Ich möchte erwerbstätig sein, unbedingt sogar. Weil es mir viel gibt, wir das Geld brauchen und ich weiss, dass ich gut darin bin. Aber dafür, wie sich mein Leben in den letzten drei Jahren angefühlt hat, habe ich keine Kraft mehr. In dieses Korsett passe ich nicht, es ist zu eng für meine Vorstellungen davon, wie ich mein Leben leben möchte: als Mutter, als Arbeitnehmerin, als Partnerin, als Freundin und in allen anderen Rollen. Wenn ich diese drei vergangenen Jahre beschreiben müsste, dann so: sich anhäufende Minusstunden, nie genug Zeit, zu wenig Schlaf, das wachsende und sehr unbefriedigende Gefühl des «Nicht genügens» – sei es als Mutter, Partnerin oder Arbeitstätige –, um dann abends erschöpft und mit Selbstzweifeln in der Brust auf dem Sofa zu sitzen.
Gesellschaftliche Erwartungen, die nicht zur Lebenssituation passen
Das will ich nicht mehr. Meine Konsequenz: Ich habe meine Festanstellung gekündigt, obwohl ich da gerne gearbeitet habe. Und ich habe sofort – ohne nachzudenken – pausenlos nach einer neuen Anstellung gesucht. Weil es in meinem Kopf keine andere Option gab, als erwerbstätig zu sein, Geld zu verdienen, etwas zu leisten, ein Teil des Arbeitsmarktes zu sein, wo auch viel Bestätigung und Anerkennung zu holen ist. Schliesslich bin ich seit 23 Jahren berufstätig, habe ein Studium absolviert und viel Berufserfahrung gesammelt. Nach knapp drei Wochen war ich bereits wieder in der Endrunde eines Job-Assessments.
Kurz vor der Zusage zum neuen Job konnte ich mein Bauchgefühl aber nicht mehr ignorieren. Ich musste mir eingestehen, dass es mir bei der Vorstellung, wieder in einem herkömmlichen Fixpensum tätig zu sein, mulmig wird. Ich wollte wegrennen beim Gedanken daran, dass ich erneutem Leistungsdruck ausgesetzt bin. Dass Erwartungen an mich gestellt werden, die nicht zu meiner jetzigen Lebenssituation passen.
Das liegt nicht daran, dass ich faul wäre oder nicht leistungsfähig. Im Gegenteil: Ich bin eine hochqualifizierte, belastbare und effiziente Arbeitskraft im besten Alter mit vielen Kompetenzen und einer abgeschlossenen Familienplanung. Aber, ihr ahnt es: Ich bin erschöpft. Ich bin gescheitert beim Versuch, Arbeitnehmerin, Mutter, Partnerin und Freundin zu sein. Ich bin so müde von diesem Spagat der Vereinbarkeit zwischen Arbeit, Kinderbegleitung und Haushalt, die von unserer Leistungsgesellschaft so ganz und gar nicht unterstützt wird. Seit vor drei Jahren das zweite Kind zur Welt kam, schlingere ich durchs Leben wie ein Auto beim Aquaplaning. Ich schaffte es zwar, in der Bahn zu bleiben, manchmal streifte ich aber die Leitplanken, und ich war nie sicher, obs jetzt dann nicht grad knallt. Entspannt war mein Alltag auf jeden Fall gar nicht mehr.
Erschöpfung ist auch bei Vätern akut
Ich stand also vor der Zusage zu einem neuen Job und zog meine Bewerbung zurück. Mein Partner und ich entschieden, dass ich für die nächsten rund drei Monate keine Festanstellung suche und er sein Erwerbspensum von 60 auf mindestens 90 Prozent aufstockt. Drei Monate, weil das Erschöpfungsthema und die Doppelbelastung auch bei den Vätern sehr real sind und ich und mein Partner uns dessen bewusst sind. Auch er hat seine Grenzen. Ausserdem war für ihn von Anfang an klar, dass er zu grossen Teilen zu Hause bei den Kindern sein möchte. Durch unsere Entscheidung erhoffen wir uns für einen kurzen Moment eine Entlastung, dass wir vorübergehend den Spagat der Vereinbarkeit bei beiden verringern können.
Als die Entscheidung gefallen ist, atme ich im ersten Moment auf. Im nächsten kommen Zweifel und Ängste. Ich merke, wie sehr ich mich über meine Erwerbsarbeit definiere. Wie wichtig es mir ist, nicht «nur» Mutter, geschweige denn «Hausfrau» zu sein, sondern auch eine erwerbstätige Frau. Ich frage mich, ob das finanziell aufgeht und was nun mit meiner Pensionskasse passiert. Ich frage mich, wie es mir geht, wenn ich nicht mehr viermal die Woche morgens die Tür hinter mir schliessen kann, um meiner Erwerbsarbeit nachzugehen.
