Es begann, wie so oft, mit dem Alkohol. Der positive Schwangerschaftstest war eine sehr private Sache, meine plötzliche Abstinenz jedoch schmerzhaft publik und ein Problem im Büro.
Eigentlich fände ich es wichtig, zu normalisieren, wie viele Frauen ihr ungeborenes Kind verlieren, gerade in den ersten drei Monaten. Ich nahm mir vor, offen mit dem Thema umzugehen und dieses von der Gesellschaft vorgegebene Versteckspiel nicht mitzumachen. Doch sobald ich mich konkret damit auseinandersetzte, dass schätzungsweise 20 Prozent der Schwangerschaften in einer Fehlgeburt enden (je älter die Mutter, desto höher das Risiko), dämmerte mir, weshalb sich so viele Frauen für diesen Weg entscheiden. Im privaten Rahmen geht es wohl in erster Linie um Erwartungsmanagement. Und bei der Arbeit um die Verhinderung, als schwächstes Glied gebrandmarkt zu werden.
Also schwieg ich.
Ich täuschte geduldig Konsum vor, sagte Treffen zu alkoholüblichen Zeiten ab und sass stattdessen gelangweilt zu Hause. Die Zeit, in der mein Freund absolut nichts an seinem Lebensstil ändern musste, während ich für die nächsten Monate und Jahre zum gesellschaftlichen Sonderfall mutierte, brach an.
Die 13. Woche kam und ging, und bald wussten alle Bescheid. Einerseits eine Erleichterung, andererseits im professionellen Kontext irgendwie schräg. Ich trenne mein Berufs- und Privatleben relativ strikt, und jetzt weiss Linda aus dem Marketing, dass mein Freund beim Sex an Ostern kein Kondom getragen hat. Alle freuen sich mit dir, wollen über die doch sehr private Entscheidung für ein Kind plaudern und reagieren irritiert, wenn du nicht einstimmst in ihren euphorischen Babytalk.
Und dann kam der Tag, an dem sich meine Wahrnehmung um 180 Grad drehte. Während ich mir im ersten halben Jahr meiner Schwangerschaft die alte Normalität zurückgewünscht hatte, wollte ich mit Beginn des dritten Trimesters schreien: «Nichts ist normal! Behandelt mich nicht so, als wäre ich nicht schwanger!» Ich verzweifle ob meines Workloads, werde stetig langsamer, gestresster und vergesslicher, fühle mich körperlich von Tag zu Tag schlechter und kann meinen Alltag kaum bewältigen. Man muss dazu sagen, dass ich eine komplett unauffällige Schwangerschaft habe. Keine Ahnung, wie das Frauen machen mit komplizierten Verläufen.
Wäre ich angestellt in Österreich, hätte ich in wenigen Wochen meine Ruhe, könnte meine Tage (oder das, was von ihnen übrigbleibt) dem Schwangerschaftssport, gesunder Ernährung, ausgedehnten Spaziergängen und der Vorbereitung auf die Geburt widmen – acht Wochen vor dem voraussichtlichen Geburtstermin nämlich beginnt für unsere Nachbarinnen die Mutterschutzfrist. Deutsche Frauen werden sechs Wochen vor dem Termin beurlaubt, Italienerinnen normalerweise neun und Britinnen sogar bis zu elf.
Und wir? Rackern uns gutschweizerisch ab, bis die Fruchtblase platzt, und sind dann auch noch stolz darauf.
Die einzige Option, die mir bleibt, ist die Krankschreibung. Viele Frauen machen davon Gebrauch: 81 Prozent der erwerbstätigen Frauen unterbrechen ihre Arbeit während der Schwangerschaft, meist vollzeitlich, und nur jede sechste Frau arbeitet tatsächlich bis zur Geburt. Das allerdings ist schlecht planbar und bringt in Erklärungsnot. Zum einen dem Arbeitgeber, vor allem aber auch mir selbst gegenüber. Fühle ich mich wirklich schlecht genug, um eine Reduktion zu rechtfertigen? Darf ich mein Team im Stich lassen für etwas, was ich mir selbst eingebrockt habe? Aktuell gewinnt bei mir noch das Pflichtbewusstsein. Die Stimme, die sagt «Mein Kind bezahlt eines Tages deren Renten!» jedoch wird täglich lauter und überzeugt mich hoffentlich bald von der Notwendigkeit meiner Selbstfürsorge.
Ich stimme Ständerätin Flavia Wasserfallen (SP/BE) zu, die sich vor einigen Jahren für einen gesetzlich geregelten Mutterschutz vor der Geburt starkmachte (leider ohne Erfolg – wie sie auf Anfrage sagt, hat die Forderung auf nationaler Ebene aktuell keine Chance). So wären wir während unserer doch eigentlich sehr gemeinnützigen Arbeit als Kindesausträgerinnen nicht noch zusätzlich belastet mit der inneren Zerrissenheit zwischen Verantwortungsgefühl und dem dadurch gestörten Hören auf den eigenen Körper.
Wobei ich anerkennen muss, dass ich mich in einer Luxussituation befinde: In der Schweiz erleidet ein Viertel der schwangeren Angestellten Lohneinbussen. Gründe dafür können sein, dass Stundenlöhnerinnen weniger Arbeitseinsätze zugeteilt werden als vor der Schwangerschaft, Frauen in der Probezeit keinen Kündigungsschutz geniessen oder bei gesundheitsbedingten Absenzen nicht der volle Lohn fortbezahlt werden muss.
Schwangere Arbeitslose wiederum verlieren nach 30 aufeinanderfolgenden Krankheitstagen ihr gesamtes Einkommen, Selbstständige meist bereits ab Tag 1. Erstere können vor der Geburt übrigens sogar ausgesteuert werden: Sind die ihnen zustehenden Taggelder aufgebraucht, fliegen sie raus und haben in der Folge keinen Anspruch mehr auf Mutterschaftsentschädigung.
Dumm gelaufen, sagt sich dann das System und lacht sich ins Fäustchen.
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