracht haben. 

Ein makelloses Zuhause und wohlerzogene Kinder stellen für viele Frauen unbewusst ein Zeichen ihres sozialen Werts dar. Diese internalisierten Erwartungen beeinflussen nicht nur die individuellen Ansichten der Frauen über ihre vermeintlichen Pflichten, sondern prägen auch die Dynamik innerhalb der Familie im modernen Kontext von Beruf und Alltag.

Stereotype schmälern die Karrierechancen von Frauen

Auch in der Arbeitswelt sind Frauen nach wie vor kulturellen Stereotypen ausgesetzt. Eine Analyse der Harvard Business Review kam zum Schluss, dass Frauen, insbesondere Mütter, häufig als weniger engagiert und leistungsfähig wahrgenommen werden. Dieses hartnäckige Vorurteil verstärkt sich im Homeoffice, wo Müttern oft unterstellt wird, ihre familiären Verpflichtungen über ihre beruflichen Aufgaben zu stellen. 

Tanja Schuler
Es gilt leider noch immer: Wer im Büro ist, wird gesehen und befördert. 

Das bestätigt auch Yvonne Lott, Forscherin am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der Hans-Böckler-Stiftung im Interview mit Spiegel.de: «Frauen wird eher pauschal unterstellt, dass sie sich im Homeoffice nebenbei um Kinder und Haushalt kümmern, statt konzentriert zu arbeiten.» 

Diese stereotype Sichtweise hat nachweislich negative Auswirkungen auf die Karrierechancen von Frauen im Homeoffice: Sie erhalten nicht nur schlechtere Bewertungen, sondern haben auch geringere Aufstiegsmöglichkeiten. In einer Befragung des Beratungsunternehmens Egon Zehnder gaben 70 Prozent der Führungskräfte an, dass Mitarbeiterinnen im Homeoffice möglicherweise für Führungspositionen übergangen werden. Es gilt leider noch immer: Wer im Büro ist, wird gesehen und befördert. 

Ein Balanceakt mit Zukunftspotenzial

Die Flexibilität des Homeoffice birgt enormes Potenzial zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie zur Förderung einer ausgewogenen Work-Life-Balance. Damit dieses Potenzial voll ausgeschöpft werden kann und negative Auswirkungen, insbesondere für Frauen und Mütter, minimiert werden, sind individuelle und strukturelle Veränderungen notwendig.

Tanja Schuler
Arbeitgebende müssen für unbewusste Voreingenommenheiten gegenüber Mitarbeitenden, insbesondere Frauen im Homeoffice, sensibilisiert werden.

Auf individueller Ebene ist eine gerechte und ausgewogene Verteilung familiärer Aufgaben unerlässlich. Männer sind gefordert, proaktiv Verantwortung zu übernehmen und sich aktiv in die Familienarbeit einzubringen. Gleichzeitig sollten Frauen klare Grenzen setzen, um ihre beruflichen und privaten Verpflichtungen besser in Einklang zu bringen.

Auf gesellschaftlicher Ebene ist es essenziell, bestehende Vorurteile abzubauen und veraltete Rollenbilder neu zu überdenken. Insbesondere Arbeitgebende müssen für unbewusste Voreingenommenheiten gegenüber Mitarbeitenden, insbesondere Frauen im Homeoffice, sensibilisiert werden. Es gilt sicherzustellen, dass alle Mitarbeitenden – egal ob im Homeoffice oder im Büro – bei Bewertung und Beförderung gleich behandelt werden. Flexible Arbeitsmodelle sollten so gestaltet sein, dass Mitarbeitende im Homeoffice nicht benachteiligt werden und die tatsächliche Gleichstellung der Geschlechter gefördert wird.

Wenn wir das als Gesellschaft hinbekommen, können wir eine neue Arbeitskultur schaffen, die nicht nur individuelle und familiäre Bedürfnisse berücksichtigt, sondern auch das Potenzial hat, veraltete Rollenbilder und Strukturen zu verändern.

Erst dann wird das Homeoffice tatsächlich zur Wunderwaffe.