Anne, du beschreibst am Anfang deines Buches, wie sich dein Freund von dir getrennt hat und du plötzlich alleinerziehende Mutter warst. Wie war das für dich?

Anne Dittmann: Die Trennung kam für mich sehr überraschend. Ich hatte immer den Traum von einer eigenen kleinen Familie. Und plötzlich hat sich mein Partner von mir getrennt, das war ein Schock für mich. Es war mir wichtig, ehrlich darüber zu schreiben – gerade, weil das Thema Trennungen gesellschaftlich stigmatisiert wird. Man spricht höchstens mit der besten Freundin wirklich ehrlich darüber, wie es einem geht. Nach aussen hin versucht man, eine Fassade zu wahren.

Du und dein Partner wart bei der Trennung Mitte Zwanzig, hattet gerade erst euer jeweiliges Studium abgeschlossen und euer Kind war noch keine zwei Jahre alt. Wie ging es dir damit?

Wir hatten keine ausgeklügelten Konfliktlösungsstrategien. Ich erinnere mich daran, dass ich in dieser Zeit oft an meine Mutter gedacht habe und mich irgendwie geschämt habe, weil sie es damals augenscheinlich geschafft hat, das alles alleine durchzustehen – sie war ebenfalls Alleinerziehende. Und ich kam sehr oft an meine Grenzen. Ich war auch enttäuscht von meinem Ex-Partner, weil er sich eine andere Zukunft vorstellte.

Wie trennt man sich in einer solchen Situation fair?

Ich musste lernen, Verantwortung zu übernehmen, auch wenn es manchmal schwierig war. Was eine Trennung unter anderem so herausfordernd macht, ist, dass man wahnsinnig viel Liebe aufbringen und Nachsicht haben muss: für sich, den Ex-Partner und das Kind. Sonst schafft man es nicht. Das braucht unfassbar viel Energie.

Du warst also quasi von einem Tag auf den anderen Alleinerziehende – und hast gleichzeitig gearbeitet. Wie sah dein Alltag aus?

Ich habe damals mit meinem Ex-Partner vereinbart, dass unser Sohn unter der Woche mehrheitlich bei mir ist und er ihn jeweils an zwei Wochenenden im Monat zu sich nimmt – und Alimente bezahlt er auch. Ich stand unter der Woche also gegen 5.30 Uhr auf, habe mich und mein Kind fertig gemacht und ihn um 8 Uhr in die Kita gebracht. Das klingt jetzt so speditiv, aber wer Kinder hat, weiss: All das braucht viel Geduld. Das Kind will keine Regenjacke anziehen, es mag das Frühstück vielleicht nicht oder hat sowieso keine Lust, rauszugehen. Das Fertigmachen verläuft also nie nach Plan. Mein Sohn hat ausserdem die ersten zwei Jahre bei der Übergabe oft geweint, das tat mir im Herzen weh, und ich habe auf dem Weg in die Redaktion auf dem Fahrrad erstmal selbst geweint. Um 8.30 Uhr war ich dann in der Redaktion – ich konnte zum Glück aushandeln, dass ich etwas später anfangen konnte.

Anne Dittmann
Ich glaube, wenn man eine gut bezahlte Arbeit hat, die wirklich bloss ein «Geld-Job» ist, geht das mit der Vereinbarkeit in Teilzeit ein bisschen besser. Aber dafür bin ich nicht Journalistin geworden.

Wie viel hast du zu Beginn gearbeitet?

Zwischen 24 und 28 Stunden in der Woche. Ich habe pro Arbeitstag etwa sechs Stunden durchgeackert, bevor ich meinen Sohn wieder aus der Kita abholen musste. Hätte ich mehr gearbeitet, hätte ich eine Pause machen müssen – und dann hätte sich mein ganzer Tag noch mehr nach hinten verschoben. Diesen Freiraum hatte ich nicht, ich musste  ja ein Kind betreuen.

Wie vereinbart man Arbeit und Beruf als alleinerziehende Mutter?

Die Antwort auf diese Frage hat mehrere Ebenen. Mir ist die Vereinbarung zeitlich gut gelungen, aber meine Identität als Journalistin ging in dieser Zeit total flöten. Ich glaube, wenn man eine gut bezahlte Arbeit hat, die wirklich bloss ein «Geld-Job» ist, geht das mit der Vereinbarkeit in Teilzeit ein bisschen besser. Aber dafür bin ich nicht Journalistin geworden.

Was meinst du damit?

