Vreni Giger gehört zur Spitzenklasse der Schweizer Gastronomieszene: Lange Jahre führte sie das Restaurant Jägerhof in St. Gallen mit 17 Gault-Millau-Punkten, heute ist sie Gastgeberin im Restaurant Rigiblick in Zürich. In der Küche arbeitet das Team unter einem jungen Küchenchef. Der Erfolg komme nicht von ungefähr, erklärt Giger. Die Arbeit in der Küche verlangt einem einiges ab: Man arbeitet dann, wenn die Freund:innen frei haben, es braucht grosses Verständnis von den Menschen, die einem eigentlich am nächsten stehen. Und – leider noch immer – gerade als Frau steht man vor grösseren Herausforderungen: «Für mich war es klar, dass ich keine Familie haben werde, sondern mich voll und ganz auf meinen Job konzentriere», so Giger.
Verpflichtungen wie etwa Elternabende können für Köch:innen schwierig sein, erzählt sie: «Ich habe am Nachmittag drei Zimmerstunden, am Abend kann ich nicht in die Schule kommen – aber am Nachmittag arbeitet der Lehrer. Das braucht eine ausgeklügelte Organisation». Auch einen Partner gibt es momentan nicht in Gigers Leben: «Das ist momentan der einfachste Weg, weil ich für niemanden ausser mich selber verantwortlich bin in meinem Privatleben». Würde sie jemanden treffen, so die Köchin, müsste sich diese Person extrem anpassen können.
Mit Kind in der Küche
Auch Silvia Manser gehört zu den Gault-Millau-Köch:innen. Mit 16 Punkten führt sie das Restaurant Truube in Gais (AR). Im Unterschied zu Vreni Giger stellte sich für sie aber nie die Frage: Kinder oder Karriere? Manser wollte beides. Schon ihre Tante war Mutter von vier Kindern, führte aber gleichzeitig eine Metzgerei und ein Restaurant. Auch Mansers Eltern waren beide berufstätig: «Ich kannte es gar nicht anders und für mich war immer klar, dass die Familie an erster Stelle steht». Seit 2001 führt sie die Truube zusammen mit ihrem Mann. Das Paar hat drei Kinder im Teenager- und Erwachsenenalter.
Ohne Hilfe von aussen wäre das definitiv nicht möglich gewesen, erzählt sie: «Meine Eltern wohnen im Nachbarhaus und haben uns immer geholfen mit den Kindern. Wäre das nicht so gewesen, hätten wir nach dem ersten Kind definitiv anderweitig Hilfe organisieren und zum Beispiel ein Aupair einstellen müssen». Sie übernahm das Restaurant, als ihr erster Sohn vier Monate alt war und nach der Geburt ihrer ersten Tochter stand sie drei Wochen später wieder in der Küche. Wie gelingt einem das? «Das Baby stand in der Wippe in der Küche, der Kleine räumte ab und zu ein paar Schubladen aus, so war das halt», erklärt Manser und lacht.
Sieben Personen arbeiten in der Truube, das Restaurant hat viereinhalb Tage in der Woche geöffnet. Fast alle Mitarbeitende sind Vollzeit angestellt, Familie hat noch niemand von ihnen. «Aber wenn das einmal der Fall sein sollte, dann werden wir uns wieder ein anderes Modell überlegen», sagt Manser. Ihr ist wichtig, dass alle möglichst so arbeiten können, wie es zum Lebensmodell passt. Diesbezüglich stellt die Köchin eine Veränderung fest: «In den letzten Jahren hat sich hier einiges getan. Die Küchen müssen sich überlegen, wie sie ihre Mitarbeitenden behandeln und wie sie diese möglichst lange behalten können – anders geht es heute nicht mehr».
Manser habe auch schon in Küchen gearbeitet, in denen man sie anschrie, zwischen Service und Küchenpersonal herrschte Krieg und die Arbeitsatmosphäre war ruppig. Diese Klischees seien teilweise wahr, erzählt sie: «Für mich war aber klar, dass ich das in meiner eigenen Küche sicher nicht so haben will. Klar, es ist nicht immer alles rosig, man hat viel Stress und manchmal fällt mal ein grobes Wort. Aber generell will ich eine Atmosphäre, in der sich alle wohlfühlen und gerne arbeiten». Besonders bei der jüngeren Generation scheine sich ein Wandel abzuzeichnen was Genderfragen und Arbeitsmodelle angeht.
Teilen mundet
Zu dieser Generation gehört Bettina Larghi, sie führt zusammen mit ihrem Mann die Restaurants «Zum Goldenen Fass» und «Lauch» in Basel. Auch Larghi stand wenige Wochen nach der Geburt ihres Kindes wieder im Restaurant. Die Betreuungsarbeit teilte sie sich von Anfang an mit ihrem Mann: «Anders wäre es für uns beide gar nicht infrage gekommen», erzählt sie. Auch sie hatte als junge Mutter Unterstützung von ihrer Familie: Ihre Eltern leben im gleichen Quartier und waren jeweils einen Abend in der Woche als Hütedienst zur Stelle. Eine klassische Karriere habe sie nie wirklich verfolgt, erzählt sie, ansonsten hätte sie sich vielleicht zwischen Job und Familie entscheiden müssen: «Für mich ist Vereinbarkeit gut machbar, aber auch, weil mein Mann mit mir zusammen die Restaurants führt.
