Der dreifache Vater und Ressortleiter bei der annabelle spricht in den Männerfragen darüber, warum seine Familie nicht so gern mit ihm am Palmenstrand sitzt, weshalb Männer manchmal beleidigte Leberwürste sind und warum der Vaterschaftsurlaub vielleicht gar nicht eine so gute Idee war.
Wir fragen Männer, was sonst nur Frauen gefragt werden. Wir wollen damit einen Dialog über Stereotypen in Gang setzen, zum Nachdenken und Schmunzeln anregen, aber auch Toxizität entlarven.
Du bist ein richtiger Powermann, hast drei Kinder und eine beeindruckende Karriere …
Haha, ich bin froh, dass du diesen Ausdruck verwendest. Wenn ich «Powerfrau» sage, dann gehen bei uns in der annabelle-Redaktion gleich alle Alarmglocken an!
Willkommen bei den Männerfragen! Wie bringst du alles unter einen Hut?
Was denn alles?
Deine Kinder und deine Karriere. Du bist ja quasi der Vorzeige-Papa der Schweiz und hast deine Kolumnen darüber sogar in Buchform veröffentlicht.
Ich wurde ziemlich jung, mit 27, zum ersten Mal Papi.
Das ist aber nicht soo jung.
(Guckt kurz verdutzt.) Ich fühlte mich auf jeden Fall sehr jung, meine Frau und ich waren damals beide noch im Studium. Aber zu deiner Frage, wie ich das unter einen Hut bringe: Meiner Karriere hat es sicher geholfen, dass wir uns immer gut abgesprochen haben, meine Frau und ich. Bei jedem Job, den ich angenommen habe, war für mich klar, dass ich spätestens um halb sieben zu Hause sein will. Und dass ich keine Abend- oder Wochenendarbeit leiste – jedenfalls nicht standardmässig. Dadurch, dass ich das immer transparent kommuniziert habe, war es eigentlich auch nie ein Problem für meine Arbeitgeber:innen.
Was machst du für deine psychische Gesundheit?
Ich glaube, meine natürliche Konstitution kommt mir da sehr entgegen. Ich muss nicht stundenlang wandern gehen, um mich zu entspannen. Ich fahre Velo und gehe ab und zu skaten mit meiner Tochter. Chaos wirkt auf mich ein wenig wie Ritalin: Ich werde eher ruhig, wenn es hektisch wird. Ich gehe durch einen turbulenten marokkanischen Souk relativ gelassen, kann aber schlecht ruhig an einem Palmenstrand sitzen, da werde ich hibbelig. Ich würde dann am liebsten auf die Palme klettern. Das kann für meine Familie in den Ferien manchmal ganz schön nervig sein. Aber dafür war ich dadurch noch nie nahe an einem Burn-out. Ich kann meinen Stresspegel im Alltag sehr gut balancieren.
Wie machst du das?
Es ist wichtig, dass man seine Grenzen und Bedürfnisse kennt, sie klar kommuniziert und dass man ein Umfeld hat, das auch darauf eingeht. Das haben meine Frau und ich sehr früh gelernt – aufeinander zu achten. Anders funktioniert es aus meiner Sicht auch nicht, eine Familie zu haben. Das soll jetzt aber nicht klingen, als wäre ich top organisiert. Das bin ich nämlich nicht so. Unseren Interviewtermin zum Beispiel habe ich vergessen.
Ah, cool.
Haha, ja. Ich habe heute eigentlich Kindertag – keine Ahnung, warum ich diesen Termin trotzdem abgemacht habe mit dir. Vor einer Viertelstunde bekam ich dann diese Push-Meldung auf meinem Handy. Also habe ich meinen ältesten Sohn gebeten, auf den Jüngsten aufzupassen. Der Älteste ist 19 und der Jüngste neun Jahre alt, das geht super. Und du hast nicht einmal gemerkt, dass ich den Termin vergessen hatte, oder wirkte ich gestresst?
Nö, tiefenentspannt.
Eben.
Macht die Schweiz genug für Väter in Bezug auf Gleichstellung?