Meine Arbeit war für mich immer ein Stück weit auch Selbstverwirklichung. Und mir wurden auf der Redaktion keine spannenden Aufträge gegeben, weil die Haltung war: Das kriegt man nur in Vollzeit. Ich hatte keine Möglichkeiten, aufzusteigen oder mich weiterzuentwickeln. Und ich hatte wirklich das Gefühl, dass es daran lag, dass ich neben dem Job noch ein Leben und Aufgaben als Mutter hatte und keine 40 Stunden pro Woche arbeiten konnte. Am Ende wurden mir Aufgaben abgeschoben, die jeder Student hätte erledigen können. Das frustriert, man fühlt sich null ernst genommen, und es erfüllt einen natürlich überhaupt nicht.

Anne Dittmann
Auf dem Papier sah mein Job super aus, aber in der Realität wurde ich damit krank. Als ich meinem Chef die Kündigung auf den Tisch legte, habe ich trotzdem geweint.

Du hast schliesslich gekündigt und dich als Journalistin und Autorin selbstständig gemacht. Wie du es beschreibst, war das keine ganz selbstgewählte Entscheidung?

Es war die beste Entscheidung meines Lebens, und gleichzeitig war sie nicht selbstbestimmt. Aber geschehen ist leider nichts: Man hat mir keine anderen Aufgaben gegeben und mich nicht gefördert. Irgendwann fand ich dann den Mut, zu kündigen. Über diesen Entscheid habe ich aber sicher eineinhalb Jahre nachgedacht,  immer wieder mit meinen Vorgesetzten gesprochen und versucht, Lösungen zu finden – bis ich gemerkt habe, dass mich meine berufliche Situation einfach wahnsinnig unglücklich macht.

Warum hast du so lange mit dir gerungen?

Ich fühlte mich total privilegiert, immerhin hatte ich direkt nach meinem Studium eine Festanstellung bei einer grossen Berliner Zeitung bekommen. Ich war überzeugt, meine ehemaligen Kommiliton:innen würden mir den Vogel zeigen, wenn ich diese Stelle einfach ins Blaue hinaus kündige. Man musste schliesslich dankbar sein, einen so tollen Job zu haben, das war der Jackpot! Den wirft man nicht einfach weg. Diese Entscheidung fiel mir also wirklich nicht leicht. Aber das Gefühl, nicht wertgeschätzt und nicht gefördert zu werden, hat bei mir am Ende zu einem Burn-out geführt – damit wurde mir die Entscheidung im Prinzip abgenommen: Auf dem Papier sah mein Job super aus, aber in der Realität wurde ich damit krank. Als ich meinem Chef die Kündigung auf den Tisch legte, habe ich trotzdem geweint.

Weshalb?

Es fühlte sich an wie eine zusätzliche Demütigung, als würde ich aufgeben. Als würde ich das alles eben doch nicht hinkriegen. Dabei war ich eigentlich total wütend und hatte gleichzeitig Angst, da war ein totales Gefühlschaos in meinem Kopf. Ich hatte ja auch keinen Plan für die Zukunft. Klar hätte ich mich in anderen Redaktionen bewerben können, aber ich hörte zu dieser Zeit von anderen Kolleg:innen, die auch kündigten, dass es an anderen Orten nicht besser ist: Keine Wertschätzung, keine Unterstützung, von Vereinbarkeit keine Rede; eigentlich bloss ein Verschleiss von Journalist:innen.

Anne Dittmann
Den Job hinzuschmeissen ist gesellschaftlich derart stigmatisiert, dass eine Diskussion über toxische Arbeitsumfelder praktisch verunmöglicht wird

Trotzdem sagst du, es war die beste Entscheidung deines Lebens. Was rätst du anderen alleinerziehenden Müttern, die sich in derselben Situation befinden wie du damals?

Wenn es einem schlecht geht, weil einen die Arbeit in Depressionen oder Burn-outs stürzt und man deswegen kündigen möchte, sollte man sich unbedingt rechtlich und ärztlich beraten lassen. Es ist wichtig, dass man so vorgeht, dass man sich nicht selbst zusätzlich schadet und im schlimmsten Fall kein Arbeitslosengeld erhält. Ich hatte damals nicht genug Erspartes, um mich mehrere Monate über Wasser halten zu können – wie auch als Alleinerziehende? Was mir auch sehr geholfen hat, war der Austausch mit anderen Menschen in meinem Leben, die zum Glück auch gerade gekündigt hatten.

Zum Glück?

Es ist wirklich wichtig, dass man darüber sprechen kann, wie es einem geht. Gerade dann, wenn man aus psychischen Gründen gekündigt hat. Den Job hinzuschmeissen ist gesellschaftlich derart stigmatisiert, dass eine Diskussion über toxische Arbeitsumfelder praktisch verunmöglicht wird – wobei sich diese Debatte ja gerade total wandelt, besonders bei jungen Menschen. Trotzdem gibt es noch immer viele schädliche Vorurteile.

Welche Vorurteile meinst du?

