2018 standen Elisabeth Kopp, die erste Bundesrätin der Schweiz, und ich auf einer Bühne. Es war der Auftakt der Kampagne «Helvetia ruft», einer überparteilichen Aktion der Alliance F, um mehr Frauen für die Politik zu begeistern. Der Saal war elektrisiert. Wir spürten: Es bewegt sich etwas.
Dank «Helvetia ruft!» konnten mehr als 500 Frauen zusätzlich für die eidgenössischen Wahlen begeistert werden. Die meisten dieser Kandidatinnen gehörten vor der Aktion keiner Partei an. Es folgte der Frauenstreik im Juni 2019 und dann im Oktober die Sensation, die die Macherinnen von «Helvetia ruft!» auch für sich verbuchen durften: Der Frauenanteil im Nationalrat stieg auf 42 Prozent – es war eine fulminante Frauenwahl.
Wer A sagt, muss irgendwann auch B sagen
Ich schreibe als Journalistin seit Jahren über Gleichberechtigung, engagiere mich als Moderatorin und Co-Präsidentin des Vereins WE/MEN – und natürlich wollen wir mit elleXX die finanziellen Lücken der Frauen schliessen. Meine Forderung war immer klar: Erst wenn die Frauen, die die Hälfte der Bevölkerung ausmachen, auch in den Parlamenten und Regierungen angemessen vertreten sind, existiert auch die politische Gleichstellung.
Heute bin ich vor allem Unternehmerin mit elleXX. Was für mich, um meine Unabhängigkeit zu wahren, als Journalistin immer undenkbar war – einer Partei beizutreten –, habe ich nun als Unternehmerin und Bürgerin getan. Weil ich finde, dass ich nicht nur fordern kann, dass es mehr Frauen in der Politik braucht, sondern irgendwann auch handeln muss. Deshalb kandidiere ich für den Nationalrat für die FDP des Kantons Zürich. Übrigens fiel dieser Entscheid vor der Listenverbindung mit der SVP, die ich parteiintern nicht unterstützt habe.
FDP-Politikerin Elisabeth Kopp war nicht nur die erste Bundesrätin der Schweiz, sie lebte bis vor kurzem auch im selben Dorf wie ich. An ihrer Abdankung in unserer kleinen Kirche wurde erzählt, wie sie zeitlebens keine Vorbilder hatte – wie auch! Sie war überall die erste Frau: Die erste Gemeindepräsidentin. Die erste Bundesrätin. Kopp reformierte 1985 das Eherecht, sorgte dafür, dass Frauen ohne Zustimmung ihres Mannes ein Bankkonto eröffnen durften, und setzte sich damit gegen Christoph Blocher durch. Sie sorgte dafür, dass wir im Dorf seit 45 Jahren eine Kinderkrippe und ausserschulische Betreuung haben. Kopp ist – auch wenn es ihr oft schwer gemacht wurde – für viele Frauen ein Vorbild geworden. Auch für mich.
Frauen machen andere Politik
Unsere Gesellschaft funktioniert nicht ohne uns Frauen. Sind Frauen auch bessere Politikerinnen? In der Corona-Krise wurde die damalige Premierministerin von Neuseeland, Jacinda Ardern, jedenfalls als Musterbeispiel des Krisenmanagements angeführt. Genauso so wie übrigens Island, Norwegen, Finnland und Dänemark, alle mit weiblichen Politikerinnen an der Spitze. Sie führten ihr Land erfolgreich durch die Pandemie. Frauen machen zudem andere Erfahrungen als Männer, als Berufstätige, als Mutter, als Alleinerziehende. Frauen sind andere Dinge wichtig, sie setzen andere Prioritäten als Männer. Genau diese Sichtweisen und diese Erfahrungen von Frauen müssen auch in die Politik integriert werden. Das ist auch im Interesse der Männer. Aus der Wirtschaft weiss man, dass sich mehr Frauen in Führungspositionen positiv auf den Erfolg der Unternehmen auswirken.
Interessant auch die Studie aus Deutschland, die untersucht und nachgewiesen hat, dass Frauen in der Politik andere Akzente setzen: In der Studie kommen die Ökonomin Zohal Hessami und der Wirtschaftsprofessor Thushyanthan Baskaran zum Schluss, dass Politikerinnen deutlich andere finanzielle Schwerpunkte setzen als ihre männlichen Kollegen. Beispielsweise veränderte sich mit jeder zusätzlichen Frau in Gemeinderäten die Gesprächskultur in den Sitzungen, und Entscheide wurden vermehrt zugunsten der Familienpolitik gefällt – und zwar unabhängig davon, welcher Partei die Frau angehörte.
Was Frauen anders machen
Weitere Beispiele? Frauen planen Städte und Dörfer anders. Sie denken für Menschen mit, die mit Kindern unterwegs sind oder eine Behinderung haben. Sie kennen das Gefühl, wenn man das Tram nicht nehmen kann, weil man den Kinderwagen oder den Rollstuhl nicht die Stufen hochheben kann. Sie wissen, wie es ist, nachts durch unbeleuchtete Ecken laufen zu müssen und die Angst zu spüren vor den Schritten hinter sich.
