Je weiter man auf der Karriereleiter hochblickt, umso weniger Frauen findet man. Zwar hat die Zahl weiblicher Geschäftsleitungsmitglieder in den vergangenen Jahren zugenommen – im Topmanagement sassen 2023 rund 22 Prozent Frauen. Gleichzeitig verlassen Frauen aber auch nach kürzerer Zeit und deutlich öfter als Männer ihre Posten wieder. 

Den Gründen dafür sind wir im ersten und zweiten Teil unserer Serie «Frauen an der Spitze» nachgegangen. Dabei hat sich gezeigt: Ein wichtiger Faktor, warum Frauen wieder gehen, ist die Kultur in den Teppichetagen. Eine Kultur, die von Männern für Männer gemacht wurde und in der sich Frauen oft weder wohlfühlen noch wirklich Platz haben. 

Samantha Taylor, Chefredaktorin ellexx
Männer haben es in der Hand, ob Frauen eingestellt und befördert werden oder nicht. Ob in der Kaffeepause sexistische Sprüche Top oder Flop sind. Ob in Meetings nur eine Stimme zu Wort kommt oder viele. 

Männer sitzen an den Schalthebeln der Macht 

Um Frauen in Spitzenpositionen zu halten, braucht es einen Kulturwandel, da sind sich Betroffene und Expert:innen einig. Aber wie schafft man diesen Umbruch? Fest steht: Frauen allein können diesen Wandel nicht schaffen. 

Gefragt sind also die Männer. Wir sagen es ungern, aber: Männer haben das berufliche Schicksal von uns Frauen zu einem gewissen Teil noch immer in der Hand – leider. Sie sind es, die vielerorts an den Schalthebeln der Macht sitzen. In Unternehmen bestimmen sie mehrheitlich über personelle Zusammensetzungen, Prozesse und Kultur. Sie haben es in der Hand, ob Frauen eingestellt und befördert werden oder nicht. Ob in der Kaffeepause sexistische Sprüche Top oder Flop sind. Ob in Meetings nur eine Stimme zu Wort kommt oder viele. 

Natürlich sind Frauen nicht völlig ausgeliefert. Sie können auf Missstände aufmerksam machen, Zustände anprangern, intervenieren, sich wehren oder Veränderungen anstossen. Als Minderheit ist ihr Einfluss aber genauso begrenzt wie ihre Energie. Um gewachsene Strukturen aufzubrechen, braucht es die Männer mit ihrer Macht, in ihren Positionen und mit ihren Mehrheiten. Es braucht Männer, die sich mit Frauen verbünden. 

Verbündete müssen handeln

Dieses Konzept, gemäss dem sich Mehrheiten für Minderheiten stark machen, hat einen Namen: Allyship. Entstanden ist es in den 1950er/1960er-Jahren aus der Bürgerrechtsbewegung in den USA, als privilegierte Weisse die Anliegen von Schwarzen unterstützten. Allyship bezieht sich nicht nur auf die Geschlechterfrage, sondern auf alle Bereiche, in denen es um Macht, Privilegien, Mehrheiten und Minderheiten geht. 

Ein:e Ally ist nicht Teil der marginalisierten Gruppe, sondern gehört zu jenen, die am «Drücker» sind. Man nutzt als Ally die eigenen Privilegien, um benachteiligte Gruppen zu unterstützen – politisch, gesellschaftlich oder eben in Unternehmen. Ein zentrales Kriterium für eine:n Ally ist zudem: Handeln. Es reicht nicht, Ungerechtigkeiten und Diskriminierung zu sehen, darüber zu sprechen oder sich aufzuregen. Man muss aktiv werden. 

Samantha Taylor, Chefredaktorin ellexx
Als Minderheit ist der Einfluss von Frauen genauso begrenzt wie ihre Energie. Um gewachsene Strukturen aufzubrechen, braucht es die Männer mit ihrer Macht, in ihren Positionen und mit ihren Mehrheiten. Es braucht Männer, die sich mit Frauen verbünden. 

Damit stellt sich aber auch eine Reihe von Fragen aus Sicht der Allies – in diesem Fall den Männern: Was kann man tun, um im Job ein Ally zu sein? Oder warum soll man diesen Aufwand betreiben, wenn man selbst vielleicht gar nicht direkt davon profitiert? All das haben wir mit Pirmin Meyer und Konrad Weber besprochen. Pirmin Meyer ist Strategieberater mit Schwerpunkt People and Culture, Jurist und Co-Präsident von WE/MEN. Die Organisation setzt sich ein für einen positiven Dialog von Männern und Frauen zur Gleichberechtigung. Konrad Weber ist Strategieberater und Coach im Bereich digitale Transformation. Auch er ist Vorstandsmitglied von WE/MEN. Die beiden bieten ausserdem Beratung und ein Trainingsprogramm zum Thema Allyship an.

