Fällt es dir leicht, über Geld zu reden?
Ja, mir fällt es relativ leicht, über Geld zu reden. Es ist für mich kein schwieriges oder heikles Thema. Das hängt sicher damit zusammen, dass ich in einer sehr privilegierten Situation aufgewachsen bin. Wir hatten immer genug Geld und haben fast alles bekommen, was wir uns gewünscht haben. Ich hatte finanziell gesehen andere Schwierigkeiten.
Welche denn?
Ich hatte oft Hemmungen gegenüber meinen Mitschüler:innen. Ich habe ungern gezeigt, wie gut es uns als Familie finanziell geht und was wir alles haben. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, dass nicht alle Kinder die Möglichkeit haben, so aufzuwachsen wie ich.
Dir war also früh bewusst, dass es finanzielle Unterschiede gibt?
Das war mir sehr früh bewusst. Einerseits haben unsere Eltern uns das immer wieder gesagt. Sie haben uns klar gemacht, dass wir grosses Glück haben und finanziell sehr gut dastehen. Andererseits wurden die Unterschiede im Alltag sichtbar. Ich bin beispielsweise in einem alten, schön ausgebauten Engadiner Haus aufgewachsen mit viel Platz. Die meisten meiner Freundinnen lebten in einer Wohnung.
Und dann ist da noch dein Familienname.
Genau, die Familie Saratz ist in der Gemeinde tief verankert. Es gibt darum auch Vorurteile über uns: die Könige von Pontresina, eine Bonzen-Familie und so weiter. Das war nicht immer einfach. Es gab eine Zeit, da wünschte ich mir, einfach Müller oder Meier zu heissen und nicht zu dieser Dynastie zu gehören.
Wie hast du einen Umgang damit gefunden?
Direkt nach der Maturität bin ich «geflüchtet». Ich ging nach Zürich, um Jura zu studieren und bin zwölf Jahre lang geblieben. Ich genoss die Anonymität sehr. Mein Mann und ich haben lange diskutiert, ob wir zurückkehren sollen nach Pontresina. Und falls ja, wie wir mit meiner Situation umgehen. Soll ich versuchen, mich zu verstecken, oder kommen wir zurück und ich engagiere mich aktiv?
Du hast dich für den zweiten Weg entschieden.
Ja, sich in einem Dorf zu verstecken, ist kaum möglich. Ich wurde sehr gut aufgenommen. Die Leute waren schnell bereit, mich neu kennenzulernen. Sie haben mich als Nora aufgenommen und nicht als «Tochter von» oder «Enkelin von». Es sind viele schöne neue Beziehungen entstanden.
Seit 2021 bist du Gemeindepräsidentin von Pontresina. Damit ist nicht nur deine Arbeit öffentlich sichtbar. Auch dein Lohn wird von der Bevölkerung diskutiert. Wie ist das für dich?
Das ist gut und richtig so. Mein Lohn soll diskutiert werden – es sind übrigens rund 165'000 Franken brutto im Jahr für ein 100-Prozent-Pensum. Mein aktuelles Pensum beträgt 90 Prozent. Ich bin von der Bevölkerung gewählt, und sie soll sich dazu äussern können, ob der Lohn für meine Leistung angemessen ist.
Ein wesentlicher Teil deiner Arbeit ist es, Finanzen und Geld zu verteilen. Wie ist deine berufliche Beziehung zu Geld?
Ich stelle regelmässig fest, dass ich auch beruflich in einer unglaublich privilegierten Lage bin. Wir leben in Pontresina in der Bubble der Bubble der Bubble. Wir haben ein gutes Budget, das wir für die Bedürfnisse unserer Bevölkerung und den Erhalt unserer Infrastrukturen einsetzen können. Wir können sogar mit unserer Bevölkerung über eine Steuerreduktion diskutieren, weil es uns finanziell so gut geht. Das ist eine Luxussituation.
Achtest du beim Budgetieren darauf, dass die Mittel Frauen und Männern in der Gemeinde gleichermassen zugutekommen, Stichwort Gender Budgeting?
Mmhh, das ist nicht ganz einfach zu sagen. Aber doch, eigentlich achte ich schon darauf. Schon mit der Wahl meiner Verwaltungsfächer habe ich ein Zeichen gesetzt.
Inwiefern?
Ich bin Vorsteherin der Verwaltungsfächer Schule und Soziales. Es ist eher ungewöhnlich, dass dieser Bereich beim Präsidium angesiedelt ist. Normalerweise übernehmen Gemeindepräsident:innen die Finanzen. Meine Wahl habe ich bewusst getroffen, weil ich dem Bereich Priorität geben wollte – auch in finanzieller Hinsicht. Das ist einer der Gründe, warum es so wichtig ist, dass Frauen in die Politik gehen. Männer budgetieren anders als Frauen. Sie setzen Geld anders ein, für andere Bereiche und Prioritäten.
Wo siehst du die grössten Unterschiede?
Männer legen oft grossen Wert auf die Infrastruktur. Sie lösen Probleme mit Bauen und neuen Bauten. Das möchte ich ganz bewusst nicht tun. Ich will über andere Wege das Wohlbefinden unserer Bevölkerung verbessern, über die weichen Faktoren.
