«Mir wird oft gesagt: Du hast den Job auch nur, weil du eine Frau bist.» Das erzählt mir eine Kollegin und ETH-Ingenieurin beim Kaffee im März 2024.
«Es ist schwerer, Frauen zu finden, die Verantwortung übernehmen wollen.» Das sagt ein CEO, als er im kleinen Rahmen über seine Erfahrungen als Chef eines grossen Unternehmens berichtet, im April 2024.
Zwei Gespräche und eine Frage: Was braucht es, damit Gleichstellung endlich Realität wird in der Schweizer Arbeitswelt? Was muss sich ändern: das System oder die Frauen?
In ihrem Buch «Fix the system not the women» schreibt Autorin Laura Bates über die Hürden, die Frauen jeden Tag in den wichtigsten Bereichen unserer Gesellschaft überwinden müssen: in Bildung, Politik, Medien, Wirtschaft. Ihre Hauptaussage: Viel zu oft schieben wir als Gesellschaft Frauen die Schuld zu. Dafür, dass sie nicht sichtbar genug sind. Dass sie nicht härter kämpfen, um gehört zu werden. Dabei, so Bates, seien die Frauen nicht das Problem – sondern eine Gesellschaft voller Vorurteile, die schlicht nicht für Frauen gemacht ist.
Bates hat recht. Unser patriarchales System ist tatsächlich voller Stereotypen. Und an uns Frauen ist nichts falsch. Trotzdem reicht es nicht, zu sagen, dass sich das System ändern muss. Denn was heisst es, ein System zu ändern? Ein konkretes Beispiel aus dem Bereich der Medien:
2019 drehten sich 82 Prozent aller Medienberichte weltweit um Männer. In lediglich 18 Prozent der Artikel kam eine Frau vor. Im Bereich Sport waren 4 Prozent aller Medienberichte über Frauen. In den Schweizer Medien sahen die Zahlen nicht anders aus. Damals war ich Chefredaktorin bei Blick.ch und konnte mit CFO Annabella Bassler die Initiative EqualVoice mitgründen. Ein Algorithmus misst, wie sichtbar Frauen in den Medien sind – und jede Redaktion hat Massnahmen definiert, wie Frauen sichtbarer werden. Heute sind rund 30 Prozent aller Medienartikel in den Ringier-Medien über Frauen.
Wie und wo hat Veränderung stattgefunden?
Auf jeder Stufe des Unternehmens, vom Verleger über den CEO bis hinein in jeden Newsroom: Die Führungskräfte haben dabei eine entscheidende Rolle. Sie können den Prozess mit ihrem Engagement massiv beschleunigen, damit Veränderung jeden Tag gelebt wird.
Während der Algorithmus misst, wie oft Frauen in Artikeln vorkommen, ist es an den Redaktionen, zu reflektieren, wie sie über Frauen schreiben – und welche Bilder sie von Frauen zeigen. Auffallend dabei war, dass von Frauen in der Wirtschaft oft schlechte Bilder gezeigt wurden. Es waren Bilder, auf denen Frauen wild gestikulieren, reden oder undeutlich zu sehen sind. Männer im Business hingegen werden in den Medien oft souverän, lächelnd und selbstsicher gezeigt. Ich wollte wissen: Woher kommt dieser Unterschied?
Als ich mit den Fotochef:innen und Fotograf:innen redete, war ich überrascht: Sie sagten, es gebe in den Bilddatenbanken oft nur wenige Fotos von Frauen. Bei Fotoshootings seien Frauen oft froh, wenn es schnell vorüber sei – anders als Männer, die Spass hätten am Posieren.
Natürlich gilt dies nicht für alle Frauen und auch nicht für alle Männer, aber offenbar für einige Frauen in der Arbeitswelt.
Was haben wir geändert? Zuerst haben wir Aufmerksamkeit für das Thema der Bildauswahl geschaffen. Und wir haben das Problem an der Wurzel gepackt: Fotograf:innen und Expert:innen geschult. Dass Fotograf:innen die Frauen ermutigen, zu posieren, damit es mehr Bilder gibt. Daneben haben wir Frauen das Problem geschildert und ihnen erklärt, wie wichtig es ist, dass sie sich Zeit nehmen für ein Foto. Das Ergebnis sind tatsächlich mehr und bessere Fotos von Frauen. Für mich ein perfektes Beispiel von Fix the system, fix the women and fix the men.
Ein System zu verändern, heisst auch, dass alle bereit sind zur Veränderung und zum Lernen. «Das System» besteht aus einzelnen Menschen, die Veränderung vorantreiben können. Deshalb braucht es beides: Frauen und Männer, die ihre bisherigen Verhaltensmuster überdenken, die fordern und die sich aktiv dafür einsetzen, «das System» und damit auch die Rahmenbedingungen zu verändern.
Deshalb gebe ich in meinen Kolumnen Tipps, was jeder und jede einzelne tun kann. Jetzt und heute. Nur so kommen wir voran – Männer und Frauen gemeinsam.
Was können Männer tun? Journalisten können mehr Frauen anfragen und sie sichtbar machen. Chefs können darauf achten, dass sie Frauen in Meetings Raum geben: indem sie ihre Meinungen aktiv abholen und ihnen gleich viel Redezeit zur Verfügung stellen – denn noch immer ist es für Frauen schwer, in bestimmten Meetings gehört zu werden.
Ich wünschte, ich hätte dazu nichts mehr zu schreiben. Aber Gespräche wie jenes mit meiner Kollegin und dem CEO zeigen, dass es noch viel zu tun gibt. Jeden Tag. Für jeden und jede von uns: Fix the system by fixing men and women.