Warum braucht es Allyship in der Unternehmenswelt?

Konrad Weber: Heute wird in Unternehmen oft über Diversität gesprochen. Es gibt wohl kaum ein Unternehmen, das diesen Wert nicht wichtig findet. Studien zeigen aber: In über 80 Prozent der Fälle bleibt es bei Worten. Es folgen keine Taten. Vielleicht werden mal Bias-Trainings durchgeführt, um die eigene Voreingenommenheit zu hinterfragen. Doch das wirkt als alleinstehende Massnahme kaum nachhaltig. Und das hat Folgen. Es ist der Hauptgrund, warum Mitarbeitende demotiviert sind, innerlich kündigen und Frauen im Speziellen immer wieder an die gläserne Decke stossen.

Konrad Weber, Vorstandsmitglied WE/MEN
Heute wird in Unternehmen oft über Diversität gesprochen. Studien zeigen aber: In über 80 Prozent der Fälle bleibt es bei Worten. Es folgen keine Taten. 

Und das sollen die Männer richten?

Konrad Weber: Einen Teil zumindest. Es liegt an den Männern, dass diese gläserne Decke für Frauen noch immer kaum zu durchbrechen ist. Wir wollen nicht sagen, ihr müsst alle in den Nachhilfeunterricht. Es geht darum, Männer in die Diskussion miteinzubeziehen. Oft herrscht unter Männern die Haltung: Liebe Frauen, regelt das selbst. Vernetzt euch besser, macht euch bemerkbar. Wir haben damit nichts zu tun. Das stimmt so nicht, und darum wollen wir das ändern.

Und wie?

Konrad Weber: Indem wir die Problematik zum Thema machen und den Männern aufzeigen, wo sie ihren Anteil haben. Weiter führen wir mit Männern Diskussionen und versuchen, sie zur Selbstreflexion anzuregen oder auch mal mehr oder weniger sanft zu pushen. Das klingt vielleicht hart, aber wir möchten, dass sie sich ihrer Privilegien und ihrer Vorurteile bewusst werden. Und schliesslich wollen wir gemeinsam mit den Frauen zu einer Zusammenarbeit auf Augenhöhe kommen. 

Das klingt ziemlich theoretisch. Wenn ich als Mann ein Ally sein möchte, was muss ich konkret tun? 

Pirmin Meyer: Erstens muss man sich bewusst werden, dass es Veränderungen braucht. Man muss merken: Hey, es ist nicht normal, dass nur Männer über gewisse Dinge entscheiden oder gewisse Positionen nur von Männern besetzt sind. In einem nächsten Schritt kann man als Individuum selbst aktiv werden. Oder man kann als Unternehmen die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen. Idealerweise geschieht beides.

Dann schauen wir uns doch mal die Rahmenbedingungen an.

Konrad Weber: Man kann beispielsweise Teams aufbrechen und in neuen Zusammenstellungen an Projekten arbeiten. Man kann Aufgaben neu verteilen, damit verschiedene Personen zum Zug kommen. Oder man kann darauf achten, dass in Meetings auch leisere Stimmen zu Wort kommen. Es geht hier übrigens nicht nur um das Genderthema, sondern generell darum, neue Formen und Formate zu finden, in denen sich alle wohl fühlen. 

Pirmin Meyer, Co-Präsident WE/MEN
Je mehr man Allyship übt, umso einfacher wird es. 

Und wie kann ich mich als einzelner Mann einsetzen? 

Konrad Weber: Als Einzelperson kann ich mal einen Schritt zurück machen, vor einer intuitiven Zusage innehalten oder bewusst ganz auf eine Aufgabe oder eine Funktion verzichten. Ich kann aber auch Dinge direkt ansprechen, die mir auffallen. Dass zum Beispiel nur Männer auf einem Podium sitzen. Oder dass jemand in einem Meeting wiederholt sehr viel Platz einnimmt. Es hat – leider – eine ganz andere Wirkung, wenn ein Mann einem anderen Mann solche Dinge sagt, als wenn diese Kritik von der einzigen Frau in einer Gruppe stammt.

Pirmin Meyer: Das ist ein wichtiger Punkt: Als Ally muss man einschreiten. Missstände nur zu sehen, reicht nicht. 

Wie schreitet man denn «gut» oder wirksam ein?

