Sechs Sorten, jeden Tag wechselnd, alle hausgemacht: Das ist das Konzept des Glaceladens «Eisvogel». Seit 2017 gibt es das kleine Geschäft im Herzen des Kreis 5 in der Stadt Zürich. Die Glaces macht Tine Giacobbo, hinter dem Verkaufstresen steht Katharina Sinniger. Sie sind ein eingespieltes Team, denn vor dem Glaceladen führten sie gemeinsam während 22 Jahren ein Restaurant. Tine kochte, Katharina wirtete. Den «Eisvogel» gibt es, weil die Arbeit in der Gastronomie bis spät in die Nacht für die zwei Frauen irgendwann zu anstrengend wurde. Es gibt ihn aber auch, weil Tine und Katharina nicht einfach «nur noch wandern» wollten – obwohl sie das könnten. Die beiden wären nämlich längst pensioniert. Katharina ist 73 Jahre alt, Tine 68. «Wir wollten zwar kein Restaurant mehr führen, aber für uns war klar, dass wir uns nicht pensionieren lassen möchten», sagt Katharina.
Geld ist nicht der Hauptgrund für Erwerbstätigkeit
Mit ihrem Entscheid gehören Tine und Katharina in der Schweiz zu einer Minderheit. Laut einer Erhebung des Staatssekretariats für Wirtschaft, SECO, sind aktuell nur rund 12 Prozent der Frauen und Männer im Alter von 65 Jahren oder älter noch erwerbstätig. Insgesamt beteiligen sich rund 179’000 Rentner:innen am Schweizer Arbeitsmarkt. Die meisten arbeiten Teilzeit – mehr als die Hälfte in einem Pensum unter 50 Prozent.
Die Gründe, weshalb sich Rentner:innen fürs Weiterarbeiten entscheiden, sind vielfältig. Da sind zum einen die Finanzen: Rund 200'000 Senior:innen leben unterhalb der Armutsgrenze, 100'000 überschreiten diese Grenze nur knapp. Besonders betroffen von Altersarmut sind Frauen. Für manche ist die Erwerbstätigkeit also schlicht ein Muss, um über die Runden zu kommen. Trotzdem ist das Geld für viele nicht ausschlaggebend: «Unsere Erfahrung zeigt, dass die finanzielle Situation nicht der Hauptgrund ist, um über das Pensionsalter hinaus erwerbstätig zu sein», sagt Monica Flückiger, Kommunikationsverantwortliche bei Pro Senectute Kanton Zürich. Die meisten Menschen machen weiter, weil sie Lust und Freude an ihrer Arbeit haben. «Viele möchten ihr berufliches Know-how weiter anwenden, soziale Kontakte pflegen oder eine Tagesstruktur beibehalten», so Flückiger. Manchen sei es auch wichtig, weiterhin gebraucht zu werden, oder sie fürchten sich vor der Leere, die mit einer Pensionierung einhergehen könne.
Am Puls bleiben und nicht unsichtbar werden
Tine und Katharina hätten von ihren Renten leben können, nicht luxuriös, aber «gut genug». Der Antrieb zum Weitermachen war deshalb auch bei ihnen nicht finanzieller Natur: In ihrem Restaurant waren sie stets am Puls der Zeit. Und das sollte so bleiben. «Das Leben der jungen Menschen interessiert uns, wir wollen wissen, was sie bewegt. Wenn ich zu Hause auf dem Sofa sitze, erfahre ich das nicht», sagt Katharina. Hinzu kam die Befürchtung, unsichtbar zu werden: «Als kinderlose Pensionierte – was wir sind – kann man in der Gesellschaft schnell verloren gehen», weiss Tine. Und schliesslich gab es die Gewissheit, dass das «Nichtstun» nichts für sie ist: «Wir haben so viel und körperlich intensiv gearbeitet. Hätte ich von einem auf den anderen Tag komplett aufgehört, ich glaube, ich wäre krank geworden», ist Tine sicher. Katharina ergänzt: «Man sagt, dass man sich auf die Pensionierung vorbereiten kann. Aber das stimmt nicht. Die Veränderung ist zu einschneidend.» Obwohl es zwischen Restaurant und Laden einen fast nahtlosen Übergang gab, hätten sie gemerkt, wie schwierig ein solcher Schritt sein könne. «Aufzuhören ist wahnsinnig anstrengend. Es braucht viel mehr Kraft, als anzufangen.»
Frühzeitige Planung lohnt sich
Wer im Pensionsalter erwerbstätig bleiben möchte, sollte sich frühzeitig mit dem Thema befassen. Es lohnt sich, sich selbst klar zu werden, wo, in welcher Form, in welcher Funktion, wie viel und wie regelmässig man arbeiten möchte. Monica Flückiger von Pro Senectute rät Angestellten ausserdem dazu, früh genug mit Vorgesetzten Kontakt aufzunehmen, um das Anliegen zu besprechen. Heute rennt man damit häufig offene Türen ein. Grund dafür ist der Fachkräftemangel: «Viele Unternehmen sind froh, wenn sie ihre älteren Mitarbeitenden auch über die Pensionierung hinaus behalten können. Darum gehen auch immer mehr Arbeitgebende proaktiv auf ältere Mitarbeitende zu, um über eine Verlängerung zu sprechen», weiss Flückiger.
