Du als Power-Mann, wie hast du trotz Kindern Karriere gemacht?
Es hat sich einfach so ergeben. Aber sicher hat es auch etwas mit Lebensfreude und Ehrgeiz zu tun.
Da du dich für drei Kinder entschieden hast, nehme ich an, dass du zu Hause geblieben bist und deine Frau arbeiten ging?
Das war interessant. Als meine Frau mit dem ersten Kind schwanger wurde, schlug ich ihr vor, dass sie nach der Geburt weiterarbeitet und ich in die Hausmänner-Rolle wechsle. Ich wollte sie bei ihren Arbeitseinsätzen begleiten und auf unser Kind schauen. Sie war damals IKRK-Delegierte, und ich stellte mir das sehr spannend vor, sie in alle Länder zu begleiten. Aber sie wollte nicht.
Warum nicht?
Sie hatte diese aufreibende Arbeit schon zwölf Jahre gemacht und wollte eine Pause. Ausserdem konnte sie sich nicht vorstellen, Mann und Kind als Anhängsel auf die Reisen mitzunehmen zu diesen Einsätzen. Aufgrund dessen haben wir uns für ein Modell entschieden, das dann halt doch traditionell war. Später, als die Kinder in die Schule kamen, arbeitete sie wieder Teilzeit und ich Vollzeit; also auch wieder traditionell.
Hattest du als Vater nie Angst, etwas von der Entwicklung deiner Kinder zu verpassen?
Manchmal schon. Aber es war ja nicht so, dass ich sie nie gesehen hätte. Im Gegenteil! Dadurch, dass ich in einer Kaderposition im Fernsehen war – ich war Moderator und Redaktionsleiter – hatte ich eine ultraregulierte Woche. Ich war nicht Reporter, der plötzlich drei Wochen ins Ausland musste. Nach meinem Arbeitsplan konnte man den Wecker stellen. Meine Familie wusste: Am Dienstag- und Mittwochabend kannst du ihn vergessen, aber ansonsten ist er verfügbar. Und ich konnte auch relativ spontan reagieren, wenn etwas passierte, das kann man nicht in jedem Beruf. Aber natürlich, die Hauptlast der Betreuung lag bei meiner Frau. Und es gab harte Zeiten, in denen ich wirklich nicht viel daheim und sehr belastet war.
Hast du schon einmal einen Geburtstag deiner Kinder verpasst?
Nein. Und auch sonst nichts: Egal, ob Besuchstag im Kindergarten oder Räbeliechtli-Schnitzen, ich war da. Dafür hatte ich irgendwie ein Talent, da kriegte ich auch immer wieder Sprüche ab von meiner Frau: «Immer, wenn es darauf ankam, warst du da. Alle meinen, du bist so ein Vorzeigevater. So ein Fake!» (Lacht.)
Jetzt bluffst du aber.
Okay, ich gestehe, es gab auch Tage, da kamen die Kinder nach Hause und sagten: «Mama, der Papa sass heute am Besuchstag wieder ganz hinten und las einfach Zeitung!»
Da hast du, ganz Geschäftsmann, die Kinderbetreuung mit der Arbeit verbunden.
Charmant formuliert, danke!
Wie hast du dich während den Schwangerschaften gefühlt?
Die erste, die man an der Seite der Frau miterleben darf, ist natürlich die aufregendste. Das war eine unglaublich schöne Erfahrung für mich. Diese Zeit kann auch die Beziehung auf eine ganz neue Weise stärken, man erlebt ja so viel Intensives zusammen. Sie lebte in Genf, ich in Zürich. Wir suchten eine gemeinsame Wohnung in Zürich. In Genf übten wir in der Geburtsvorbereitung, wie man richtig atmet. Das schweisst einen als Paar schon zusammen. Unser erstes Kind war kurz vor der Geburt in einer Steisslage, wir haben da wirklich alles mögliche versucht. Unter anderem eine Technik, die dir wahrscheinlich nichts sagt: Moxen nennt man das.
Das kenne ich tatsächlich nicht. Den Ausdruck darfst du mir jetzt mansplainen.
Super: Du musst dir das vorstellen wie eine Art Stumpen, den man auf der einen Seite anzündet, und durch die Hitze der Glut werden an den Füssen der Frau gewisse Reflexzonen aktiviert.
Klingt schräg. Hat es funktioniert?
Ja. Tatsächlich begann das Kind, sich zu bewegen. Aber am Schluss hat es leider nicht ganz gereicht. Unsere erste Tochter kam per Kaiserschnitt auf die Welt.
