Die gute Nachricht zuerst: Seit 2008 hat sich der Gender Pay Gap in der Schweiz kontinuierlich verringert. Die schlechte Nachricht jedoch ist: Frauen verdienen in der Schweiz gesamtwirtschaftlich gesehen nach wie vor im Durchschnitt 18 Prozent weniger als Männer. Das bedeutet, dass Frauen für jeden Franken, den ein Mann verdient, nur 82 Rappen erhalten. Oder anders ausgedrückt: Bis zum 17. Februar haben Frauen in der Schweiz in diesem Jahr quasi «gratis» gearbeitet. Dieser Tag wird als «Equal Pay Day» bezeichnet.
Trotz des in den 1980-er Jahren in der Bundesverfassung verankerten Grundsatzes «Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit» liegt die monatliche Lohnlücke zwischen Frauen und Männer bei etwa 1'500 Franken. Über das gesamte Erwerbsleben hinweg kumuliert, müssen Frauen im Schnitt sogar mit 43 Prozent weniger Einkommen auskommen. Diese beträchtliche Einkommenslücke lässt sich nicht nur auf den Gender Pay Gap zurückführen, sondern auch auf den hohen Anteil an Teilzeitbeschäftigung bei den Frauen und die Übernahme unbezahlter Care-Arbeit. Im europäischen Vergleich schneidet die Schweiz, gemeinsam mit unseren Nachbarländern Deutschland und Österreich, die ebenfalls einen Gender Pay Gap von 18 Prozent aufweisen, schlechter ab als der EU-Durchschnitt von 12,7 Prozent.
Ein ganzer Strauss an Ursachen
Bevor wir die Ansätze von New Work zur Verringerung des Gender Pay Gaps betrachten, ist es wichtig, dessen Ursache zu verstehen. Der Gender Pay Gap resultiert aus einer Vielzahl von Faktoren und verursacht gleich auf mehreren Ebenen erhebliche Probleme.
Laut dem Eidgenössischen Büro für die Gleichstellung von Mann und Frau kann etwa die Hälfte des Gender Pay Gaps durch objektive Faktoren erklärt werden. Dazu gehören Unterschiede in der Ausbildung, die Übernahme unbezahlter Care-Arbeit sowie branchen- und berufsbedingte Lohnunterschiede in «typischen Frauenberufen». Doch zählen die tieferen Löhne in den von Frauen dominierten Wirtschaftsbereichen wie dem Gesundheits- und Sozialwesen oder Detailhandel wirklich als «objektive Argumente»? Einer wissenschaftlichen Untersuchung zufolge empfindet die Gesellschaft Lohnunterschiede, die allein auf Faktoren wie der Berufsstruktur oder der Branchenzugehörigkeit basieren, als ungerecht.
Hinzu kommt, dass Frauen nach wie vor den Grossteil der unbezahlten Care-Arbeit übernehmen, was sie unter anderem daran hindert, sogenannte «greedy jobs» mit vielen Überstunden und häufigen Geschäftsreisen anzunehmen. Dies ist mit ein Grund, weshalb Frauen in Kaderpositionen unterrepräsentiert sind. Positionen, die oft mit Sonderzahlungen wie Boni verbunden sind. Zudem arbeiten viele Frauen Teilzeit, was zu niedrigeren Löhnen, unsicheren Arbeitsverhältnissen, schlechterer sozialer Absicherung und geringeren Karrierechancen führt. Etwas weniger als die Hälfte der erwerbstätigen Frauen arbeiten in einem Pensum von mehr als 90 Prozent. Bei den Männern sind es 86 Prozent.
Das alles ist aber nur die erklärbare Hälfte des Gender Pay Gaps. Die andere Hälfte ist nichts anderes als Diskriminierung. Das heisst: Frauen bekommen für dieselbe Arbeit und Qualifikation weniger Lohn als Männer.
Sorgt New Work für New Pay?
