Architekt:in klingt nach einem Prestige-Beruf: Ist das tatsächlich so?
(Schmunzelt.) Ich bin erstaunt, dass du diesen Beruf als angesehen siehst. Der Architekt:innenberuf war vor 35 Jahren, bei meinem Studienanfang, sicher prestigeträchtiger als heute, es gab weniger Gesetze und Normen, die Gestaltung war noch bestimmender. In meiner Familie war «Architekt:in» schon damals fast ein Schimpfwort. Mein Grossvater war Schreiner und hat meinen Vater damals ziemlich beschimpft, als ich mit dem Studium anfing, im Sinne von: «Jetzt zahlst du deiner Tochter ein Studium und obendrauf noch in Architektur. Architekt:innen haben doch keine Ahnung, wie es auf dem Bau läuft.»
Aber man verdient schon gut als Architekt:in, oder?
Naja, man verdient an vielen Orten schneller Geld als in der Architektur. Ich glaube, dass unser Beruf oftmals verwechselt wird mit anderen Jobs, die besser bezahlt sind. Zum Beispiel sind wir weder Immobilienmakler:innen noch Liegenschaftsverwalter:innen, sondern machen einen technischen und gestalterischen Beruf. Architekt:innen gehören zu den am schlechtesten bezahlten Akademiker:innen – mal abgesehen von ganz grossen Namen mit Star-Status.
Wie hoch ist denn der Lohn so nach dem Studium?
Der Anfangslohn liegt bei zirka 60‘000 Franken Bruttojahreslohn, dies mit einem Bachelor- und Masterabschluss und einem zusätzlichen Jahr Praktikum. Das Studium dauert somit mindestens sechs Jahre.
Und wie sieht es aus nach zehn Jahren im Beruf? Wird der Lohn dann massiv höher?
Nein, der Lohn ist nach oben begrenzt. Es kommt darauf an, wo man arbeitet – in einem Architekturbüro, bei einer Verwaltung, bei einer Baufirma oder bei einer Immobilienfirma. Grundsätzlich gilt: Je näher man dem eigentlichen Beruf ist, desto tiefer ist der Lohn. In einem konventionellen Architekturbüro kann man nach zehn Jahren bis zu 90’000 Franken im Jahr verdienen.
Warst du dir bei der Studienwahl bewusst, wie viel du als Architektin später verdienen wirst?
Ja. Ich wusste, dass der Job nicht so gut bezahlt ist, wie man sich das vorstellt. Ich war mir auch bewusst, dass die Arbeitsbelastung in diesem Beruf hoch ist. Aber was damals noch dazukam: Als ich 1993 mit dem Studium fertig war, waren viele Architekt:innen arbeitslos – ich inklusive. Es gab kaum Arbeit. Heute ist es einfach, eine Stelle zu finden, eine Folge des Fachkräftemangels.
Du warst also arbeitslos gleich nach dem Studium. Wie ging es dann weiter?
Ich habe nach ein paar Monaten eine Stelle bei einem bekannten Architekturbüro in Basel gefunden. Dort habe ich ein paar Monate gearbeitet, bis ich dann eine Stelle beim Museum für Gestaltung in Zürich bekommen habe. Mein absoluter Traumjob! Ich wollte schon immer Szenografin werden, beziehungsweise als Ausstellungsarchitektin arbeiten.
2001 hast du dich selbstständig gemacht. Wie kam es zu diesem Entscheid, und hat er dich viel Mut gekostet?
Es war für mich immer klar, dass ich mich selbstständig machen möchte. Es war auch klar, dass ich das mit meinem damaligen Freund und meinem heutigen Mann machen möchte. Der effektive Auslöser kam dann überraschend – es musste plötzlich ganz schnell gehen.
Wie das?
Wir bekamen dank meiner Erfahrung als Szenografin am Museum für Gestaltung an der Expo.02, einer bekannten Landesausstellung, zwei Aufträge, die im Mai 2002 fertiggestellt sein mussten. Um die Verträge zu unterschreiben, mussten wir eine GmbH samt allen Sozialversicherungen und Pensionskasse vorweisen können.
Verdient man als selbstständige:r Architekt:in mehr?
Nicht unbedingt – das finanzielle Risiko ist gross, wenn man sich als Architekt:in selbstständig macht. Es gibt in der Architektur keine klassische Karriereleiter, weil Architekturbüros oft personengebunden sind. Als Mitarbeiter:in ist man in einem Architekturbüro oft an zweiter Stelle, egal wie gut man ist.
Wie viel deiner Arbeit ist tatsächlich bezahlt, oder anders gefragt: Wie viel Arbeit leistest du eigentlich gratis?
Es ist tatsächlich ein Problem, dass es bei unserer Arbeit nicht einfach ist zu definieren, was verrechnet werden kann und was nicht. Insbesondere ist bei uns die Akquisition von Aufträgen kaum bezahlt, also zum Beispiel Wettbewerbe.