Kannst du da ein konkretes Beispiel machen?
Es sind viele kleine Schritte und Anpassungen, die zu einer Veränderung führen. Wir haben beispielsweise die Spielgruppe in die Gemeinde integriert. So bekommt die Spielgruppenleitung einen fixen fairen Lohn ausbezahlt und arbeitet nicht mehr praktisch gratis. Wir bauen die Zeiten der schulergänzenden Betreuung weiter aus. Oder ich habe eingeführt, dass Erst-Eltern die Elternbriefe von Pro Juventute erhalten. Das sind kleine Schritte. Sie verbessern aber insgesamt die Lebensqualität wesentlich.
Wie ist dein Verhältnis zu Steuern, seit du im Amt bist?
Mir ist noch mal bewusster geworden, warum Steuern so wichtig sind. Aber ich habe bereits vor meiner Tätigkeit als Gemeindepräsidentin gewusst, warum ich Steuern zahle. Ich wollte meine Steuererklärung nie bis auf den letzten Franken optimieren. Wohl auch deshalb, weil ich fand: Wenn ich finanziell schon so gut gestellt bin, dann ist es auch ok, etwas davon abzugeben.
Streitet ihr im Gemeindevorstand über Geld?
Es gibt natürlich immer wieder Diskussionen. Es geht es um Fragen wie: Wo soll das Geld hinfliessen? Welches Projekt hat welche finanzielle Priorität? Wie sollen wir budgetieren? Auf wann sollen wir was budgetieren? Da gibt es natürlich schon Reibungen. Der Umgang und die Diskussionen rund ums Geld sind aber meist konstruktiv.
Und wann streitest du privat um Geld?
Eigentlich mag ich mich privat nicht wegen Geld streiten. Ich sag lieber: Behalte das Geld und werde glücklich damit. Einmal habe ich mich aber mit einem Arbeitgeber angelegt. Es ging um eine Lohn- und Versicherungsangelegenheit. Ich habe mehrheitlich Recht bekommen.
Welche Beziehung hast du heute zu Geld?
Eine relativ entspannte. Ich mache mir kaum Sorgen um Geld. Das hängt sicher mit der Gewissheit zusammen, dass ich ein gutes Sicherheitsnetz habe. Mein Mann und ich sind gut ausgebildet. Wir können mit unseren Jobs Geld verdienen. Und natürlich weiss ich, dass ich mich finanziell auch auf meine Eltern verlassen kann, wenn es hart auf hart kommt. Ich wollte aber schon früh unabhängig sein. Während dem Studium habe ich immer gearbeitet. Als ich meinen ersten Job hatte, nahm ich keinen Franken mehr von meinen Eltern an.
Sprichst du in Frauenrunden über Geld?
Ich habe noch fast nie mit anderen Frauen über Geld gesprochen. Aber auch kaum mit Männern. Das einzige Mal, dass ich mich mit Frauen aktiv über Geld ausgetauscht habe, war gegen Ende des Studiums, als es um Lohn und Lohnverhandlungen ging.
Sind dir diese Lohnverhandlungen leichtgefallen? War es leicht, Geld für deine Arbeit einzufordern?
Nein, das war es nicht. Das ist sicher etwas, womit Frauen mehr Mühe haben als Männer. Das sehe ich auch jetzt als Arbeitgeberin bei Bewerbungsgesprächen. Frauen fällt es schwerer eine Zahl zu nennen und konkrete Forderungen zu stellen. Vor allem bei jungen Frauen fällt mir das auf. Ab 40 wirds dann besser.
Was gibst du deinen Kindern in Bezug auf Geld mit auf den Weg?
Mir ist wichtig, dass auch meine Kinder wissen, dass sie unglaublich privilegiert sind. Sie sollen wissen, dass das, was sie bekommen und was sie haben, nicht der Norm entspricht und es vor allem nicht selbstverständlich ist.
Bezahlst du deinen Kindern Sackgeld?
Nicht regelmässig. Aber sie bekommen Geld, wenn sie für mich etwas erledigen oder zu verschiedenen Gelegenheiten wie beispielsweise zum Geburtstag oder fürs Zeugnis. Da können sie jeweils wählen, ob sie das Geld auf ihr Sparkonto einzahlen möchten oder ob sie es lieber im Kässeli behalten, um sich damit etwas zu kaufen.
Wie hast du deinen ersten eigenen Franken verdient?
Beim Jäten in unserem Garten. Soweit ich mich erinnere, haben meine Brüder und ich 2 Franken für einen Nachmittag Gartenarbeit bekommen.
Wie investierst du?
Ich investiere nicht an der Börse oder sowas. Ich konnte mein Elternhaus übernehmen. Es ist ein 400-jähriges Engadiner Haus, das vor 40 Jahren zuletzt saniert wurde. In den nächsten Jahren muss einiges saniert werden. Wir werden in die Liegenschaft also etwas Geld hineinstecken müssen. Daneben sind mein Mann und ich gerade an der weiteren Finanzplanung.
Was wünschst du dir für deine finanzielle Zukunft?
Ich hoffe, dass ich auch in Zukunft so unbeschwert mit Geld umgehen kann wie jetzt und dass Geld für mich nie ein Thema sein wird.