Spätestens seit der Corona-Pandemie ist New Work ein geläufiger Begriff. Das Konzept stammt aber bereits aus den 1970-er Jahren und wurde vom Sozialphilosophen Frithjof Bergmann als Gegenentwurf zu den Arbeitsrealitäten im Sozialismus und Kapitalismus entwickelt. Ein zentraler Wert von New Work ist die Freiheit, die sich in flexiblen Arbeitsweisen und mehr Spielraum für die persönliche Selbstverwirklichung äussert.
New Work umfasst diverse neue Arbeitsformen und -methoden. Im Fokus stehen mehr Flexibilität, eine optimierte Work-Life-Balance und die Berücksichtigung der Wünsche der Mitarbeitenden. Diese Ansätze sind heute nicht nur interessant, um das Wohlbefinden der Mitarbeitenden zu steigern. Sie bieten auch vielversprechende Möglichkeiten, um den Gender Pay Gap zu reduzieren.
New Work bricht traditionelle Rollen auf und führt flexiblere Arbeitsmodelle ein. Diese Veränderungen bringen auch neue Ansätze bei der Entlöhnung mit sich, die auf Mitbestimmung, Fairness und vor allem Transparenz setzen. Gerade die Lohntransparenz ist ein wichtiger Hebel, um den Gender Pay Gap zu verringern.
Denn: Wer über Löhne spricht, bemerkt Lohnunterschiede – gerechtfertigte, aber eben auch die ungerechtfertigten. Transparente Gehaltsstrukturen ermöglichen allen Mitarbeitenden einen besseren Einblick in ihre eigene Entlohnung und den Vergleich. So können auch Frauen potenzielle Ungleichheiten aufgrund des Geschlechts leichter erkennen und ansprechen.
Ein Mangel an Transparenz ist hingegen eine wesentliche Ursache für den Gender Pay Gap. In der Schweiz sind Unternehmen mit mehr als 100 Mitarbeitenden gesetzlich verpflichtet, alle vier Jahre eine Lohngleichheitsanalyse durchzuführen und die Ergebnisse schriftlich mit den Mitarbeitenden zu teilen. Der Bund stellt hierfür mit Logib ein kostenloses und wissenschaftlich anerkanntes Instrument zur Verfügung, das Unternehmen bei der Überprüfung der Lohngleichheit unterstützt.
Ein weiterer Ansatz von New Pay ist die Nutzung technischer Vergütungssysteme, um Vorurteile bei der Lohnvergabe zu verhindern. Der Einsatz dieser Tools stellt sicher, dass unbewusste Vorurteile oder kulturelle Stereotypen von Vorgesetzten oder HR-Mitarbeitenden keinen Einfluss auf die Gehaltsentscheidungen haben. Sie können auch Arbeitnehmenden helfen, faire Gehälter auszuhandeln, indem sie Informationen über Branchenstandards und individuelle Qualifikationen liefern. Für eine faire Entlöhnung braucht es ein faires Verfahren der Lohnverteilung: Es muss transparent, objektiv nachvollziehbar und frei von geschlechtsspezifischen Vorurteilen sein.
Sind Home Office und Jobsharing die Lösung?
Während die Auswirkungen von Lohntransparenz auf den Gender Pay Gap relativ klar sind, ist der Einfluss flexibler Arbeitsmodelle weniger eindeutig. Zeitliche und räumliche Flexibilität verspricht eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Das wiederum könnte die Lohnunterschiede zwischen den Geschlechtern verringern, da Frauen so eher die Möglichkeit haben, in einem höheren Pensum erwerbstätig zu sein. Dennoch bergen Modelle wie Jobsharing, Remote Work und Home Office auch das Risiko, bestehende Ungleichheiten zu verstärken.
