Flexibel arbeiten, ohne Chef:in und nur für die eigene Tasche: Das Leben als Freelancer:in klingt verlockend. In der Schweiz wagt rund jede:r Neunte den Sprung in die Selbstständigkeit: Von den knapp 5,3 Millionen Erwerbstätigen waren Ende 2023 insgesamt 9,1 Prozent selbstständigerwerbend, also rund 488'000 Personen. Die Zahl geht konstant leicht zurück – zugenommen hat jedoch der Anteil Frauen unter den Selbstständigen. Inzwischen sind sie mit 50,1 Prozent ganz knapp in der Mehrheit. Diese Zahl hat der Verband der Personaldienstleister swissstaffing berechnet.
Wärst auch du gerne dein:e eigene:r Chef:in? Wir haben für dich die wichtigsten Punkte zusammengestellt, die du als Selbstständige:r beachten solltest.
Bin ich der Typ für die Selbstständigkeit?
Tatsächlich ist dies nicht für jede und jeden das Richtige. Während die einen die Unabhängigkeit und die Freiheiten als Selbstständige schätzen, stresst die anderen die Ungewissheit und die Verantwortung. Martina Walthert arbeitet als selbstständige Grafikdesignerin und ist gleichzeitig Mitglied der Gewerkschaft Syndicom. Dort engagiert sie sich in einer Arbeitsgruppe für die Rechte von Selbstständigen. Die Vor- und Nachteile dieser Arbeitsform fasst sie so zusammen: «Ich kann mein Arbeitsumfeld, meine Aufträge, meine Kund:innen und die Art der Zusammenarbeit selbst wählen. Das ist ein riesiger Mehrwert.» Auf der anderen Seite brauche man Selbstdisziplin, müsse Verantwortung übernehmen und mit Unsicherheiten umgehen können.
Wenn dir das noch nicht reicht, helfen dir vielleicht ein paar Zahlen: Wer auf eigene Rechnung tätig ist, arbeitet pro Woche im Schnitt acht Stunden mehr als Angestellte. Wochenendarbeit – fast die Hälfte der Selbstständigen leistet sie – und weniger Ferien (minus vier Tage) gehören ebenfalls dazu. Dafür sind Selbstständige «sehr zufrieden». Über 90 Prozent würden sich nicht wieder anstellen lassen.
Ab wann gelte ich als selbstständigerwerbend?
Die Frage mag simpel klingen, es ist aber wichtig, dass du dich an gewisse Rahmenbedingungen hältst. «Selbstständigerwerbend» ist ein Status, den du bei der Ausgleichskasse deines Wohnkantons beantragen musst. Du bekommst ihn, wenn:
- du unabhängig und auf eigene Rechnung arbeitest. Und zwar wortwörtlich: Auf der Rechnung muss dein Name stehen.
- du das wirtschaftliche Risiko selbst trägst.
- du in einer eigenen Infrastruktur arbeitest.
- du für mehr als eine:n Auftraggeber:in tätig bist.
Die Ausgleichskasse braucht Belege für deine Selbstständigkeit. Das heisst, du kannst dich erst anmelden, wenn du schon einige Aufträge ausgeführt hast.
Muss ich eine Firma gründen?
Grundsätzlich ja. Das klingt aufwendig, ist aber meist relativ simpel. Als Selbstständige:r hast du verschiedene Möglichkeiten:
- Du gründest eine Einzelfirma und bist die alleinig:e Inhaber:in des Unternehmens. Du haftest im Falle eines Konkurses mit deinem Unternehmens- und deinem Privatvermögen. Ins Handelsregister musst du dein Unternehmen nur eintragen, wenn du jährlich mehr als 100'000 Franken Umsatz machst. Ein Eintrag kostet 80 Franken.
- Du gründest zusammen mit mindestens einer anderen Person eine Kollektiv- oder eine Kommanditgesellschaft. In diesem Fall sind alle Gründer:innen Teilhaber:innen des Unternehmens und arbeiten unter demselben Firmennamen.
Ob Einzelfirma, Kollektiv- oder Kommanditgesellschaft: Alle drei Varianten sind Personengesellschaften und eignen sich für Unternehmen, die stark an eine Person gebunden sind. Typische Beispiele sind unter anderem Ärzt:innen, Anwält:innen, Kosmetiker:innen, Architekt:innen, Handwerker:innen, Treuhänder:innen, Grafiker:innen, Texter:innen etc. Alle Rechtsformen brauchen kein Startkapital, und bei allen Varianten giltst du als selbstständigerwerbend.
Daneben gibt es auch Kapitalgesellschaften wie die Aktiengesellschaft (AG) oder die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH). Der Unterschied: Hier brauchst du Startkapital. Bei einer Aktiengesellschaft sind es beispielsweise 100’000 Franken. Und: Falls du dich für diesen Weg entscheidest, giltst du nicht mehr als selbstständigerwerbend. Du wirst zur/zum Angestellte:n deiner eigenen Firma. Darum gehen wir in diesem Artikel nicht weiter auf diese Möglichkeiten ein.