Wie war die Geburt für dich?
Aufregend. Und ich war etwas geschockt, wie physisch das im Operationssaal zuging. Im entscheidenden Moment war das doch sehr handgreiflich. Dann hatte ich eine tragende Rolle: Ich durfte meine Tochter Alice in meinen Armen halten, bis die Operation zu Ende war. Sie schaute mich mit ihren grossen Augen an. Das war einfach wunderbar!
Männer werden ja oft erst zu Feministen, wenn sie Väter von Töchtern werden. Du hast drei. Wie war das bei dir?
Haha! Nein, bei mir war das anders. Meine Mutter engagierte sich bereits in den 1960er-Jahren für Frauenrechte. Meine Erziehung war quasi mein feministisches Trainingscamp. Ich habe gelernt, zu putzen, zu kochen und zu waschen und ganz allgemein selbst einen Haushalt zu schmeissen. Daher war das alles auch später für mich selbstverständlich. Ich ging als Kind durch eine gesunde, selbstbewusste Frauenkultur, der ich heute noch viel zu verdanken habe.
Bluffst du jetzt wieder? Hannes, der Frauenversteher?
(Grinst.) Mir gefällt, dass wir uns aktuell im Jahrhundert der Frauen befinden. Auch, weil ich noch immer in einem Frauenhaushalt lebe. Und auch beruflich war die Gleichstellung immer ein Thema für mich: Bei Ringier gibt es die Initiative «Equal Voice», die ich auch unterstützt habe. Heute scheint mir, Feminismus ist nicht mehr vor allem ein Frauenthema – sondern ein Männerthema.
Wie meinst du das?
Für mich steht schon die Frage im Zentrum, was denn heute mit den Männern los ist.
Gute Frage. Was ist denn los mit euch?
Bei den älteren ist es sicher so, dass sie zuerst mal mit der neuen Situation klarkommen müssen: Die Frauen sind angekommen, auf allen Ebenen. Bei den jüngeren ist das schon normaler. Ich habe immer wieder Diskussionen mit Kollegen, die sich fast schon darüber beschweren. Sie sagen dann: «Du, gopf, jetzt habe ich langsam keine Chance mehr im Berufsleben. Immer kommen nur die Frauen dran!»
Und was entgegnest du ihnen?
Ich antworte, dass es sehr lange andersherum war. Und jetzt erleben wir es halt einmal so, shit happens!
Payback time!
Genau. Heute ist das Geschlecht ein Faktor. Du hast nicht mehr die besten Karten, bloss weil du ein Mann bist. Und wir sprechen nicht einmal nur von Kaderjobs, sondern ganz allgemein vom Berufsleben. Ich erinnere mich an Anrufe von Bekannten, die sagten: «Hannes, kannst du da nicht etwas für XY machen? Der kommt einfach nicht zum Zug. Er kommt zwar in die finale Runde, aber den Zuschlag erhält eine Frau.» Was sage ich dann?
Ja, was sagst du dann?
«Das ist jetzt halt so!»
Hattest du Selbstzweifel als junge männliche Journalistin?
(Schmunzelt.) Ich habe sie bis heute. Selbstzweifel haben mich immer begleitet. Das klingt jetzt vielleicht seltsam, aber es hat mich irritiert, dass du mit dem Ausdruck «Power-Mann» eingestiegen bist. So sehe ich mich gar nicht. Klar, ich habe viel Energie, und das war für meine Mitmenschen nicht immer einfach. Aber Selbstzweifel habe ich immer auch im Gepäck. Sie helfen einem aber auch dabei, nicht abzuheben. Und andererseits helfen sie einem, andere besser zu verstehen.
Wenn du so unsicher warst und bist, wie hast du dein erstes Vorstellungsgespräch gemeistert?
Daran erinnere ich mich noch gut. Das war übrigens bei einer Frau, ich habe mich für eine Stelle beim Fernsehen beworben und habe zuerst einmal erzählt, was ich alles nicht kann.
Typisch Mann!
Genau. Sie sagte mir dann: «Herr Britschgi, jetzt hören Sie auf, Sie haben jetzt mehr Ahnung von Fernsehen und Film als einige, die bei uns arbeiten». Und dann hat sie mir den Vertrag auf den Tisch gelegt.
Warum machen Männer eigentlich nur Betroffenheitsjournalismus?