Beim Jobsharing teilen sich mehrere Personen eine Vollzeitstelle, was die Vereinbarkeit von beruflichen und familiären Verpflichtungen erleichtert. Diese Flexibilität kann Frauen helfen, ihre Karriere auch mit Kindern ohne längere Unterbrechungen voranzutreiben. Sie erhalten so bessere berufliche Entwicklungsmöglichkeiten und allenfalls auch höhere, besser bezahlte Positionen. Auf der anderen Seite ermöglicht Jobsharing auch Vätern, ihr Pensum zu reduzieren und mehr Care-Arbeit zu übernehmen.
All das würde nicht nur das Einkommen der betroffenen Frauen erhöhen, sondern auch den Gender Pay Gap insgesamt verringern. Eine Analyse aus Deutschland zeigt, dass ein hoher Frauenanteil in Führungsetagen den Gender Pay Gap innerhalb des Unternehmens reduziert. Frauen in Führungspositionen verbessern zudem die Arbeitsbedingungen für andere Frauen, indem sie Möglichkeiten fördern, berufliche Entwicklung und familiäre Verpflichtungen besser zu vereinbaren.
Auch Remote Work und Home Office versprechen eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Da Frauen nach wie vor den Grossteil der Haus- und unbezahlten Care-Arbeit übernehmen, entscheiden sie sich oft für kürzere Arbeitswege, um beides unter einen Hut zu bringen. Für viele bedeutet diese Entscheidung eine kleinere Auswahl an Jobmöglichkeiten und ein geringeres Gehalt. Die Möglichkeit, von zu Hause aus zu arbeiten, ermöglicht es Frauen, besser bezahlte Jobs anzunehmen und trotzdem lange Pendelzeiten zu vermeiden.
Auch neue Arbeitsformen haben Haken
Die neuen Arbeitsmodelle sind aber nicht das alleinige Heilmittel. Gerade Remote Work birgt mit Blick auf den Gender Pay Gap auch Risiken. Ständige Erreichbarkeit kann zu einer Vermischung von Arbeit und Privatleben führen. Da Frauen durch die Übernahme von Haushaltsaufgaben und Care-Arbeit bereits doppelt belastet sind, trifft sie sogenanntes Work-Life-Blending besonders stark. Hinzu kommt, dass kulturelle Stereotypen geschlechtsspezifische Einkommensunterschiede bei Remote Work sogar verstärken können. So kam ein Harvard Business Review zum Thema Stereotypen am Arbeitsplatz zum enttäuschenden Schluss: Frauen und insbesondere Mütter werden oft als weniger engagiert und leistungsbereit wahrgenommen. Diese Vorurteile führen zu schlechteren Bewertungen und weniger Aufstiegschancen für Frauen, die aus familiären Gründen von zu Hause aus arbeiten. Und das vergrössert den Gender Pay Gap.
Die Mischung macht’s
Der vielversprechendste Ansatz von New Work, um den Gender Pay Gap zu verkleinern, ist die Lohntransparenz. Flexible Arbeitsmodelle können Frauen dabei unterstützen, einer Vollzeitstelle mit höherem Gehalt nachzugehen und Beruf und Familie besser zu vereinbaren. Das gilt übrigens auch für Männer. Zudem kann mehr Flexibilität die Werte und Arbeitskultur eines Unternehmens positiv beeinflussen, indem die Bedürfnisse aller Geschlechter berücksichtigt und Geschlechterstereotypen verringert werden.
Ein wichtiger Punkt. Denn damit flexible Arbeitsmodelle bestehende Ungleichheiten nicht verstärken, gilt es, kulturelle Stereotypen abzubauen und eine faire Bewertung aller Mitarbeitenden durch New Pay sicherzustellen.
Was es also braucht, ist die Kombination aus flexiblen Arbeitsmodellen, New Pay und einer modernen Arbeitskultur ohne stereotypische Geschlechtervorurteile. So können wir die berufliche und finanzielle Situation von Frauen nachhaltig verbessern und den Gender Pay Gap weiter reduzieren.