Auch da gibt es verschiedene Wege. Wichtig ist: Es muss nicht immer unmittelbar in der betreffenden Situation stattfinden. Wir kennen es alle, dass man eine Situation erlebt und selbst perplex ist. Vielleicht fehlen einem in dem Moment die Worte. Das ist nicht schlimm. Man kann auch im Nachhinein reagieren und mit der betreffenden Person das Gespräch suchen. In einem Moment und Setting, in dem man sich wohl fühlt. 

Ich möchte an dieser Stelle übrigens noch etwas anderes ergänzen. Wir reden jetzt vor allem über den beruflichen Kontext. Allyship geht aber noch weiter.

Pirmin Meyer, Co-Präsident WE/MEN
Gleichstellung, Diversität und Inklusion sind keine «Frauenanliegen». Es sind Themen, die alle angehen. 

Inwiefern?

Pirmin Meyer: Du bist nur halber Ally, wenn du dich bei der Arbeit einsetzt, aber zu Hause nicht. Um ein wirklicher Verbündeter zu sein, muss man auch für die unbezahlte Arbeit Lösungen suchen. Stichwort Vereinbarkeit. 

Wer sich als Ally positioniert, exponiert sich. Das kann unangenehm sein. Wie bereitet man sich darauf vor?

Pirmin Meyer: Man kann sich diesen Mut Schritt für Schritt aneignen. Ich kann damit anfangen, offen und reflektiert zu sein. Weiter kann ich Fragen stellen und zuhören und wenn ich mich sicher fühle, kann ich in bestimmten Situationen Position beziehen. All das kann in einem Workshop von uns geübt werden, beispielsweise in Rollenspielen. Das klingt jetzt vielleicht seltsam, ist aber hilfreich. Je mehr man Allyship übt, umso einfacher wird es. Das weiss ich aus eigener Erfahrung. Hier sind übrigens die Unternehmen in der Pflicht. Sie können die Führungskräfte ermutigen, einen geeigneten Rahmen für solche Aktivitäten zu schaffen.

Als Mann könnte ich mich auf den Standpunkt stellen, dass mich das alles nichts angeht. Für mich läuft es ja bestens. Warum soll ich an einem System schrauben, das mich bevorzugt, und eine Veränderung pushen, die für mich vielleicht sogar Nachteile bringt? 

Pirmin Meyer: Diese Haltung kann man haben. Und es kommen auch immer wieder Männer zu mir, die beispielsweise ihren Frust darüber ablassen, dass sie gewisse Privilegien teilen müssen. Das ist ja durchaus ein Teil der Wahrheit. Die Unternehmen sollten offen damit umgehen und die Chancen für das grosse Ganze aufzeigen. Wie zum Beispiel mehr Innovation durch vielfältigere Teams oder ein besseres Spiegelbild der Kundschaft.

Konrad Weber, Vorstandsmitglied WE/MEN
Ich wünsche mir, dass sich CEOs von grossen Firmen hinstellen und sagen: «Ich mache nicht alles perfekt, aber ich will ein Verbündeter sein.» 

Wie überzeugt man Männer davon, trotzdem mitzumachen?

Konrad Weber: Manche holt man auf der emotionalen Ebene ab. Weil sie beispielsweise Töchter haben oder selbst in einen neuen Lebensabschnitt kommen und sich darum Gedanken rund um Gleichstellung machen. Manche können wir mit Zahlen und Fakten überzeugen. Also mit den wissenschaftlichen Daten, die zeigen, dass Diversität zu mehr wirtschaftlichem Erfolg, mehr Innovationskraft und besseren Ergebnissen führt. 

Pirmin Meyer: Was ich ebenfalls wichtig finde, ist, dass wir versuchen, das Thema wegzunehmen von den Frauen. Gleichstellung, Diversität und Inklusion sind keine «Frauenanliegen». Es sind Themen, die alle angehen. Man darf nicht vergessen, dass es auch Männer gibt, die unter patriarchalen Strukturen leiden. 

Was ist eure Vision oder euer Wunsch in Sachen Allyship?

Pirmin Meyer: Ich wünsche mir einen Kulturwandel. Weg von einer Kultur, in der man einander Dinge zuschreibt, hin zu einer Kultur des Wohlwollens und einer Kultur, in der man neugierig aufeinander zugeht und eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe für alle erreicht. 

Konrad Weber: Ich hoffe, dass sich mehr Männer für dieses Thema stark machen – bis hinauf zum C-Level. Ich wünsche mir, dass sich CEOs von grossen Firmen hinstellen und sagen: Ich habe auch Fehler gemacht, und ich mache auch heute nicht alles perfekt, aber ich will ein Verbündeter sein. Wir brauchen solche Vorbilder.