In den ersten beiden Teilen unserer Serie zum Thema Mobbing am Arbeitsplatz haben wir dir bereits gezeigt, was als Mobbing gilt, was deine Rechte als Arbeitnehmerin sind und wie du dich konkret gegen sexuelle Belästigung wehren kannst.
Der nächste Schritt: die interne Abklärung. Deine Arbeitgeberin hat eine Fürsorgepflicht; das bedeutet, sie muss Mobbing-Vorwürfe ernst nehmen und intervenieren. Hast du als Betroffene den Fall bei der zuständigen internen Stelle gemeldet und ausreichend dokumentiert – liegt die weitere Verantwortung beim Unternehmen. Wie genau diese Abklärung aussieht, kann variieren, und leider kann sie auch ungut enden, wie im Fall von Saskia*. Darum zeigen wir dir, worauf du achten musst und wo du dir Hilfe holen kannst.
Saskia arbeitete in einem grossen Unternehmen, ergatterte ihren Traumjob kurz nach der Ausbildung und galt unter Kolleg:innen als vielversprechendes Talent. Ihre Vorgesetzte jedoch schnitt Saskia, wo es nur ging: «Ich konnte damals nicht genau den Finger drauf legen, aber es waren verletzende Aussagen und seltsame Sprüche – auch über mein Aussehen», erzählt sie. Auch Kolleg*innen, die mit Saskia und der Vorgesetzten zusammenarbeiteten, fielen die Bemerkungen negativ auf.
Bei blöden Sprüchen blieb es nicht. Ihre Vorgesetzte schwärzte Saskia im restlichen Team immer wieder an. Sie entzog ihr einen Teil ihrer Verantwortung. Lästerte hinter ihrem Rücken über sie. Und schliesslich verbreitete sie Unwahrheiten über die junge Angestellte.
Die Schikanierungen gingen so weit, dass Saskia die Lust am Arbeiten verging. Und mehr noch, sie schlief nicht mehr, mochte weniger essen. Auch andere Mitarbeiterinnen litten unter dieser Vorgesetzten: Das gleiche Muster, die gleichen Herabwürdigungen, die gleichen Lügen. Saskia wurde klar, dass sie sich wehren musste.
Konkrete Vorgaben für Unternehmen fehlen, Gütesiegel für Prüfstellen gibt es keine
Allgemeingültige Vorgaben dafür, wie eine solche interne Abklärung konkret ablaufen muss, gibt es in der Schweiz keine, die konkrete Umsetzung kann von Unternehmen zu Unternehmen variieren. Im Allgemeinen werden zuallererst Gespräche geführt, um den Vorfall zu prüfen und erste Informationen zu sammeln. Hier werden in der Regel sowohl Betroffene als auch Beschuldigte angehört. Das Ziel dieser Gespräche ist es, den Sachverhalt zu klären und eine erste Einschätzung der Situation zu erhalten.
In Saskias Fall gab es zwar eine solche Voruntersuchung, über das Ergebnis wurde sie jedoch nicht in Kenntnis gesetzt. Der nächste Schritt war die eigentliche Untersuchung. Diese Untersuchung wird in der Regel von der Personalabteilung, dem internen Rechtsdienst, dem Compliance Officer, der Geschäftsleitung oder einer externen Spezialist:in durchgeführt. In Saskias Fall führte eine externe Rechtsanwältin die Untersuchung durch, die vom Unternehmen, bei dem Saskia angestellt war, bezahlt wurde.
Das Problem: Das Schweizer Recht definiert den Begriff der internen Untersuchung nicht, es gibt auch kein «Gütesiegel» für Spezialist:innen, die solche internen Abklärungen für Unternehmen durchführen. Die Wahl trifft, wer zahlt – und das ist in den meisten Fällen das Unternehmen, das einen Mobbingfall aufklären lassen will.
«Ein Anrecht darauf, bei der Auswahl der externen Spezialist:innen einbezogen zu werden, gibt es leider nicht», erklärt Corina Alchenberger. Sie ist Juristin und Organisationsberaterin und fungiert als externe Vertrauensstelle für Unternehmen. Sie arbeitete zuvor beim Gleichstellungsbüro und als juristische Sekretärin der Schlichtungsbehörde. «Sobald man als Arbeitnehmerin eine Meldung macht und die Arbeitgeberin die interne Untersuchung startet, muss man sich damit abfinden, dass man als Angestellte die Verhandlungsebene verlässt», führt sie aus.
