Ignorieren, Ausgrenzen, Übergehen, ständige Unterbrechungen, dauernde Kritik: Mobbing am Arbeitsplatz kennt viele Gesichter. Und die systematische Schikane kommt häufig vor. Auch Tina* und Fabienne* haben Erfahrungen damit machen müssen, wie sie im ersten Teil unserer Serie zum Thema ausführlich erzählen.

Tina ist Videoproduzentin, Social-Media-Managerin und Content-Producerin. Sie ist Mitte Zwanzig, als sie in einem Start-up zu arbeiten beginnt. Und sie ist die einzige Frau. Ihre Vorgängerin warnt Tina vor dem Vorgesetzten: Er sei nett, könne aber auch mal laut werden. «Wenn er mich anschreit, dann kündige ich», schwört sich Tina. Die junge Frau wird in ihrer Zeit im Start-up einiges erleben: Ihr Vorgesetzter kritisiert sie ständig, hinterfragt ihre Fähigkeiten, lädt ihr unverhältnismässig viel Arbeit auf, überschreitet mit Fragen die Grenzen ihrer Privatsphäre. Bei allem herrscht ein rauer Ton.

Bei Fabienne ist es keine Vorgesetzte, sondern eine Arbeitskollegin: «Ich brauchte lange, um mir einzugestehen, dass ich gemobbt werde», erinnert sie sich heute. Ihre Kollegin begrüsst sie kaum, schliesst sie von gemeinsamen Mittagessen und aus bestimmten Prozessen aus, stellt sie vor Kolleg:innen bloss.

Regula Mullis Tönz
Als Betroffene kann man bei einer Entlassung wegen missbräuchlicher Kündigung klagen.

Arbeitgeber:innen haben eine Fürsorgepflicht

Mobbing nachzuweisen liegt in der Verantwortung der Betroffenen. Ein Arbeitsumfeld zu schaffen, in dem sich Mitarbeitende wohlfühlen und entfalten können, ist hingegen die Pflicht der Arbeitgeber:innen. So schreibt es das Gesetz vor: «Der Ar­beit­ge­ber hat im Ar­beits­ver­hält­nis die Per­sön­lich­keit des Ar­beit­neh­mers zu ach­ten und zu schüt­zen, auf des­sen Ge­sund­heit ge­büh­rend Rück­sicht zu neh­men und für die Wah­rung der Sitt­lich­keit zu sor­gen (...)», heisst es im Obligationenrecht unter Artikel 328. Arbeitgeber:innen haben eine Fürsorgepflicht.

Das bedeutet, dass Mitarbeitende aufgeklärt und informiert werden müssen, was sie tun können, wenn sie sich am Arbeitsplatz gemobbt oder schlecht behandelt fühlen. «Leider fehlt diese Aufklärung oft», bedauert Regula Mullis Tönz, Rechtsanwältin und Mitglied des Netzwerks Arbeit und Konflikt. Es bedeutet aber auch, dass Arbeitgeber:innen handeln müssen: Werden Integritätsverletzungen gemeldet, müssen sie Massnahmen ergreifen, um die betroffene Person zu schützen. Diese sind je nach Situation unterschiedlich. «Auf jeden Fall muss in einem ersten Schritt der Sachverhalt geklärt werden», sagt Mullis Tönz.

Für Betroffene ist dabei wichtig zu wissen: Sie sind in der Bringschuld. Als Betroffene muss man Mobbing nachweisen (siehe Tipps am Ende des Artikels). Je mehr Dokumente, Unterlagen oder übersichtliche Angaben über das Geschehene man hat, desto besser. Erhärten sich die Vorwürfe, gibt es unterschiedliche mögliche Konsequenzen – von einer einfachen Verwarnung über eine Verwarnung mit Kündigungsandrohung bis hin zu einer fristlosen Kündigung, abgestuft nach der Schwere der Vorfälle. Möglich sind auch eine Versetzung oder eine Umstrukturierung der Teams.

Tut der/die Arbeitgeber:in nichts, kann man klagen

Und was, wenn einfach nichts passiert? Oder wenn die betroffene Person die Konsequenzen gar selbst zu spüren bekommt, etwa in Form einer Kündigung? In einem solchen Fall verletzt der/die Arbeitgeber:in seine oder ihre Fürsorgepflicht. Und das kann rechtliche Konsequenzen haben: «Als Betroffene kann man bei einer Entlassung wegen missbräuchlicher Kündigung klagen. Laut Gesetz kann in diesem Fall eine Entschädigung bis zu maximal sechs Monatslöhnen, eine Genugtuung sowie Schadenersatz geltend gemacht werden», erklärt Mullis Tönz.