Als Arbeitslose «leistet» man nichts, das ist so schambehaftet. Die Gespräche, die ich mit meinen Freund:innen, die ebenfalls gekündigt hatten, führte, haben sich aber wahnsinnig bestärkend angefühlt und waren sehr heilend für mich. Es fühlte sich weniger nach Scheitern an, sondern eher nach Neuanfang. Ich finde heute, dass ich das damals sehr gut gemacht habe. Ich habe auf mich gehört und mir eine dringend nötige Auszeit gegönnt.

Anne Dittmann
Es darf nicht sein, dass Frauen noch immer so oft in finanzielle Nöte geraten, wenn sie sich aus Situationen lösen, die schlecht oder sogar gefährlich für sie sind. Sei es eine gewaltvolle Beziehung oder eben ein Job, der sie krank macht.

Wie bist du vorgegangen?

Ich habe mir von meinem Arzt bescheinigen lassen, dass mein Job mich krank macht, und daher auf ärztliches Anraten hin gekündigt. Ich hatte also direkt nach der Kündigung Anspruch auf Arbeitslosengeld. In Deutschland bekommt man das ein ganzes Jahr nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Ich gestand mir also zu, mir ein Jahr Zeit zu nehmen – und auch einfach mal «nichts zu machen», zumindest in Bezug auf die Erwerbsarbeit. Ich sagte mir: Als Alleinerziehende hast du genug Stress, genug Belastung, du hattest genug schwere Jahre. Ich werde mich nicht aus Angst ins nächste Hamsterrad stürzen und riskieren, dass ich nochmals in ein Burn-out rassle. Das rate ich auch anderen, denen es so geht wie mir. Es wird uns immer eingetrichtert, dass wir «faul» oder «nutzlos» sind, wenn wir keiner Erwerbsarbeit nachgehen. Aber ich hatte damals gar keine andere Wahl, mein Körper und meine Psyche konnten einfach nicht mehr.

Kündigen muss man sich aber – je nach Situation – leisten können.

Selbstverständlich. Auch deshalb ist es so unfassbar wichtig, dass wir endlich den Gender Pay Gap schliessen. Es darf nicht sein, dass Frauen noch immer so oft in finanzielle Nöte geraten, wenn sie sich aus Situationen lösen, die schlecht oder sogar gefährlich für sie sind. Sei es eine gewaltvolle Beziehung oder eben ein Job, der sie krank macht. Ich hatte dieses Privileg, dass ich Anspruch auf Arbeitslosengeld hatte, und habe es genutzt. Das muss ausnahmslos für alle Frauen möglich sein.

Wie gelang dir der Einstieg in die Selbstständigkeit?

Es war sicher auch Glück dabei. Den Grundstein dafür, dass es immer besser lief mit meinen Aufträgen, legte eigentlich ein Instagram-Post. 2019 schrieb ich dort über weibliche Wut und darüber, dass es Frauen unglaubwürdig erscheinen lässt – weil Wut in der Gesellschaft ein männliches Privileg ist. Die «Brigitte» bot mir dann an, eine Titelgeschichte darüber zu schreiben. Und von da an kamen immer mehr Aufträge.

Anne Dittmann
Die Lösung ist nicht, dass Frauen für einen Hungerlohn als Erzieherinnen oder Haushaltshilfen arbeiten müssen, damit andere Frauen Karriere machen und viel Geld verdienen können. Es ist keine echte Gleichberechtigung, wenn sie nur für diejenigen gedacht ist, die sie sich leisten können.

In deinem Buch kritisierst du, dass die Strukturen vieler Unternehmen der Vereinbarkeit nicht gerade zuträglich sind. Kannst du das ausführen?

Es braucht dringend ein Umdenken seitens der Firmen. Das alte Modell, das sich jahrzehntelang gehalten hat, funktioniert einfach nicht mehr: Sie kümmert sich um die Kinder, er bekommt die Zeit freigeschaufelt, um für die Arbeit verfügbar zu sein. Er kann Vollzeit arbeiten und ist immer erreichbar, weil sie im Notfall für die Kinder einspringt. Darauf verlässt sich noch immer ein Grossteil der Arbeitgebenden.

Welche Veränderungen brauchen Alleinerziehende denn innerhalb der Arbeitswelt?

Damit wir uns an eine gleichberechtigte Gesellschaft annähern können, müssen wir entsprechende Bedingungen schaffen. Etwa sollte es sich für beide Elternteile lohnen, erwerbstätig zu sein. Das Ehegattensplitting sorgt steuerlich aber für das Gegenteil, es zementiert das traditionelle Rollenmodell. Eine weitere Baustelle ist der Niedriglohnsektor: Die Lösung ist nicht, dass Frauen für einen Hungerlohn als Erzieherinnen oder Haushaltshilfen arbeiten müssen, damit andere Frauen Karriere machen und viel Geld verdienen können. Es ist keine echte Gleichberechtigung, wenn sie nur für diejenigen gedacht ist, die sie sich leisten können.