Sie wissen, wie viel die Kita jeden Monat vom Einkommen frisst und dass ihre Erwerbsarbeit als «Investment in die Zukunft» betitelt wird. Sie spüren den Stress in den Knochen nach einer durchwachten Nacht und schleppen sich an den Arbeitsplatz. Dabei wissen sie genau, dass es sich eigentlich nicht lohnt, nach Abzug von Steuern und Kita-Kosten als Verheiratete erwerbstätig zu sein.
Sie schuften auf dem bäuerlichen Betrieb und wissen doch, dass 70 Prozent der Bäuerinnen schlecht abgesichert sind, weil sie weder sozialversichert sind noch einen Lohn erhalten.
Sie wissen, wie es ist, für denselben Job wie ein männlicher Kollege weniger Geld zu verdienen.
Frauen wissen, wie es ist, wenn sie trotz – oder eher wegen – unbezahlter Care-Arbeit weniger Rente bekommen, weniger Pensionskassen-Gelder ansparen können und es nicht für eine dritte Säule reicht oder wenn sie erst gar nicht einzahlen dürfen.
Sind alle Frauen einer politischen Meinung? Sicher nicht. Sie sind aber oft mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert.
Was die Frauen hindert
Gemäss Daten der interparlamentarischen Union vom Juli 2023 steht die Schweiz international bei der weiblichen Vertretung im Parlament auf Platz 24. Ruanda, Kuba und Nicaragua führen die internationale Liste an, gefolgt von Andorra, Mexiko und Neuseeland. Diese Länder haben Geschlechterparität zumindest in einer Kammer ihres Parlaments erreicht. Die Schweiz als 175-jährige Demokratie hat definitiv noch Luft nach oben. Im Ständerat beispielsweise gibt es erst einen Frauenanteil von 26 Prozent.
Alleine für meinen Mini-Wahlkampf habe ich bereits Auslagen von mehreren Tausend Franken, nicht zu reden von der unbezahlten Zeit, die ich investiere. Auch die Vereinbarkeit fehlt – kein Wunder, finden sich in vielen politischen Gremien kaum Frauen. Veranstaltungen sind in der Regel abends oder am Wochenende, und das bedeutet, dass jemand anderes die Kinder betreuen muss. Zudem wird Politik in der Regel schlecht bezahlt – oft muss ein Amt mit einem anderen Job querfinanziert werden. All das verhindert die politische Karriere vieler Frauen.
Dazu kommt: Politik ist wirklich nichts für Menschen, die nicht einstecken können. Frauen werden zudem von den Medien härter beurteilt. Seit bekannt wurde, dass ich kandidiere, bläst mir ein härterer Wind entgegen in Form von Kritik, obwohl ich nichts anders mache als vor meiner Kandidatur, obschon ich keine anderen Texte schreibe oder anderes sage als sonst auch. Sich zu exponieren liegt nicht allen. Der schweizerische Frauendachverband Alliance F bietet sogar Coachings an, in denen frau lernt, mit den Medien umzugehen.
Ich wünsche mir so viele Frauen wie vor vier Jahren – oder noch mehr
Wieso ich nun trotz allem diesen Weg wähle? Es ist ja nicht so, dass ich nicht bereits viel um die Ohren hätte. Aber ich sehe es auch als meine Pflicht an, unserer Gesellschaft etwas zurückzugeben, und habe den Rückhalt meiner Familie, unseres Unternehmens elleXX und eines kleinen, feinen Wahlkampf-Teams. Dieses Privileg haben schlichtweg die meisten Frauen nicht. Für sie trete ich an.
Für die kommenden Wahlen wünsche ich mir, dass über alle Parteien hinweg mindestens genauso viele Frauen wie vor vier Jahren, wenn nicht sogar mehr, ins Parlament gewählt werden – besonders auch in den Ständerat, der noch immer von Männern dominiert ist.
Was mir auch wichtig ist: Mein politisches Engagement wird mein Feuer für unsere Vision bei elleXX nicht dimmen. Und keine Sorge: Unsere Arbeit mit elleXX wird in keiner Weise politisch vereinnahmt. Wir bleiben unabhängig, feministisch und rebellisch.
Übrigens: Weil es uns bei elleXX allen ein Anliegen ist, dass unsere Politik weiblicher wird, stellen wir in den nächsten Wochen in Kooperation mit «Helvetia ruft!» bei uns Kandidatinnen aus unterschiedlichen Kantonen und Parteien vor. Wir machen damit keine Wahlempfehlung. Wir wollen zeigen, dass es in allen Parteien und Kantonen Kandidatinnen gibt, die man wählen kann. Und natürlich erklären wir auch, wie man sie wählt.
Helvetia ruft! motiviert Frauen zur Kandidatur, unterstützt Kandidatinnen mit Mentorings und regt die Parteien dazu an, Frauenkandidaturen zu fördern. Helvetia ruft! veröffentlicht im September ein finales Rating sämtlicher Wahllisten für die nationalen Wahlen am 22.Oktober 2023. Darin errechnet Helvetia ruft!, welche Wahlchancen die Kandidatinnen in den verschiedenen Kantonalsektionen aller Parteien haben. Bereits am 1. Juni hat Helvetia ruft! anhand der zu dem Zeitpunkt bekannten Listen ein Zwischenrating veröffentlicht. Aus diesen hat Helvetia ruft! elleXX die Namen der bestplatzierten Kandidatinnen genannt. Die Auswahl, wen elleXX in dieser Reihe porträtiert, hat elleXX selbst vorgenommen.