Laut Arbeitsrecht haben Angestellte aber Anspruch auf einen fairen, unvoreingenommenen Prozess. «Eine aussagekräftige interne Untersuchung bedingt erfahrene und unabhängige externe Expert:innen, klare Ziele und ein gründliches und effizientes Verfahren. Das Unternehmen kann hier aber durchaus steuern, wie umfassend die Abklärung aussieht. Ob man eine vollständige Anamnese macht oder nur die Kopfschmerzen untersucht», so Alchenberger.
Bei einer internen Untersuchung wird der Sachverhalt im Hinblick auf den Mobbingvorwurf ermittelt. Dafür werden die Beteiligten und allfällige Zeug:innen befragt sowie Dokumente, E-Mails oder Posts gesichtet. Hier kommt beispielsweise dein «Mobbing-Tagebuch» zum Einsatz, in dem du alle Vorfälle mit Datum notiert hast.
Nach Abschluss der Untersuchung wird ein Bericht erstellt mit den Ergebnissen, Schlussfolgerungen und Empfehlungen für Massnahmen wie Disziplinarmassnahmen gegen Beschuldigte, Änderungen der Aufgaben, Arbeitsabläufe oder Funktionen, Konfliktbearbeitung, Teamentwicklung und Unterstützungsmassnahmen für Betroffene.
Saskia wurde dieser Bericht nach Abschluss des Verfahrens nie gezeigt. Trotz Nachfrage durfte sie ihn nicht einsehen, sondern nur die Zusammenfassung lesen. Diese wurde von der Anwältin unverschlüsselt an alle Beteiligten verschickt. Darin war nicht nur zu lesen, dass aus Sicht der Anwältin kein Mobbing vorliegt, sondern auch, dass Saskia aufgrund ihres Alters wohl «unrealistische Vorstellungen» vom Arbeitsalltag habe und deshalb empfindlicher reagiere.
Laut Arbeitsrecht hast du das Recht, Einsicht in den dich betreffenden Untersuchungsbericht zu erhalten. Ob du den gesamten Abschlussbericht einer internen Untersuchung einsehen kannst, entscheidet jedoch deine Arbeitgeberin. Es kann auch sein, dass gewisse Informationen aus Gründen des Datenschutzes geschwärzt werden müssen.
Deine Arbeitgeberin muss dich während der Abklärung schützen
Dass Betroffene von Mobbing oder sonstigen Belästigungen am Arbeitsplatz bei der internen Aufklärung des Falls so wenig Mitspracherechte haben, kann verständlicherweise Ohnmachtsgefühle auslösen, bestätigt Alchenberger. Umso wichtiger ist es, dass du dir deiner Rechte bewusst bist – ein paar davon hast du nämlich durchaus.
2. Anhörung: Die betroffenen Angestellten haben das Recht, ihre Seite der Geschichte zu erzählen und gehört zu werden. Dies beinhaltet das Recht auf eine faire und unparteiische Untersuchung.
3. Schutz vor Benachteiligung: Während der internen Abklärung und danach sollten angemessene Massnahmen ergriffen werden, um die betroffenen Angestellten vor weiteren Schikanen oder Benachteiligungen zu schützen. Das kann zum Beispiel bedeuten, dass du für die Zeit der Abklärung nicht mehr mit der Person, die des Mobbings beschuldigt, wird zusammenarbeiten musst.
4. Dokumentation: Die Ergebnisse der internen Abklärung sollten dokumentiert werden.
5. Unterstützung: Die Arbeitgeber:innen sollten angemessene Unterstützung und Ressourcen bereitstellen, um den betroffenen Angestellten und dem Team bei der Bewältigung der Situation zu helfen. Dies kann beispielsweise Beratung, psychologische Unterstützung oder Teamcoaching sein.
In Saskias Fall wurden gleich mehrere Punkte missachtet, erzählt sie: «Ich wusste nach meinem ersten Gespräch nicht, was jetzt genau passiert, und wurde nicht mehr informiert, wie es weitergeht. Irgendwann fragte ich bei der zuständigen Anwältin nach, weil ich noch mehr Informationen zum Fall nachreichen wollte. Sie antwortete harsch, dass es jetzt zu spät sei und sie den Fall noch vor ihren Ferien abhandeln wolle.» Mit ihrer Vorgesetzten musste sie weiterhin zusammenarbeiten, von der eingereichten Liste mit möglichen Zeug:innen wurde nur eine Person befragt.
Besonders bizarr: Andere junge Frauen auf dieser Liste, die von derselben Vorgesetzten ebenfalls gemobbt wurden, wurden von der Anwältin nicht befragt. «Auch darauf gibt es leider kein Anrecht», sagt Alchenberger. Die Qualität solcher Abklärungen könne von Unternehmen zu Unternehmen stark schwanken, von hochkompetent und juristisch korrekt bis dilettantisch.