Wer weiterarbeiten will, muss aber auch einige Punkte in Sachen Vorsorge beachten.
Das gilt bei der AHV
Wer über das ordentliche Pensionsalter hinaus weiterarbeitet, zahlt auf den Lohn ebenfalls Beiträge an die erste Säule. Es gibt einen Freibetrag von 1400 Franken monatlich, beziehungsweise 16’800 Franken jährlich. Abgaben werden nur für Einkommen bezahlt, die höher sind als dieser Freibetrag. Bei mehreren Jobs gilt der Freibetrag für jedes Einkommen separat.
Wer weiterarbeitet, hat beim Bezug der AHV zwei Möglichkeiten:
- Die AHV-Rente nicht (sofort) beziehen und den Bezug aufschieben. Das kann man für ein bis maximal fünf Jahre tun. Wer dies tut, erhält beim Bezug einen monatlichen Zuschlag auf die ausbezahlte AHV-Rente. Dieser liegt, je nach Länge des Aufschubs, zwischen 5,2 und 31,5 Prozent. Seit der AHV-Revision ist es zudem möglich, nur einen Teil der Rente aufzuschieben und einen Teil zu beziehen.
- Die AHV-Rente zusätzlich zum Lohn beziehen.
Grundsätzlich kann man zwischen den beiden Varianten frei wählen. Eine Erhebung des SECO zeigt aber, dass der Bezug nur sehr selten aufgeschoben wird: Ganze 94 Prozent der Erwerbstätigen im Pensionsalter beziehen aktuell ihre AHV-Rente. Laut Pro Senectute liegt das vor allem daran, dass ein Aufschub finanziell nur attraktiv ist, wenn man ein hohes Lebensalter erreicht. Bei Frauen sind es mindestens 85 Jahre, bei Männern sogar 86.
Und: Es lohnt sich, sowohl bei einem Aufschub als auch bei einem Bezug gut durchzurechnen. Denn beide Varianten können zu einem höheren Einkommen führen, was wiederum für höhere Steuern sorgen kann.
So sieht es bei der Pensionskasse aus
In die Pensionskasse kann man grundsätzlich bis ins Alter von 70 Jahren einzahlen, sofern auch der/die Arbeitgeber:in bereit ist, seine/ihre Anteile weiterhin zu leisten. Wer länger einzahlt, profitiert in der Regel von einer höheren Leistung. Wie genau die Konditionen bei einem Rentenaufschub in der zweiten Säule sind, hängt von der Vorsorgeeinrichtung ab und sollte frühzeitig abgeklärt werden.
Achtung: Nicht bei allen Vorsorgeeinrichtungen ist ein Aufschub möglich. In diesen Fällen muss die Rente bezogen werden, auch wenn man weiter erwerbstätig ist.
Wichtig: Auch mit der Erreichung des Pensionsalters gilt: Man muss mindestens 22'050 Franken jährlich verdienen, um in die zweite Säule einzahlen zu können.
Das ist wichtig bei der dritten Säule
In die Säule 3a kann man weiterhin einzahlen, auch hier maximal bis zu einem Alter von 70 Jahren. Das Geld, das in die dritte Säule fliesst, kann auch im Pensionsalter von den Steuern abgezogen werden.
Sowohl beim Bezug der zweiten wie auch der dritten Säule lohnt es sich, sorgfältig zu planen und die Bezüge zu staffeln. So können hohe Steuern vermieden werden.
Das Alter bringt Gelassenheit – auch im Beruf
Für die beiden Inhaberinnen des «Eisvogel» ist das Weiterarbeiten im Laden die optimale Lösung. Sie stehen noch immer mitten im Arbeitsleben und haben trotzdem das, was sie sich nach ihrer Zeit in der Gastronomie gewünscht haben: Von allem etwas weniger. Weniger Arbeit, weniger Druck und weniger finanzielle Verpflichtungen. Sie arbeiten zu zweit, ohne Angestellte. Der Eisvogel ist von Frühling bis Spätsommer geöffnet. Tina arbeitet vormittags, Katharina nachmittags. Während der Wintermonate geniessen sie ihre freie Zeit auf Reisen oder zu Hause. Katharina sieht viele Vorteile in der Berufstätigkeit im Alter: «Man nimmt alles gelassener. Natürlich wollen wir unsere Sache gut machen. Aber wir lassen uns nicht mehr so stressen. Zudem sind wir erfahrener, selbstbewusster und können gut einschätzen, was wir können.»
Wie lange sie noch Glace produzieren und verkaufen wollen, können die beiden heute nicht sagen. Aber auch da verlassen sie sich ganz auf ihre Erfahrung, wie Tine sagt: «Wir wissen inzwischen, dass wir spüren, wenn es Zeit für einen Wechsel ist. Und bis dahin machen wir noch etwas weiter.»