Alexia Hungerbühler und Ramona Urwyler wollen die Welt der Verwaltungs- und Stiftungsräte umkrempeln. Ihr Ziel: Mehr Frauen in diesen Gremien. Aktuell sind Frauen mit knapp 15 Prozent in diesen Positionen deutlich untervertreten. Der Diversity Report 2022 hat die Daten von über 8000 Schweizer Aktiengesellschaften ausgewertet. Fazit: Frauen führen 4069 Verwaltungsratsmandate aus, Männer ganze 23'132. Und das ist nicht alles. Fast zwei Drittel der untersuchten Unternehmen (63 Prozent) haben auch im Jahr 2022 keine einzige Frau im Verwaltungsrat und werden von reinen Männergremien geführt. Der Anteil Unternehmen mit einem komplett weiblichen Verwaltungsrat ist hingegen mit 1,5 Prozent verschwindend klein.
Ein mächtiges Gremium
Um das zu ändern, haben Alexia Hungerbühler und Ramona Urwyler mit vier Mitstreiterinnen den Verein Women for the Board gegründet. Der Verein bietet potenziellen Verwaltungs- und Stiftungsrätinnen eine Plattform, Sichtbarkeit und ein Netzwerk. Warum es das braucht? Weil gerade Verwaltungsräte ein mächtiges Gremium sind: Sie legen die Strategie eines Unternehmens fest und bestimmen die Unternehmensziele. Sie prägen die Kultur im Unternehmen, indem sie unter anderem die Hierarchien festlegen, definieren, wie ein Unternehmen geführt und wie mit personellen Problemen umgegangen wird. Sie überblicken die kurzfristigen und langfristigen Finanzzahlen. Und last but not least: Sie bestimmen, wer in der Geschäftsleitung sitzt.
Dass Frauen bei all diesen Entscheidungen deutlich weniger zu sagen haben oder ganz aussen vor bleiben, wollen die Gründerinnen von Women for the Board nicht mehr hinnehmen. «Statt uns nur über die aktuellen Zustände und Zahlen aufzuregen, möchten wir mit unserem Netzwerk dazu beitragen, dass sich in den Verwaltungsräten etwas ändert», sagt Alexia Hungerbühler.
Fast 30 Frauen stellen sich zur Verfügung
Entstanden ist die Idee zu Women for the Board vor rund einem Jahr. Damals absolvierten fünf der Gründerinnen ein Mentoringprogramm der Fachhochschule Ost rund um das Thema der Verwaltungsratsarbeit. «Für uns war klar, dass wir daraus etwas machen wollen, das Frauen etwas bringt», sagt Ramona Urwyler.
Heute betreibt der Verein eine Website, eine Linkedin-Gruppe mit rund 200 Mitgliedern sowie einen WhatsApp-Chat. Auf der Webseite können sich potenzielle Verwaltungs- und Stiftungsrätinnen vorstellen. Mittlerweile sind knapp 30 Frauen aufgelistet. Alle mit ihrem beruflichen Werdegang, Kompetenzen und ihren Interessen. Wer sich hier zeigen will, muss ein Bewerbungsgespräch mit den Vereinsgründerinnen durchlaufen. «Wir wollen wissen, ob die Frauen wirklich ein Mandat wollen. Wir möchten nur ernsthafte Kandidatinnen präsentieren», betont Alexia Hungerbühler. In der Linkedin-Gruppe geht es weniger formell zu. Hier stehen das Teilen, das Vernetzen und das Engagement für mehr Diversität im Fokus. Auch Männer sind hier dabei. «Bei der WhatsApp-Gruppe, in der alle Kandidatinnen der Website vertreten sind, gilt das Credo: Wir unterstützen einander und sind offen», sagt Alexia Hungerbühler. Wer von einem freien Mandat höre oder eines angeboten bekomme und es nicht selbst annehmen könne, teile es nach Möglichkeit mit der Gruppe. «Unser Ziel ist, dass möglichst viele von dem Wissen und den Kontakten profitieren», erklärt Alexia Hungerbühler.
Gegen die alten Seilschaften und für mehr Diversität
Dieses Vorgehen ist den Gründerinnen besonders wichtig. Sie sind nämlich überzeugt: In den Verwaltungsräten sitzen heute nicht deshalb oft nur Männer, weil es an fähigen Frauen für diese Posten fehlt. Sondern weil Frauen schlicht nicht angefragt werden. An dieser Stelle lohnt es sich, einen Blick darauf zu werfen, wie man eigentlich Verwaltungsrät:in wird. Die Karrierewege sind natürlich unterschiedlich. Insgesamt sind Verwaltungsrät:innen aber häufig erfahrene und ältere Berufsleute. Oft handelt es sich um ehemalige Geschäftsleitungsmitglieder wie CEOs oder CFOs. Auch Jurist:innen übernehmen solche Posten. Um offene Verwaltungsratsmandate zu besetzen, nutzen Unternehmen oft Kaderrekrutierungsfirmen. Es kommt auch vor, dass Mandate auf den gängigen öffentlichen Jobportalen ausgeschrieben werden. Dies ist aber deutlich seltener der Fall.