Brauche ich ein finanzielles Polster?
Das ist empfehlenswert, auch wenn die Gründung eines Unternehmens dich kaum etwas kostet. Geld brauchst du aber für die Infrastruktur, dein Arbeitsmaterial sowie Versicherungen. Wie hoch diese Kosten sind, hängt davon ab, in welcher Branche du tätig bist und wie du dich einrichtest. Es lohnt sich, bevor du loslegst, ein Budget aufzustellen und deine Ausgaben durchzurechnen. In ein Budget gehören Fixkosten wie Miete, Versicherungen, IT-Support und IT-Lizenzen, Steuern und dein Lohn. Ein finanzielles Polster zu haben ist aber auch sinnvoll, weil es Zeiten geben kann, in denen du auf Geld warten musst. Beispielsweise wenn du Kund:innen akquirierst, wenn du darauf wartest, dass deine Kund:innen ihre Rechnungen bezahlen, oder wenn die Aufträge mal ausbleiben.
Übrigens: Für die Selbstständigkeit kannst du Geld aus deiner zweiten oder dritten Säule nehmen. Diesen Schritt solltest du dir aber gut überlegen, denn als Selbstständige:r ist es schwierig, um nicht zu sagen unmöglich, diese Säulen wieder aufzustocken und die Löcher zu stopfen. Warum das so ist, erklären wir dir gleich.
Wie war das nochmal mit der Altersvorsorge?
Für Selbstständige ist ein besonderes Augenmerk auf die Altersvorsorge wichtig. Vor allem auf die zweite Säule. Aber von vorne: Die Beiträge an die erste Säule, also an die AHV, IV und EO, sind auch für Selbstständigerwerbende Pflicht – sofern du mehr als 2300 Franken im Jahr verdienst. Dazu meldest du dich bei der Ausgleichskasse deines Wohnkantons an. Im Unterschied zu Angestellten variiert die Höhe der Beiträge. Je nach Einkommen betragen sie zwischen 5,371 Prozent und 10 Prozent deines Jahreseinkommens. Der Minimalbeitrag liegt bei 503 Franken pro Jahr.
Und wie sieht es mit der Pensionskasse aus?
Das Einzahlen in die Pensionskasse ist für Selbstständige freiwillig. Laut Erhebungen des Bundes haben mehr als die Hälfte der Selbstständigen keine Pensionskasse. Auch in der dritten Säule sichert sich nur ein Drittel der Selbstständigen fürs Alter ab. Das führt zu Lücken in der Vorsorge und zu finanziellen Schwierigkeiten im Alter. Denn nur von der ersten Säule kann man als Rentner:in nicht leben. Die monatliche AHV-Rente liegt zwischen 1195 und 2390 Franken.
Schliesse dich als Selbstständige:r darum entweder einer Pensionskasse an oder spare in der dritten Säule fürs Alter. Das Geld, das du einzahlst, kannst du in beiden Fällen von den Steuern abziehen. Willst du dich einer Pensionskasse anschliessen, hast du verschiedene Möglichkeiten: Es gibt Pensionskassen der Berufsverbände, private Vorsorgeeinrichtungen und die Stiftung Auffangeinrichtung BVG des Bundes.
Sorgst du nur über die dritte Säule vor, kannst du das über eine sogenannte «grosse Säule» tun. Hier darfst du 20 Prozent deines Jahreseinkommens einzahlen, maximal sind es 35'280 Franken. Eine grosse dritte Säule kannst du nur haben, wenn du keiner Pensionskasse angeschlossen bist. Was immer geht, ist zusätzliches Sparen in der «normalen» Säule 3a. Hier kannst du jährlich maximal 7056 Franken einzahlen.
Wo spare ich besser fürs Alter, in der zweiten oder in der dritten Säule?
Das hängt davon ab, wie viel du pro Jahr verdienst. Grundsätzlich kann man sagen: Je mehr du verdienst, umso attraktiver ist es, mit einer Pensionskasse vorzusorgen. So kannst du grössere Beträge von den Steuern abziehen. Zudem kannst du in der Pensionskasse auch Invalidität und Tod versichern lassen. Schau dir verschiedene Pensionskassen an. Denn die Kosten für diese Versicherungen sind sehr unterschiedlich. «Die richtige Pensionskasse zu finden, kann eine Herausforderung sein. Berufsverbände, Gewerkschaften oder auch der Kaderverband können als Vermittler:innen helfen», sagt Martina Walthert.
Wie viel kann ich für meine Arbeit verlangen?
Da gibt es keine pauschale Antwort. Die Stundenansätze sind je nach Branche unterschiedlich. Martina Walthert hat vor allem zwei Tipps, wenn es um die Stundensätze geht. Erstens: In die Tarife gehören nicht nur die effektive Arbeitszeit für den Auftrag, sondern auch andere Kosten. «In den Stundenansatz einberechnen muss man auch Anteile der Miete, Ausgaben für Geräte und andere Infrastrukturen, Versicherungskosten, Ferien sowie Zeiten, in denen man neue Kund:innen akquiriert oder Administratives erledigt.»