Als Hotelmanagerin einer grossen Kette oder als Starköchin in einer Spitzenküche dürften die Voraussetzungen strenger sein». Dass sich langsam aber sicher eine Veränderung in der Gastronomieszene bemerkbar macht, selbst in den eher konservativen Ecken, kann Larghi bestätigen. Es reiche aber nicht aus, wenn sich bloss eine Branche verändere – die ganze Gesellschaft habe noch viel Luft nach oben, wenn es um Gleichstellung gehe und diese Veränderungen brauche es auch: «Wir haben einen kleinen Schritt gemacht mit dem Vaterschaftsurlaub, aber es braucht auch besseren Zugang zu Kinderbetreuung zum Beispiel. Sonst bleibt es noch lange so, dass vor allem Mütter auf dem Papier tatsächlich unflexibler sind».
Diese Veränderungen liegen auch immer wieder in Frauenhand, das zeigt Zineb «Zizi» Hattab. Früher arbeitete sie als Software-Ingenieurin, heute gehört sie zu den gefragtesten Köchinnen der Schweiz. 2020 eröffnete sie das «Kle» in Zürich, kurze Zeit später kam das «Dar» dazu. Hattab kocht ausschliesslich vegan, Gault Millau verlieh ihr 14 Sterne und wählte sie vor einem Jahr zur «Köchin des Jahres». Für Hattab ist klar, dass sich etwas ändern muss in der Gastronomieszene. Sie führt ihr Team, zu dem auch ihr Mann gehört, mit grösstmöglicher Empathie und verlangt von ihren Mitarbeitenden Ehrlichkeit. Ein Ansatz, den man so noch selten hört von Chef:innen. Hattab versucht so, bestehende Muster aufzulösen: «Es ist doch so, die meisten Chefs in der Gastronomie sehen sich als Alphamännchen – und sie suchen ihresgleichen: Man muss hart sein, darf sich nicht beschweren und am besten gar keine Gefühle zulassen».
Rezept: Abschaffung der Hierarchien
Hattab arbeitete in solchen Küchen und für sie war schnell klar, dass sie in ihren eigenen Restaurants weit weg von dieser Welt sein will: «Ich habe das Gefühl, weiblich konnotierte Eigenschaften werden immer wichtiger, auch in der Gastronomie. Zuhören, aufeinander eingehen, lösungsorientiert Kommunizieren. Vielleicht befinden wir uns in einem gesellschaftlichen Wandel Richtung liebevollem Umgang miteinander». Gastronomie bedeutet Knochenarbeit, viel Leidenschaft und Hingabe. Gerade darum sei es wichtig, dass daneben das Emotionale nicht vergessen gehe, sagt Hattab: «Auch Männer blühen in einem liebevollen Umfeld auf, das stelle ich immer wieder fest». Die Hierarchien in Hattebs Restaurants sind nicht nur flach, sie hat sie kurzerhand auf den Kopf gestellt: «Ich bin hier, um mein Team zu supporten, also stehe ich zuunterst in einer Pyramide der Hierachie, wie ein Fundament», erklärt sie. Ein Restaurant funktioniere nicht, wenn sich der Tellerwäscher unwohl fühlt, «oder die Reinigungskraft, die für uns putzt», führt Hatteb aus.
Führen mit Gefühl
Auch Linda Hüsser und Meret Diener reihen sich ein in eine neue Generation von Gastronominnen. Die beiden jungen Frauen lernten sich während ihrer Ausbildung an der Hotelfachschule in Lausanne kennen und führen zusammen das Pop-Up-Restaurant «Zur Goldige Guttere» in Zürich. Das Geld dafür kommt von den Vorgängerprojekten: Zum einen war das «Iklämmt», wo die beiden Mittzwanzigerinnen in der Olé-Olé-Bar heisse Grilled Cheese Sandwiches verkauften, dann folgte das Pommes-Pop-Up «Atomic Fritten», ebenfalls an der Zürcher Langstrasse. Und nun also die «Guttere», die noch bis im Herbst geöffnet ist. Tritt man am frühen Abend durch die Tür, begrüssen einen flaschengrüne Holzwände, kitschige Wandlampen und auf der Toilette warten Nagellacke und Lametta. Hüsser und Diener führen ein kleines Team, alle arbeiten Teilzeit und verfolgen daneben noch eigene Projekte: «Uns ist wichtig, dass die Leute bei uns arbeiten, weil sie das wirklich wollen und die gleiche Leidenschaft für die Gastronomie hegen wie wir», erzählt Diener. Von einer Küche, in der man sich anschreit, wollen auch die beiden nichts wissen.
Dass die Gastronomiebranche noch immer sehr männlich geprägt ist, steht für beide ausser Frage: «Aber eigentlich wäre es wünschenswert, dass es eben kein grosser Deal mehr ist, wenn zwei junge Frauen erfolgreich ein Restaurant führen. Das ist aber noch immer nicht so. Vielleicht befinden wir uns in einer Übergangsphase diesbezüglich», sagt Hüsser. Auch für die beiden Chefinnen heisst das Zauberwort beim Führungsstil Empathie. Das sei auch nachhaltiger, erklärt Diener: «Wo die Mitarbeitenden sich wohlfühlen, wollen sie lange bleiben».