Genau hier sehen die Gründerinnen von Women for the Board die grösste Schwierigkeit für Frauen: Ihnen fehlen Beziehungen und Netzwerk. «Wer einen Verwaltungsratssitz zu besetzen hat, aktiviert die alten Seilschaften. Will heissen: Man fragt jemanden, mit dem man schon mal in einem anderen Verwaltungsrat oder in einer Geschäftsleitung sass», führt Ramona Urwyler aus. Das erschwere Frauen den Zugang. Und: «Es sorgt dafür, dass Verwaltungsräte zu einem grossen Teil aus alten weissen Männern bestehen.» Das sei nicht nur für Frauen ein Problem. Diese Zusammensetzung repräsentiere auch die Gesellschaft nicht angemessen. Die Macherinnen von Women for the Board setzen sich darum nicht nur Punkto Geschlecht für mehr Diversität ein. Auch in Bezug auf Alter, Erfahrung und Werdegang wollen sie zum Umdenken anregen. «Natürlich braucht es in Verwaltungsräten Personen mit Erfahrung. Genauso wichtig sind aber jüngere Menschen», findet Ramona Urwyler. Sie hätten einen anderen Blick für das unternehmerische Umfeld und für Innovation: «Um als Unternehmen erfolgreich zu sein, braucht es genau diese Mischung.»
War da nicht noch was mit Quoten in Verwaltungsräten?
Doch, da war was: Allerdings betrifft dies nur grosse börsenkotierte Unternehmen. Sie sollten bis 2026 30 Prozent Frauen in ihren Verwaltungsräten und bis 2031 insgesamt 20 Prozent Frauen in den Geschäftsleitungen haben. Diese «Frauenquote light» verlangt die Aktienrechtsrevision, die seit Januar 2021 in Kraft ist. Noch erreichen aber viele dieser Unternehmen diese Richtwerte nicht: Laut Diversity Report sitzen aktuell 19 Prozent Frauen in den Verwaltungsräten der börsenkotierten Unternehmen und 11 Prozent in den Geschäftsleitungen. Die 20 grössten Schweizer Unternehmen haben immerhin schon einen Anteil von 27 Prozent Frauen im Verwaltungsrat und 18 Prozent in den Geschäftsleitungen. Ob die definierten Ziele rechtzeitig erreicht werden, ist fraglich. Denn der Druck ist relativ bescheiden – zumindest von Gesetzes wegen. Wer die Quoten nicht schafft, muss lediglich in einem Bericht die Gründe angeben, weshalb es nicht geklappt hat, und darlegen, welche Massnahmen künftig zur Verbesserung ergriffen werden.
Das System soll ein Selbstläufer werden
Positiver ist die Bilanz von Women for the Board: Nach rund einem Jahr Tätigkeit sind die Reaktionen zahlreich und die Resonanz auf die Aktivitäten gross. Von unterschiedlichsten Seiten wird der Verein angegangen. Sowohl Vermittler:innen als auch Unternehmen und potenzielle Kandidatinnen stehen im Kontakt mit den Gründerinnen. Die LinkedIn-Gruppe wächst, Wissen und Mandate werden geteilt, und zwar, ohne dass die Gründerinnen bisher viel dafür getan haben. Und schliesslich haben auch erste Kandidatinnen Mandate übernommen. Ramona Urwyler selbst ist dank ihrer Tätigkeit für Women for the Board seit kurzem Mitglied des Innovation Boards der Zippsafe AG.
Konkrete quantitative Vermittlungsziele oder ähnliches für die Zukunft hat sich der Verein bisher nicht gesteckt. In erster Linie soll das Netzwerk wachsen. Idealerweise wird es zu einem Selbstläufer. Dies nicht zuletzt, weil die Gründerinnen das Netzwerk neben ihrer beruflichen Tätigkeit betreiben, freiwillig und ohne Lohn. «Je mehr wir sind und je mehr Frauen wir in diese Positionen bringen, umso mehr Mandate werden an Frauen vergeben», ist Ramona Urwyler überzeugt. Denn in der Welt der Verwaltungsräte sei es nun mal so: Wer hat, dem wird gegeben. «In diesen Kreislauf wollen wir Frauen reinbringen. Nun sind auch wir gespannt, wie sich das weiterentwickeln wird.»