Care-Arbeit findet im Wirtschaftssystem keinen Platz
Ich habe Angst vor dem Gefälle, dem Ungleichgewicht zwischen mir und meinem Partner. Mir wird bewusst: Dieses Gefälle kann nur entstehen, weil in der Gesellschaft die Care-Arbeit viel weniger wert ist als die Erwerbsarbeit. Zu Hause bleiben bei den Kindern, den Haushalt schmeissen und dabei kein Geld verdienen: Das hat nach wie vor keinen Stellenwert im Wirtschaftssystem, die Care-Arbeit findet darin keinen Platz. Erschreckenderweise finde ich diesen Glaubenssatz sogar in mir drin.
Mir ist klar, dass es ein riesiges Privileg ist, die Wahlfreiheit zu haben, die ich habe. Einen Partner zu haben, mit dem ich solche Entscheidungen treffen kann. Zwar sind wir nicht wohlhabend, doch können wir diesen Weg zumindest ausprobieren. Viele Menschen haben diese Privilegien nicht. Und ich frage mich: Wenn ich schon erschöpft bin, wie geht es dann jenen, die keine Wahl haben? Keinen Partner an ihrer Seite, null finanzielle Möglichkeit für eine solche Entscheidung? Die Erschöpfung hat denselben Ursprung. Sie aber ohne Ausweg und Unterstützung aushalten zu müssen, ist sehr schwer – und betrifft nach wie vor hauptsächlich Frauen.
Es lohnt sich ein Blick in andere Länder
Für ein Leben als Teilzeit arbeitendes Elternteil – so wie ich mir das vorstelle – hat es in unserer Leistungsgesellschaft, in unserer Marktwirtschaft (noch) keinen Platz. Sie sieht nicht vor, dass Care-Arbeit ebenso viel Pensum und Lohn und keineswegs weniger Belastbarkeit, Flexibilität und Engagement benötigt wie der Job eines Managers. Oft machen Eltern ihre Erwerbsarbeit noch mit massiv weniger Stunden Schlaf als Kolleg:innen ohne Kinder. Die Marktwirtschaft ignoriert die Care-Arbeit komplett und wird das so lange tun, wie die Menschen es mitmachen.
Dabei ginge es auch anders. Das wissen wir bereits von anderen Ländern: eine 4-Tage-Woche bzw. eine 32-Stunden-Woche, Teilzeitstellen auch in Kaderpositionen bzw. eben auch für Männer, eine lange Elternzeit und viel mehr Job-Sharing-Stellen sind nur ein paar Beispiele, um Vereinbarkeit zu ermöglichen. Ich stelle mir vor, was möglich wäre, wenn Eltern bei einem 100-Prozent-Pensum beispielsweise jeweils an fünf Tagen lediglich von 9h bis 16h arbeiten müssten.
Für Vereinbarkeit braucht es Veränderung
Bevor ich Kinder hatte, dachte ich – wie wohl viele andere auch –, dass die Vereinbarkeit dann schon irgendwie geht. Ich unterschätzte massiv, wie viel Mehraufwand es für einen Haushalt bedeutet, wenn zwei kleine Kinder darin leben. Es ist nicht nur das öftere Waschen, mehr Kochen, aufwendigere Organisieren – es gibt auch eine emotionale Ebene. Im Kopf müde nach Hause zu kommen und einem Wutausbruch der kleinen Tochter standzuhalten, weil ich die falsche Pasta eingekauft habe, ist hohe Kunst. Auf mein Kind einzugehen, ihm auf Augenhöhe zu begegnen, seine Gefühle wahrzunehmen und ihm zu helfen, sie einzuordnen, braucht viel Energie.
Viele Unternehmen denken derzeit um. Es herrscht Fachkräftemangel. Die Arbeitszeiten werden flexibler. Es werden Kurse angeboten, um die wiedereinsteigenden Frauen auf den neuesten Stand zu bringen. Die Arbeitszeiten werden verkürzt. Wären solche und die bereits oben erwähnten Lösungen fix im Arbeitsmarkt etabliert, würde dies den Frauen – und den Männern – viel von der Angst nehmen, weg vom Arbeitsmarkt-Fenster zu sein, wenn sie für eine Weile die Erwerbstätigkeit etwas zurückstellen für die Kinder. Denn mit Kindern im heutigen System erwerbstätig zu sein – mit der ständigen Erreichbarkeit, der Digitalisierung, einer 42-Stunden-Woche, dem hohen Tempo, der «immer-mehr-Haltung», und gleichzeitig eine beziehungsorientierte, achtsame Begleitung der heranwachsenden Kinder aufzubauen, die so unendlich wichtig ist für die Zukunft: Das geht auf Dauer nicht mehr auf.
*Der Artikel erschien ursprünglich im August 2023