Zweitens: Arbeite wenn immer möglich mit Offerten. «Es ist wichtig, von Anfang an mit Kund:innen über Geld zu reden. So können alle abschätzen, was auf sie zukommt, und man hat eine schriftliche Grundlage», sagt Martina Walthert. Richtwerte für Tarife und Offerten gibt es bei Berufs- und Branchenverbänden sowie bei Gewerkschaften. Auch Gespräche mit anderen Selbstständigen können aufschlussreich sein.
Übrigens: Der Gender Pay Gap existiert auch bei Freelancer:innen. Für die Schweiz gibt es dazu zwar keine Zahlen. Aber eine internationale Studie zeigt, dass Frauen im Schnitt 18 Prozent weniger Geld für ihre Arbeit bekommen als Männer. Darum: Checke die Tarife in deiner Branche und scheue dich nicht, einen angemessenen Preis zu verlangen.
Muss ich Mehrwertsteuer bezahlen?
Sobald du mit deinem Unternehmen mehr als 100’000 Franken Umsatz pro Jahr machst, wirst du mehrwertsteuerpflichtig. Die Mehrwertsteuer schlägst du in der Regel auf deinen Preis drauf und weist sie auch auf deinen Rechnungen aus. Die aktuellen Sätze sind:
- 7,7 Prozent: der Normalsatz, er gilt für die meisten Güter und Dienstleistungen.
- 3,7 Prozent: der Sondersatz, er gilt in der Hotellerie für Beherbergung und Frühstück.
- 2,5 Prozent: der reduzierter Satz, er gilt für Lebensmittel, Medikamente, Bücher, Zeitschriften, Zeitungen und Eintritte an Sport- sowie Kulturevents.
Musst du Mehrwertsteuer bezahlen, kannst du dich beim Bund direkt online dafür anmelden.
Was passiert, wenn mir die Arbeit ausgeht?
Das kann bitter werden, denn als Selbstständige:r bist du nicht gegen Arbeitslosigkeit versichert. Das heisst: Wenn du keine Aufträge mehr hast, bekommst du auch kein Geld von der Arbeitslosenversicherung. «Als Selbstständige:r ohne Einkommen müssen wir zum Sozialamt oder uns anstellen lassen. Eine andere Möglichkeit haben wir nicht», sagt Martina Walthert. Das soll sich ändern. Die Arbeitsgruppe der Gewerkschaft Syndicom, in der Martina Walthert mitwirkt, fordert eine Auftragsausfallversicherung für Einzelfirmen. Das Anliegen soll auf die politische Agenda, damit Selbstständige in Zukunft besser abgesichert werden.
Und was, wenn ich schwanger bin?
Du hast Anspruch auf die gesetzlich vorgeschriebenen 14 Wochen Mutterschaftsentschädigung. Das Geld bekommst du von der Ausgleichskasse deines Wohnkantons. Die Entschädigung erhältst du in der Regel ab dem Tag der Geburt. Sie beträgt 80 Prozent deines durchschnittlichen Lohns und maximal 196 Franken pro Tag. Achtung: In der Schweiz wird Mutterschaft erst ab der Geburt entschädigt. Willst du also nicht bis zur Geburt arbeiten – was die wenigsten wollen und die meisten nicht können – musst du dich rechtzeitig absichern. Das kannst du mit einer Krankentaggeldversicherung tun.
Brauche ich noch weitere Versicherungen?
Im Gegensatz zu Angestellten musst du dich selbst um eine Unfallversicherung sowie um eine Krankentaggeldversicherung kümmern. Beide sind nicht obligatorisch, aber sehr empfehlenswert. Die Krankentaggeldversicherung schützt dich bei längerer Krankheit gegen Lohnausfälle (siehe auch Schwangerschaft). Sowohl eine Versicherung gegen Unfall als auch das Krankentaggeld bieten die meisten Versicherer an. Je nach dem, wie du fürs Alter vorsorgst, lohnt sich auch eine Versicherung gegen Invalidität und Tod. Eine Betriebshaftpflichtversicherung und eine Rechtsschutzversicherung können ebenfalls sinnvoll sein.
Was ist sonst noch empfehlenswert?
Neben all den genannten Themen wirst du dich auch mit Steuern, Buchhaltung, allenfalls dem Anlegen von Geld und anderen Punkten befassen. Bei all dem ist eine Fachperson eine gute Hilfe. Das kann eine Treuhänder:in, ein:e Buchhalter:in oder ein:e Bankberater:in sein. Martina Walthert rät zudem: «Es ist sinnvoll, Mitglied einer Gewerkschaft oder eines Berufsverbandes zu werden. Ausserdem würde ich jeder und jedem raten, sich ein:e Mentor:in zu suchen. Ich selbst biete mein Wissen auch an.»