Ein bekanntes Beispiel hierzu ist der Fall Nestlé: Die ehemalige Managerin Yasmine Motarjem war jahrelang Opfer von systematischem Mobbing und wurde schliesslich entlassen. Ende 2022 setzte sie sich gerichtlich gegen ihren früheren Arbeitgeber Nestlé durch – nach einem elfjährigen Verfahren. Die Richter:innen hielten in ihrem Urteil fest, dass Nestlé zu wenig getan habe, um die Mitarbeiterin vor Mobbing zu schützen. Der Milliardenkonzern musste Motarjem zwei Millionen Franken Lohnentschädigung, eine symbolische Genugtuung sowie 100'000 Franken für ihre Anwaltskosten zahlen. Das Urteil gilt als wegweisend. Dennoch betont Mullis Tönz: «Die Prozessführung bei Integritätsverletzungen ist schwierig, und die Hürden für Schadenersatzforderungen sind hoch.»

Tina und Fabienne gingen andere Wege: «Wenn er mich anschreit, dann kündige ich», hat sich Tina geschworen. Und sie hat das Versprechen eingehalten. Tina wechselte danach für ein paar Monate die Branche, überlegte sich ernsthaft, aus dem Social-Media-Bereich auszusteigen. «Ich habe ein halbes Jahr bei der Corona-Hotline gearbeitet, das war genau die richtige Entscheidung: Die Arbeitszeiten waren geregelt, ich konnte in der Mittagspause mit einem Buch am See sitzen und am Abend den Kopf wirklich abschalten.» Die Kreativität fehlte ihr aber je länger je mehr. Sie wollte zurück.

Fabienne
Ich habe so viel geweint in dieser Zeit. Ich liebte meinen Job. Aber am Schluss hatte ich alle Freude an der Arbeit verloren

«Für mich war aber klar: Ich will einen Arbeitgeber, der meine psychische Gesundheit nicht gefährdet. Und das habe ich heute. Mit meinem neuen Chef musste ich zuerst wieder erarbeiten, dass ich vertrauen darf. Dass meine Vorgesetzten in einem gesunden Umfeld nicht schaden wollen.»

Bei Fabienne löst sich die Situation erst ein wenig, als eine neue Kollegin ins Team kommt. «Dann hat sie sich auf die Neue eingeschossen», erzählt sie. Zu diesem Zeitpunkt litt Fabienne bereits an Depressionen – auch aufgrund der Arbeitssituation. «Ich habe so viel geweint in dieser Zeit. Ich liebte meinen Job, er war ein echter Jackpot, direkt nach dem Studium. Aber am Schluss hatte ich alle Freude an der Arbeit verloren», erzählt sie. Damals begab sie sich in Therapie und entschied nach zwei Jahren: Ich muss kündigen.

Heute, zwei Jahre später, kann man sich das kaum vorstellen: Wenn Fabienne spricht, hat sie einen ruhigen Blick, einen selbstbestimmten Ausdruck. Sie strahlt eine Stärke aus, wie sie viele Frauen haben, wenn sie eine schlimme Zeit überwunden haben und gefestigter sind als vorher. Heute hat Fabienne eine Leitungsposition, in einem anderen Berufsfeld und strahlt, wenn sie davon erzählt: «Ich habe Glück, dass ich etwas Gutes aus dieser Zeit mitnehmen konnte: Ich weiss jetzt, wie ich sicher nie sein will als Führungsperson. Heute kann ich die Chefin sein, die ich damals nicht hatte.»

So wehrst du dich gegen Mobbing

Was kannst du tun, wenn du das Gefühl hast, gemobbt zu werden, oder wenn du dich an deinem Arbeitsplatz nicht wohl fühlst? Wir haben die wichtigsten Tipps für dich zusammengestellt. Vorab: Mobbing rechtlich nachzuweisen, kann schwierig sein. Darum ist es sehr wichtig, dass du möglichst früh aktiv wirst, Beweise und Belege sammelst und dir rechtliche Unterstützung holst.