Welche konkreten Massnahmen schweben dir vor?

Wann immer möglich: Homeoffice und Gleitzeiten. Und es braucht auf jeden Fall eine Senkung der Arbeitszeit. Die 40-Stunden-Woche verunmöglicht echte Gleichberechtigung. Eine Senkung würde auch dazu führen, dass mehr gut ausgebildete Mütter wieder ins Erwerbsleben einsteigen. Es wird ja immer über den Fachkräftemangel gejammert. Aber stattdessen gibt es ganz obskure Ideen.

Nämlich?

Ich war kürzlich auf einer Fachkonferenz, da hielt tatsächlich jemand einen Vortrag darüber, dass ein Unternehmen kostenlose Rentenberatungen für Mütter anbietet – um ihnen Angst zu machen, anstatt ihnen Lösungsansätze an die Hand zu geben oder die Strukturen an ihre Bedürfnisse anzupassen. Die Frauen sollen hören, dass sie in der Altersarmut landen, wenn sie ihr Arbeitspensum nicht aufstocken. Das Ergebnis waren verängstigte Mütter, die ihr Pensum aber nicht aufstockten, weil niemand zu Hause war, der sich um die Kinder kümmert.

Anne Dittmann
Alleinerziehende stören das System, und wo Systeme gestört werden, werden sie auch infrage gestellt: auf der Arbeit und in den Köpfen der Menschen. Und nur so haben wir die Chance auf echte, langfristige Veränderung und Gleichstellung.

Und diese Überlegung schliesst die Alleinerziehenden aus, die ihr Pensum oft gar nicht aufstocken können?

Genau. Eine echte Lösung wie die 30-Stunden-Woche wäre aber auch für sie machbar – so viel arbeiten sie im Durchschnitt in Deutschland nämlich sowieso schon –, und es würde sie konkurrenzfähig machen auf dem Arbeitsmarkt, auch für leitende, besser bezahlte Positionen. Hier verschenken Arbeitgeber:innen unglaublich viel Potenzial. Vor allem zumal es immer mehr Studien gibt, die beweisen, dass familienfreundliche Unternehmen auch mehr Rendite erwirtschaften.

Du zitierst in deinem Buch die Journalistin Michèle Loetzner, die schreibt: «Alleinerziehende sind Kämpferinnen gegen eine unterdrückende, patriarchale Ordnung», und die Gesellschaft solle froh sein um sie. Fühlst du dich da angesprochen?

Irgendwie schon, ja. Dieses Gefühl hat sich bei mir während der Recherche für mein Buch eingestellt, weil ich gesehen habe: Wir Alleinerziehende leben eigentlich eine Vision von Familie und Lebenswegen.

Kannst du das ausführen?

Vor über 100 Jahren wurde uns Frauen das Recht gegeben, sich scheiden zu lassen, und Frauen wie ich setzen diese Freiheit in die Praxis um. Ob freiwillig oder nicht: Wir verlassen die Abhängigkeit, in der so viele Mütter auch aufgrund von politischen Anreizen stecken, und zeigen, dass ein anderes Leben als das der traditionellen, gesellschaftlich zementierten Vorstellung von der Familie aus Mutter, Vater und Kindern möglich ist – und mehr noch, dass es selbstbestimmt und befreiend sein kann! Wenn das ganze Prekäre nicht wäre, könnte diese Art zu leben wunderschön sein. Man wäre wirklich nur noch deshalb mit jemandem zusammen, weil man will, nicht weil man abhängig ist von dieser Person. Alleinerziehende stören das System und wo Systeme gestört werden, werden sie auch infrage gestellt: auf der Arbeit und in den Köpfen der Menschen. Und nur so haben wir die Chance auf echte, langfristige Veränderung und Gleichstellung.

So gelingt dein Wiedereinstieg in den Beruf
Jede fünfte Mutter hängt ihre Karriere an den Nagel, um sich eine Zeit lang ganz der Familienarbeit zu widmen. Nach einigen Jahren ist der Weg zurück in die Erwerbswelt nicht immer einfach. Wir zeigen dir die Hürden, wie du sie überwindest und warum es wichtig ist, dass Unternehmen umdenken.
Lust auf berufliche Selbstständigkeit? Wir zeigen dir, wie’s geht
Wärst du gerne deine eigen:e Chef:in? Wir haben für dich die wichtigsten Punkte für die Selbstständigkeit zusammengestellt – von Tarifverhandlungen bis Altersvorsorge.