Es ist schon ziemlich voll, als Franka ihren Mantel am Empfang abgibt. Sie ist absichtlich eine Stunde nach Beginn des Neujahrsapéros von Hirzel & Partner erschienen. Nichts ist schlimmer als in einem halbleeren Saal alleine an einem halbvollen Prosecco zu nippen. Ausser vom einzigen, ebenfalls pünktlich erschienenen Looser zugetextet zu werden.
Aber sie muss wieder unter die Leute. Hat zumindest an Weihnachten ihre Mutter erklärt. Es sind erst sechs Monate vergangen, seit Thierry und sie sich getrennt haben, aber Franka ist 37 und ihre Uhr tickt schon etwas lauter. Daran ändert nichts, dass Franka eine Erscheinung ist.
Als sie den Saal betritt, drehen sich denn auch etliche Köpfe diskret nach ihr um. Darunter solche mit bekannten Gesichtern. Keller lässt sich gar grinsend zu einer Bemerkung über ihre Endlos-Beine und den Schmollmund hinreissen als sie ihn passiert.
Nachdem sich Franka von einem der lautlos herum wieselnden Kellnern ein Glas hat reichen lassen, steuert sie auf eine Dreiergruppe zu, die sich um einen der kleinen Stehtische versammelt hat. Schilling unterhält sich mit zwei jüngeren Kollegen. Der Grössere von beiden ist optisch genau Frankas Typ. Und sie seiner, soviel ist nach dem ersten Blickkontakt klar.
"Franka, wie schön Sie zu sehen. Sind Sie so gut ins neue Jahr gestartet, wie Sie heute Abend aussehen? Dann stossen Sie mit uns darauf an!" Schilling streckt ihr mit seinem überheblichen und doch charmanten Grinsen sein Glas entgegen. Die beiden anderen tun es ihm gleich.
"Schilling, so galant wie im alten Jahr. Die Freude ist ganz meinerseits."
"Das ist Moser, unser bester Mann in Sachen Tax für Private Clients. Zu seiner Rechten Hitzberger, unsere neueste Errungenschaft im Transaktionsbereich. Anfangs November für gutes Geld von Vorberger abgeworben."
"Freut mich sehr." Franka stösst mit beiden Männern an. Einen Moment länger mit Hitzberger.
"Franka war vor fast zehn Jahren unsere vielversprechendste Anwältin, hat uns dann aber verlassen, um höhere Ziele zu verfolgen."
"Sie entschuldigen mich." Schilling hat sich bereits abgedreht, um einen Kollegen zu begrüssen und Moser folgt ihm. "Keller, alter Knabe!"
"Und wie gefällt es Ihnen bei Hirzel? Haben Sie sich schon akklimatisiert?" Franka stellt ihr Glas auf den Stehtisch und sich selbst einen halben Meter näher zu Hitzberger.
"Es gefällt mir sehr gut. Viel Zeit, mich einzugewöhnen, hatte ich allerdings nicht. Schilling hat mich für den Abschluss einer ins Stocken geratenen Grosstransaktion geholt. Am 23. Dezember war Signing und letzte Woche haben wir den Deal geclost."
"Das hört sich nicht nach erholsamen Feiertagen an."
"Erholen kann man sich, wenn man tot ist. Meint Schilling jedenfalls. Nein, sie haben natürlich recht. Etwas weniger an Wochenenden und Feiertagen zu arbeiten, ist denn auch mein Neujahrsvorsatz."
"Dann haben wir bereits einen gemeinsamen."
"Darauf stossen wir gleich nochmals an. Ich bin übrigens Martin."
Es stellt sich heraus, dass Martins letzte Beziehung vor 10 Monaten gescheitert ist, insbesondere weil er kaum zuhause war. Sie waren bereits verlobt und Martin möchte immer noch gerne Familie.
Er ist begeistert, dass Franka gerne und gut kocht. Ein Talent, das ihm abgeht. Dafür kann er jedes elektronische Gerät reparieren, was Franka mit ihrer fehlenden Affinität zu Technik wiederum genial findet.
Die beiden sind so in Gespräch vertieft, dass sie nicht merken, dass sich der Saal langsam leert und Schilling und Moser irgendwann zum Abschied winken.
Genau wie Franka ist Martin Langstreckenläufer und fährt im Winter gerne Ski. Seine Eltern haben ein Chalet in Gstaad, das die meiste Zeit leer steht.
"Übermorgen soll der grosse Schnee kommen." Marc sieht Franka lange in die Augen. "Hast Du bereits Pläne fürs Wochenende?"
Frankas Puls beschleunigt sich und vor ihrem inneren Auge sieht sie sich bereits mit Martin vor dem knisternden Kaminfeuer sitzen. "Keine, die sich nicht verschieben lassen."
"Dann darf ich Dich für zwei Tage nach Gstaad entführen?"
"Du darfst."
Ein Kellner räumt die leeren Gläser ab und ist schliesslich beim letzten besetzten Tisch von Franka und Martin angelangt.
"Ich glaube, die werfen uns gleich raus hier. Zeit, zu gehen. Rufst Du mich an?" Franka kramt in ihrer Handtasche und fischt eine Visitenkarte heraus.
Sie sieht nicht, wie das Lächeln aus Martins Gesicht weicht, als sie ihm die Karte überreicht.
"Klar, ich ruf Dich an." Martin wirft einen Blick auf seine Rolex und steuert im nächsten Moment auf den Ausgang zu.
Als Franka sich ebenfalls zum Aufbrechen bereit macht, sieht sie ihre Visitenkarte auf dem Stehtisch liegen: "Franka Gassmann, Prof. Dr., Executive MBA Harvard Business School, Professorin für Handels- und Wirtschaftsrecht HSG, Bodanstrasse 3, 9000 St. Gallen"
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