Unternehmensrichtlinien als Leitfaden
Alchenberger rät Betroffenen, die Unternehmensrichtlinien genau durchzulesen. Dort muss geregelt sein, wie das Unternehmen in Fällen von Mobbing und Belästigung vorgeht. Je nachdem findest du diese Richtlinien im Intranet deiner Firma, oder du kannst sie der Personalabteilung verlangen.
In diesen Richtlinien ist geregelt, was das Unternehmen als Mobbing definiert und wie und wo entsprechende Vorfälle intern gemeldet werden können. Es muss auch festgehalten sein, wie Mobbing-Vorfälle untersucht werden und welche Konsequenzen für Mobber:innen möglich sind. Auch die Schutzmassnahmen für Betroffene sollten in den Unternehmensrichtlinien aufgeführt sein.
Saskias Geschichte hatte leider kein Happy End. Sie wechselte die Stelle, ebenso wie die anderen betroffenen Frauen. Ihre Vorgesetzte arbeitet nach wie vor im Unternehmen. Der Untersuchungsbericht ergab damals, dass ihr Verhalten nicht als Mobbing einzustufen sei. Eine Begründung erhielt Saskia nicht.
Alchenberger kritisiert solche Vorgehen: «Es wäre wichtig, dass Arbeitgebende die finalen Ergebnisse der Abklärungen sowie die getroffenen Massnahmen den Beteiligten erläutern und ihren Angestellten auf Augenhöhe begegnen.» Die Kommunikation sollte soweit möglich mit beiden Betroffenen abgesprochen werden, damit sich niemand negiert fühlt, führt sie aus: «Vertrauen in meine Arbeitgeberin baut sich erst auf, wenn sie in der Krise korrekt und menschlich reagiert. Und nicht, wenn man nur dann nett zu mir ist, wenn die Sonne scheint.»
Was aber, wenn es dir nicht möglich ist, die Stelle zu wechseln – oder du schlichtweg nicht möchtest? Wenn du dich unfair behandelt fühlst oder deine Rechte verletzt wurden, gibt es folgende Möglichkeiten, dich zu wehren:
2. Gewerkschaft oder Mitarbeitervertretung: Falls du Mitglied einer Gewerkschaft oder einer Mitarbeitervertretung bist, kannst du dich an diese Organisationen wenden und um Unterstützung bei der Durchsetzung deiner Rechte bitten. Diese Organisationen können dich beraten und dich bei Verhandlungen mit der Arbeitgeberin unterstützen.
3. Externe Behörden: Je nach Fall gibt es verschiedene externe Behörden, an die du dich wenden kannst. Dazu gehören beispielsweise die kantonalen Schlichtungsstellen für Gleichstellung bei Belästigung oder die kantonale Arbeitsinspektorate bei Mobbing. Diese Behörden können Beschwerden entgegennehmen, Untersuchungen durchführen und dir bei der Lösung des Problems helfen.
4. Rechtliche Beratung: Im Falle von schwerwiegenden Verletzungen deiner Rechte oder wenn andere Massnahmen nicht erfolgreich waren, kann es ratsam sein, von Anfang an rechtliche Beratung in Anspruch zu nehmen. Eine spezialisierte Anwältin kann dir weiterhelfen oder deine Rechtsschutzversicherung.
*Name der Redaktion bekannt
Wehr dich gegen Mobbing und sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz – und hol dir jetzt Unterstützung von elleXX!
Fühlst du dich ausgegrenzt, belästigt oder schikaniert am Arbeitsplatz? Oder kennst du eine betroffene Person, die sich dir anvertraut hat? Mobbing und Sexismus sind inakzeptabel. Statt still und leise zu leiden, gibt es auch noch einen anderen Weg: indem du dich dagegen wehrst! Häufig begünstigt ein Arbeitsklima der Angst, dass Täter:innen jahrelang ihr Verhalten nicht ändern müssen. Wir stehen an deiner Seite und zeigen dir, wie du das nicht länger dulden musst.
Wir zeigen dir, was du tun kannst
Gute Nachrichten vorab: Das Bundesgericht hat entschieden, dass dein:e Arbeitgeber:in verpflichtet ist, dich vor Mobbing und sexueller Belästigung am Arbeitsplatz zu schützen. Allerdings musst du schnellstmöglich über den Vorfall informieren. Damit du genau weisst, wie du in solchen Situationen vorgehen solltest, haben wir eine kostenlose Checkliste für dich erstellt.
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