Nehmen du und dein Mann oft an solchen Wettbewerben teil?
Ja. Unser Büro arbeitet hauptsächlich für die öffentliche Hand, und diese darf nicht einfach so Aufträge vergeben – auch keine Folgeaufträge. Wir müssen uns also für jeden Auftrag von Neuem an einem Wettbewerb beweisen. Mittlerweile ist es aber auch mit privaten Auftraggeber:innen so, dass es eine Art Wettbewerb gibt. Ein:e Bauherr:in lässt fünf Architekt:innen Vorschläge ausarbeiten und am Ende kriegt eine:r den Auftrag. Dieses Phänomen ist eher zunehmend als abnehmend, auch Gratisprojekte werden von Kolleg:innen immer öfters gemacht.
Wie hoch ist denn der Stundenlohn von Architekt:innen?
Der Stundenlohn hat sich in den letzten 20 Jahren kaum verändert: 2001 lag er bei 120 Franken und heute oft auch noch. Das Problem ist aber auch, dass man von Architekt:innen immer erwartet, dass sie zuerst das Projekt abschliessen und erst danach bezahlt werden. Oftmals gibt es nach Projektabschluss noch Diskussionen ums Gehalt.
Dein Einkommen ist also sehr unregelmässig. Wie gehst du damit um?
Das Thema Liquidität ist ein Problem bei Architekturbüros. Mein Mann und ich sind die Letzten, die sich etwas auszahlen. Wir zahlen uns einmal im Jahr einen Lohn aus – nachdem wir alles andere abgerechnet haben. Privat unterscheiden wir klar zwischen Fixkosten und allem anderen, was in schlechten Jahren halt auf der Strecke bleibt.
Ab wann lohnt sich ein Projekt für ein Architekturbüro?
Das kommt auf die Grösse des Büros an. Was aber für alle Büros gilt: Am meisten Geld verliert man mit einer Bauherrschaft, die ihre Entscheidungen langsam oder widersprüchlich trifft oder hinauszögert. Das bedeutet für die Architekt:innen einen Mehraufwand, der nicht weiter verrechnet werden kann.
Sind Neubauprojekte finanziell attraktiver als Renovationen?
Wenn es um schnelles Geld geht, kann ein Neubauprojekt mit vielen ähnlichen Wohnungen attraktiver sein. Mich persönlich hat das Weiterbauen an der bestehenden Bausubstanz schon immer interessiert, und dies wird heute auch aus ökologischer Sicht immer relevanter. Leider ist Umbauen massiv arbeitsintensiver, was viel zu wenig honoriert wird.
Das Architekturstudium beginnen heutzutage mehr Frauen als Männer. Im Laufe des ersten Berufsjahrzehnts nimmt der Frauenanteil aber kontinuierlich ab. Woran liegt das?
Das hat sicher mit der Frauenfeindlichkeit in dieser Branche zu tun. Dazu kommen Lohndifferenzen, die mit steigender Erfahrung sogar noch zunehmen. Die Vereinbarkeit ist ein weiteres Problem. Geregelte Teilzeitarbeit ist schwierig mit Projektarbeit in leitender Position zu vereinbaren.
Was meinst du mit Frauenfeindlichkeit in der Branche genau? Hat man als Frau ein Problem auf dem Bau?
Auf der Baustelle herrscht eher Wohlwollen, wenn eine Frau das Projekt leitet. Dort habe ich weniger Mühe. Unerträglich finde ich es bei Kollegen, also bei Architekten und Planern, wenn sie uns Frauen weniger ernst nehmen.
Wann wurde dir bewusst, dass die Branche ein Frauenproblem hat?
Ich hätte vor 20 Jahren nicht gesagt, dass es in der Architektur ein Frauenproblem gibt. Je älter ich werde, desto mehr fällt es mir auf. Der Mann gilt als erfahren, während ich als Frau einfach eine lästige, nicht mehr ganz junge Frau bin. So kommt es mir manchmal vor.
Was braucht es, dass künftig mehr Frauen in der Branche bleiben?
Ich glaube, dass es vor allem einen gesellschaftlichen Wandel braucht. Unsere Gesellschaft hat ein Problem damit, wenn eine Mutter Vollzeit arbeitet, beim Vater nicht. Was sicher auch helfen würde, wäre, wenn das ganze Arbeitsumfeld in der Baubranche weniger männerdominiert wäre. Architekt:innen arbeiten eng mit Fachplaner:innen zusammen – und auch in diesen Branchen arbeiten immer noch wenig Frauen.
Sprichst du mit deinem Umfeld eigentlich auch so offen über Geld?
Ja. Ich finde es schwierig, dass man in der Schweiz so wenig über Geld redet, auch innerhalb der Familien. Wir sprechen mit unseren Kindern offen über Geld. Ich finde es wichtig, Kindern zu erklären, was arm, Mittelstand und reich bedeutet.