Puh. Wenn man von Vätern und Gleichstellung redet, spricht man ja eigentlich über Frauen und Gleichstellung. Wenn du damit aber meinst, dass auch Männer eine echte Freiheit haben sollen, ihren Weg selber zu wählen, dann könnte man noch mehr machen. Aber ich glaube, da ist unser kapitalistisches Wirtschaftssystem ein noch grösseres Problem ist als Politik und Gesellschaft.
Wie meinst du das?
Zum Beispiel verstehe ich, dass es für Unternehmen schwierig sein kann, flexible Teilzeitstellen anzubieten. Nicht jedes Betriebsmodell ist darauf ausgelegt, dass alle ihre Kinder um fünf aus der KiTa abholen können. Oder Homeoffice machen können, wenn die Kids krank sind. Die Unternehmen stehen ja alle auch unter einem Druck, sie müssen wettbewerbsfähig bleiben. Das macht die Diskussion nicht ganz einfach.
Was würde denn helfen?
Eine Elternzeit, die Paare – geschieden oder nicht – flexibel untereinander aufteilen können, wäre schon einmal cool. Sowas wie jährliche Joker-Tage. Es gibt ja immer wieder Phasen, in denen man Raum und Zeit bräuchte, um einander unkompliziert unterstützen zu können. Und eben nicht nur in den ersten Wochen nach der Geburt. Es gibt über so viele Jahre immer wieder Momente, die einem den Schlaf rauben, oder Momente, in denen ein Elternteil oder auch ein Kind Unterstützung braucht. Darum wäre es wichtig, dass man eine flexible Elternzeit hätte.
Also bitte, Männer haben schon zwei Wochen Vaterschaftsurlaub gekriegt. Reicht das nicht?
Ganz ehrlich, ich war damals bei der Abstimmung nicht uneingeschränkt dafür. Klar ist es schön, dass Väter nach der Geburt jetzt ein bisschen länger daheim bleiben können. Aber das wird meines Erachtens weder das Rollenverständnis noch die Rollenverteilung von Mann und Frau wirklich revolutionieren – und damit auch die Gleichberechtigung nicht derart vorantreiben, wie man das gerne hätte. Denn die strukturellen Probleme sind damit nicht aus der Welt. Im Gegenteil: Ich glaube sogar, dass das Ja zum Vaterschaftsurlaub den Status quo eher noch zementiert hat, weil er die eigentliche Diskussion – nämlich diejenige, wie man nachhaltig den wirtschaftlichen und psychischen Druck aus den Familiensystemen bringt – wieder um ein paar Jahre nach hinten geschoben. Und man muss ja nun nicht wahnsinnig fein geeicht sein, um festzustellen, dass dieser Druck in den letzten Jahren massiv zugenommen hat. Der Vaterschaftsurlaub ist da ein Tropfen auf den heissen Stein, höchstens.
Gibs zu, du bist doch einfach ein Arbeitstier und willst, dass die Frau zu Hause bleibt.
Hahaha. Nein, aber es ist doch wichtig, dass wir gesellschaftliche und rechtliche Strukturen schaffen, die vielfältige Lebensformen möglich machen. Wenn beide Elternteile viel arbeiten und für die Kinderbetreuung jemanden engagieren möchten, ist das doch okay und letztlich auch ihre Entscheidung. Aber genauso sollte es möglich sein – und es wäre wohl für alle Beteiligten auch gesünder –, dass beide nur Teilzeit erwerbstätig sind, zumindest in besonders harten oder pflegeintensiven Zeiten, ohne dass sie dann gleich komplett und nachhaltig in Schieflage geraten.
Um wie viel hast du dein Pensum nach der Geburt deiner Kinder reduziert?
Auf 80 Prozent. Seit ein paar Jahren arbeite ich wieder 90 Prozent. Ich habe immer mehr Lohnarbeit betrieben als meine Frau, was sich positiv auf meine Karriere ausgewirkt hat, mich im Gegenzug aber auch in eine zum Teil etwas undankbare, weil unflexible Ernährerrolle gedrängt hat. Bei meiner Frau wars ziemlich genau umgekehrt. Auf dem Bankkonto hat sich unsere doppelte «Leistungsbereitschaft», wenn man so will, aber nicht unbedingt niedergeschlagen: Immer, wenn ich eine Lohnerhöhung erhalten habe, kam wieder ein Kind. Oder ein Hund (grinst). Und dann bist du wieder gleich weit wie vorher. Meine Frau und ich werden am Ende locker eine Million Franken ausgegeben haben, allein um unsere drei Kinder in der Stadt Zürich grosszuziehen. Und das Geld versickert dabei ja nicht in irgendwelche Luxusgüterkonzerne, sondern fliesst direkt zurück in den Wirtschaftskreislauf von Nahrungsmittelproduzenten, Grossverteilern, Telekomanbietern, Gesundheitsdienstleistern und so weiter. Und ein ziemlich fetter Anteil verschwindet in den Taschen von Wohnraumeigentümer:innen, was meine Frau und ich nicht sind und wohl auch nie sein werden.