Weil sie es halt einfach fühlen! (Lacht.) Warum machen sie nur Polit- und Wirtschaftsjournalismus? Nein, ich verstehe deine Frage. Ich finde Betroffenheitsjournalismus nichts Schlechtes. Wenn jemand in einer Geschichte einen grossen Erfahrungsschatz mitbringt und aus dieser Motivation heraus diese Geschichte macht, hat das eine absolute Berechtigung. Mir fallen immer mal wieder Kollegen auf , die ihr Themenspektrum erweitern.
Wie denn?
Plötzlich schreiben mehr Männer über Familienthemen oder Kindererziehung. Dann weiss ich, aha, er ist Vater geworden, hat Familie, die volle Packung. Das ist ganz okay, finde ich.
Ist es heute für Männer möglich, alles zu haben: eine Karriere, Kinder, einen funktionierenden Haushalt, eine gute Diät?
Ich mache mir die Illusion, dass es möglich ist. Aber wenn ich mein eigenes Leben anschaue, muss ich sagen, dass das nicht funktioniert hat. Meine Frau hat mir diesbezüglich einmal eine Bemerkung unserer Tochter um die Ohren gehauen, die mir weh getan hat.
Was hat sie gesagt?
«Mama, es ist gut, dass wir den Papa noch von früher kennen.» Das war hardcore.
Wie alt war sie damals?
Sie war etwa zehn Jahre alt. Ich war zu dieser Zeit Chefredaktor vom Nachrichtenmagazin «Facts» und habe wahnsinnig viel gearbeitet. Ich habe meinen Job aber auch geliebt, und 2001 war ein unglaubliches Jahr im Journalismus: 9/11, die Anschläge im Zuger Parlament, der Brand im Gotthardtunnel. Aber privat war das sehr schwierig. Es fehlte in dieser Zeit nicht viel, und unsere Beziehung wäre gescheitert.
Hast du dann weniger gearbeitet?
Mein Arbeitgeber kam mir zuvor: Tamedia wollte sich von mir trennen. Im Nachhinein war das pures Glück. Ich habe dann ein Jahr lang als Freelancer gearbeitet. Der Workload war nicht einfach weg, aber ich habe vor allem von zu Hause aus gearbeitet. Und ich wurde Gott sei Dank von meiner Familie wieder aufgenommen. Meine Entlassung zeitigte im Privaten einen Kollateralgewinn.
Was machst du so für deine Selfcare?
Also auf jeden Fall «grümschele»!
Du bist einer der wenigen Menschen, die ich kenne, die dieses Wort auch benutzen. Was ist «grümschele» für dich?
Das heisst, irgend etwas machen, das keinen produktiven Output haben muss. Ich räume meine Welt auf, das beruhigt mich ungemein. Musikhören gehört auch zu meiner Selfcare. Momentan höre ich zum Beispiel viel Black Sea Dahu, die Bandleaderin ist eine Schulkollegin meiner Tochter. Ich gehe auch viel in die Natur. Jeden zweiten Tag auf den Vitaparcours im Wald, möglichst alleine. Dann schaue ich, welche Gedanken aufsteigen und widme mich denen. Nach eineinhalb Stunden «forest purification» bin ich wieder fit fürs Leben.
Bist du eitel?
Klar, das sind doch alle. Ich bin zum Beispiel sehr gerne gut angezogen – oder eher: passend angezogen. Vor allem im Job. Für meine Moderationsjobs trage ich Anzug. Und wenn ich in die Rote Fabrik ging, dann natürlich die schwarze Kluft, im Anzug machst du dich dort zum Globi. Als junger Erwachsener kam ich von meinen Reisen durch Asien mit zig Ringen an den Fingern zurück. Das glaubst du mir jetzt sicher nicht.
Doch doch, das sehe ich schon an dir. Ich glaube, wärst du heute zwanzig, würdest du dir die Fingernägel lackieren.
Da könntest du noch recht haben. Wie man sich anzieht und stylt, gehört ja auch ein bisschen zur Marke. Als junger Fernsehmoderator waren das bei mir Hornbrille und Schnauz. Erst viele Jahre später habe ich übrigens gecheckt, warum der immer so gejuckt hat vor den Live-Sendungen.
Warum?
Aus Stress und Nervosität habe ich an der Oberlippe geschwitzt. Erst als ich ihn abrasierte, habe ich meine Problemzone richtig verstanden. Aber jänu, das gehört halt zu mir.
Das verunsichert dich nicht?
Nein, jetzt habe ich meist ein Tüchlein dabei, um meine Oberlippe trocken zu tupfen.
Elegant, wie ein richtiger Gentleman.
Wenn du es sagst!