  • Sprich Konflikte frühzeitig an: Mobbingsituationen entstehen oft nicht von einem Tag auf den anderen. Häufig beginnt das systematische Schikanieren mit einem Konflikt oder einzelnen Unstimmigkeiten. Thematisiere solche Dinge frühzeitig und sprich die involvierte Person direkt an. Falls nötig, bitte ein:e Kolleg:in oder eine:n Vorgesetzte:n, bei dem Gespräch dabei zu sein.
  • Informier dich über die Abläufe in deinem Betrieb: Dein:e Arbeitgeber:in ist eigentlich dazu verpflichtet, dich darüber zu informieren, was du im Falle von Konflikten, Mobbing oder der Verletzung deiner Integrität tun kannst. Falls du nicht über diese Abläufe und die zuständigen Stellen informiert wurdest, schau im Personalreglement oder in deinem Arbeitsvertrag nach, ob du dazu etwas findest. Falls du nichts findest, frag – sofern es die Situation zulässt – bei Vorgesetzten oder der Personalabteilung nach.
  • Teil dich mit: Wenn du das Gefühl hast, Mobbing zu erleben oder nicht korrekt behandelt zu werden, ist es wichtig, dies so schnell wie möglich mitzuteilen. Nur wenn dein:e Arbeitgeber:in über deine Situation Bescheid weiss, kann sie dich schützen. Je nach Situation gibt es hier unterschiedliche Anlaufstellen.
  • Mobbing durch Kolleg:innen auf derselben Stufe: Informiere deine:n direkte:n Vorgesetzte:n über die Geschehnisse und mach klar, dass es eine Klärung der Situation braucht. Ein erstes Gespräch kannst du je nach Situation und Verhältnis alleine mit deinem Vorgesetzten führen. Geschieht nichts oder fühlst du dich zu wenig unterstützt, solltest du nicht zu lange warten. Verlange ein weiteres Gespräch, direkt mit deinem/deiner Vorgesetzten oder mit der Personalabteilung. Zu diesem Gespräch ist es ratsam, ein:e Anwält:in oder eine andere rechtliche Unterstützung als Begleitung mitzubringen.
  • Mobbing durch Vorgesetzte (Bossing): Tausch dich mit Kolleg:innen darüber aus, wenn es jemanden gibt, der/die dir nahe steht und dem/der du vertraust. Wende dich zusätzlich möglichst rasch an die Personalabteilung oder eine intern definierte zuständige Stelle für solche Fälle. Für dieses Gespräch empfiehlt es sich, dich von einer ein:er Anwält:in oder einem anderen rechtlichen Beistand unterstützen zu lassen. So kann sichergestellt werden, dass das Verfahren korrekt verläuft.
  • Mobbing von Mitarbeitenden gegenüber Vorgesetzten (Staffing): Tausch dich mit anderen Personen auf deiner Stufe aus, sofern es jemanden gibt, dem/der du vertraust. Wende dich an die Personalabteilung oder eine andere intern zuständige Stelle. Auch in diesem Fall ist es wichtig, dich bei den Gesprächen von einer/einem Anwält:in oder einem anderen rechtlichen Beistand unterstützen zu lassen, um sicherzustellen, dass das Verfahren korrekt verläuft.

Fehlt dir das Vertrauen, dich an interne Stellen zu wenden, kannst du dich in allen Fällen auch ausserhalb des Unternehmens beraten lassen. Es gibt diverse Fachstellen, die sich mit dem Thema auskennen. Dazu zählen unter anderem die kantonalen Fachstellen für Gleichstellungsfragen, die Gewerkschaften oder das Netzwerk Arbeit und Konflikt.

  • Schliesse frühzeitig eine Rechtsschutzversicherung ab: Gewisse Rechtsschutzversicherungen bieten Rechtshilfe bei Fällen von Mobbing am Arbeitsplatz, beispielsweise unsere Rechtsschutzversicherung elleXX JUSTIS. Sie unterstützen dich bei der Beurteilung, bieten rechtlichen Support durch eine:n Anwält:in oder beteiligen sich an den entsprechenden Kosten.
  • Führe ein Mobbingtagebuch: Halte die Vorfällle, Aussagen und Situationen für dich schriftlich fest. Notiere dir dazu Ort, Datum, die Situation, Aussagen sowie Anwesende. Ein Mobbing-Tagebuch hilft dir, die Situation für dich zu reflektieren. Zudem ist es ein wichtiges Dokument bei einem Rechtsstreit oder bei einer internen Untersuchung. Eine saubere Dokumentation hilft zur Übersicht und unterstützt deine Glaubwürdigkeit.
  • Bewahre Beweise auf: Je mehr du belegen kannst, umso besser. Darum ist es wichtig, dass du E-Mails, Chatnachrichten und -verläufe, Notizzettel, SMS und alle anderen Dokumente, die Mobbing belegen, aufbewahrst. Sowohl bei einem Rechtsstreit als auch bei einer internen Untersuchung unterstützen solche Beweise deine Aussagen.
  • Suche Zeug:innen: Wenn du deinem Umfeld vertraust oder zumindest gewissen Personen daraus, tausch dich mit ihnen aus. Frag sie, ob sie die Vorfälle bemerkt haben und nenne sie bei einer Untersuchung als allfällige Zeug:innen.
  • Hol dir rechtliche Unterstützung: Ziehe so früh wie möglich ein:e Expert:in, beispielsweise ein:e Anwält:in, bei und lass dich beraten bei Fragen zum Verfahren und deinem Vorgehen. Ausserdem ist es wichtig, dass dich ein:e Expert:in zu offiziellen Gesprächen mit deinem/deiner Vorgesetzten oder der Personalabteilung begleitet.
  • Hol dir psychologische Hilfe: Mobbingerfahrungen können schwere Folgen für deine körperliche und psychische Gesundheit haben. Hol dir darum nicht nur rechtliche Unterstützung, sondern auch psychologische. Auch hier können dir die oben genannten Netzwerke weiterhelfen.
  • Dokumentiere deine Aktivitäten: Egal, was du unternimmst, halte deine Schritte fest. Bewahre E-Mails, die du zum Fall mit Vorgesetzten oder der Personalabteilung austauschst auf, notier dir Datum und Uhrzeit und den Inhalt von Gesprächen mit Vorgesetzten, Kolleg:innen oder der Personalabteilung. Sowohl für einen Rechtsstreit als auch für eine interne Untersuchung ist es wichtig, dass du nachweisen kannst, wann und in welcher Form du aktiv geworden bist.

*Name der Redaktion bekannt. Zur Transparenz: Dieser Artikel erschien zum ersten Mal am 25. April 2023.

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