Stresst dich diese Ernährerrolle?
Ja, schon, ehrlich gesagt. Ich muss einfach immer diesen dicken Batzen nach Hause bringen, Monat für Monat. Ohne Unterbruch. Seit bald zwanzig Jahren. Sonst geht unserer Familie ganz schnell die Luft aus. Und natürlich gibt es auch in meinem Leben – wie auch im Leben meiner Frau – durchaus Situationen, in denen ich alles versuche zu jonglieren: Job, Familie, Freund:innen. Und alle zerren irgendwie an einem herum. Mich stresst aber vor allem ganz allgemein, dass es heute kaum mehr möglich ist, zumindest in der Stadt Zürich, von weniger als zwei Vollzeitgehältern halbwegs vernünftig leben zu können. Das hat sich ja krass verändert: Die Generation meiner Eltern konnte noch sehr gut von nur einem Gehalt leben, konnte davon sogar sparen und irgendwann ein Haus kaufen. Das ist heute für sehr viele Paare und Familien schlichtweg nicht mehr möglich. Das wäre ja ein Traum: Würde ein 100-Prozent-Gehalt heute noch zum Leben, Sparen und Investieren ausreichen, könnten meine Frau und ich beide 60 Prozent arbeiten. Das wäre perfekt.
Für die annabelle hast du einen Text darüber geschrieben, dass es unfair ist, pauschal auf euch Männer einzuprügeln. Warum so empfindlich? Ihr seid doch das starke Geschlecht?
Wir sind eben nicht nur dieses starke Geschlecht. Gerade die vermeintlich härtesten Typen neigen, wenn sie sich zu Unrecht angegriffen fühlen, zur beleidigten Leberwurst. Und nicht wenige schlagen dann wie verletzte Tiere um sich. Deshalb finde ich es nicht nur unfair, sondern der Sache auch nicht dienlich, wenn man pauschal auf Männer eindrischt, sie zu alten weissen Männern degradiert und so tut, als hätten sie alle ein schönes und privilegiertes Leben gelebt. Denn in einem kapitalistischen System werden durchaus auch Männer ausgebeutet. Und wenn Männer vierzig Jahre lang Kohle abgebaut und Raubbau an ihren Körpern betrieben haben, damit es alle schön warm haben – auch ihre Frauen –, dann hören sie sich zum Ende ihres Lebens nur ungern die Vorträge von jungen Student:innen an, die ihnen quasi Totalversagen vorwerfen und nichts weniger als die Zerstörung der Welt.
Wusste nicht, dass dich eine frühere Karriere als Kohlenschaufler zu diesem Text inspiriert hat.
Haha. Nein, aber ohne Witz, es gibt wirklich strukturelle Ungerechtigkeiten, mit denen Männer spezifisch zu kämpfen haben. Letztlich auch unter dem Patriarchat. Ich habe zum Beispiel auch schon Absagen für Jobs erhalten, für die ich mich beworben habe, um weniger zu arbeiten, und dies mit der Begründung, dass ich überqualifiziert sei. Dabei wollte ich genau das: Weniger Verantwortung, ein niedrigeres Pensum. Damit ich mehr Zeit für meine Familie habe. Aber um zurück zu meinem Punkt zu kommen: Eine solche pauschale Verurteilung und Schuldzuschreibung der Männer führt dazu, dass manche Männer zu Feinden werden. Dass sie absolut gar keinen Bock haben, sich für Gleichstellung und damit letztlich für mehr Gerechtigkeit und Chancengleichheit zu engagieren. Und das ist sehr schade. Denn eigentlich müssten wir, wenn schon, nach oben treten – und sicher nicht nach unten.