«Es kommen nur noch Frauen weiter! Ich bewerbe mich erst gar nicht mehr, weil ich als Mann sowieso keine Chance habe auf einen Top-Job.» Wie oft habe ich diesen Satz in den letzten Monaten gehört, wenn es um das Thema Frauen in Führungspositionen geht. Es klingt dramatisch. Aber stimmt das wirklich? Sind jetzt plötzlich Männer die, die übergangen werden?
Je höher die Position, desto weniger Frauen gibt es in der Schweizer Arbeitswelt. Im mittleren Management sind es 27 Prozent Frauen, im Topmanagement 20 Prozent. Das zeigt der schillingreport 2023. Auf Stufe Geschäftsleitung sind noch 16 Prozent Frauen, in CEO-Positionen gerade einmal 6 Prozent.
Das heisst im Umkehrschluss: 94 Prozent aller CEO-Positionen in der Schweiz sind noch immer von Männern besetzt, genauso wie 84 Prozent aller Jobs in den Geschäftsleitungen.
Der Zuwachs von Frauen in Top-Jobs beträgt im Schnitt traurige 1 bis 3 Prozent pro Jahr. In einigen Branchen stagniert der Frauenanteil sogar, und die Zahlen gehen global gesehen auf das Niveau von 2021 zurück. Laut einer Studie des World Economic Forum (WEF) brauchen wir noch 131 Jahre, bis der Gender Gap im Bereich Führungspositionen geschlossen wird. Mindestens. Davon, dass nur noch Frauen befördert werden, kann also keine Rede sein.
Dabei zeigt sich immer stärker, dass Unternehmen, die auf gemischte Führungsteams setzen, erfolgreicher sind. Laut einer aktuellen Studie von McKinsey haben Firmen mit diversen Teams eine 39 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit, dass sie ihre Mitbewerber:innen finanziell überflügeln. 2015 lag diese Zahl noch bei 15 Prozent. Doch Studien zeigen auch: Eine Frau in der Geschäftsleitung reicht nicht aus, es braucht mindestens drei, damit sich wirklich etwas verändert.
Fakt ist also: Es braucht noch viel mehr Frauen in der Führung. Wie aber kommt man an die Spitze?
Fünf Tipps für den Top-Job:
1. Selbstzweifel begraben: Gerade Frauen denken oft, sie müssten alles schon perfekt können, bevor sie eine neue Aufgabe übernehmen. Das ist zwar ehrenhaft, hält aber auf. Männer bewerben sich auch auf eine Stelle, wenn sie nur 60 bis 80 Prozent der Anforderungen erfüllen. Trau dir zu, dass du mit der Aufgabe wächst. Du hast schon oft zuvor bewiesen, dass du schnell lernst und anpassungsfähig bist.
2. Aktiv werden: Warte nicht, dass dich jemand findet. Lass deine:n Vorgesetzte:n wissen, was du willst. Fordere mehr Verantwortung ein und zeig, dass du bereit bist, Verantwortung zu übernehmen. Mir hat einmal ein toller Chef gesagt: «Warte nicht, bis dir jemand Kompetenzen gibt. Hol sie dir!» Das heisst: Auch wenn du noch keinen Chefinnen-Titel hast, zeig, dass du etwas bewegen willst. Bring Ideen ein, setz sie um. Das gibt dir beim nächsten Gespräch mit deiner Chefin mehr Argumente, warum du die nächste sein sollst, die befördert wird.
3. Unterstützung holen: Ich habe in meiner letzten Kolumne darüber geschrieben, wie wichtig es für Führungskräfte ist, sich selbst zu kennen. Die eigenen Stärken, aber auch die Schwächen. Dazu kannst du dir Unterstützung holen. Frag erfahrene Kolleg:innen, such dir eine:n Mentor:in oder einen Coach. Nicht nur erfolgreiche Sportler:innen haben Coaches, sondern auch die meisten erfolgreichen Manager:innen. Sie sagen es einfach oft nicht, da hierzulande noch viele meinen, man müsse alles von Anfang an alleine und perfekt können. Dabei kann Führung gelernt werden. Es ist kein Zeichen von Schwäche, nicht alles gleich zu wissen, sondern eines von Stärke, wenn man sich Unterstützung holt.
4. Netzwerk bilden: Mach dich sichtbar und bring dich auf den Radar derer, die Jobs zu vergeben haben. Das geht am besten, indem du dir ein Netzwerk in deiner Branche aufbaust – bestehend aus Frauen und Männern. Geh auf Leute zu, die du spannend findest. Frag sie an, ob ihr euch bei einem Kaffee, Lunch oder Apéro austauschen könnt. Rede dabei nicht nur über Berufliches, sondern finde Dinge, die euch sonst verbinden – Sport, Hobbies, Familie. Mit der Zeit wächst dein Netzwerk, und man denkt an dich, wenn Top-Jobs neu besetzt werden.
5. Nicht aufgeben: Führungsverantwortung zu haben heisst auch, dass man Konflikte austrägt und aushält. Wir Frauen tendieren in solchen Situationen dazu, zu denken: Warum tue ich mir das alles an? Und dann zu gehen – auch, weil wir oft kein so gutes Netzwerk an der Spitze haben und es noch zu wenige Frauen gibt, mit denen man sich austauschen kann. Ich weiss aus Erfahrung: Aushalten lohnt sich. Natürlich nicht um jeden Preis und nicht, wenn deine Gesundheit darunter leidet. Aber eine gewisse Widerstandsfähigkeit braucht es, um sich an der Spitze zu halten.
Denn, auch das zeigen die Zahlen: Frauen, die es an die Spitze schaffen, bleiben dort weniger lang als Männer. Tenure-Gap wird das genannt, Amtszeit-Lücke. Während Männer im Schnitt 8,1 Jahre an der Spitze von Unternehmen bleiben, sind es bei Frauen nur 5,2 Jahre. Bisher gibt es die Daten nur für CEO-Positionen. Als mögliche Gründe für die kürzere Amtszeit werden angeführt: eine zu wenig diverse Kultur in Unternehmen, der existierende Gender Bias, Diskriminierung und fehlende Unterstützung. Zudem würden Frauen schneller gehen, weil sie für andere Top-Positionen abgeworben werden.
Was auch immer der genaue Grund ist für den Tenure Gap: Die Arbeitswelt braucht noch viel mehr Frauen. Frauen, die bleiben.