Kaspar E. A. Wenger ist Familienvater, Verwaltungsratspräsident der Holcim Schweiz und CEO der Baugarten Stiftung. In den Männerfragen spricht er über die Andropause, Krawatten und darüber, warum ihm heute Familie wichtiger ist als Karriere.
Wir fragen Männer, was sonst nur Frauen gefragt werden. Wir wollen damit einen Dialog über Stereotypen in Gang setzen, zum Nachdenken und Schmunzeln anregen, aber auch Toxizität entlarven.
Für die Männerfragen sagen ganz viele ab. Was verleiht dir den Mut, dich den Männerfragen zu stellen?
Ich finde solche Themen interessant und bin selbst ein politischer und gesellschaftlich, kulturell interessierter Mensch. Das Format macht mich neugierig. Sich gegen die Männerfragen zu stellen, finde ich defensiv. Da frage ich mich: Warum denn? Es gibt keine Gründe, gegen Gleichberechtigung zu sein. Gleichberechtigung ist ein Geben und Nehmen, aber am Schluss ist es ein Miteinander.
Schön, bist du dabei! Du hast im Finanzbereich der UBS begonnen. Was hat dich als Mann in die Bankenwelt verschlagen?
Als ich die HSG abschloss, war ich mir bewusst über die Qualität der Ausbildung. Doch ich wollte mich weiter vertiefen. Die Bereiche Finanzen und Marketing interessierten mich. Nach verschiedenen Angeboten entschied ich mich für die UBS (damals SBG), weil das Programm das umfassendste war und mir die Möglichkeit bot, in Asien zu arbeiten und zu leben.
Wurdest du gut aufgenommen in der UBS, so als Mann? Wie kamst du so mit den Old Girlsʼ Clubs klar?
1989 gab es eine oder zwei Vorzeigefrauen in unserem männerdominierten Team. Eine hiess Monika und war everybody’s darling. Wenn ich mich in ihre Rolle als Frau versetze, dann hätte ich mich an ihrer Stelle nicht wohlgefühlt. Gegen all diese Männer hat man keine Chance. Frauen wurden damals vor allem über ihr äusseres Erscheinungsbild definiert und mussten sich ihre Position jeweils hart erkämpfen. Das ist nicht angenehm.
Heute bist du Verwaltungsratspräsident der Holcim Schweiz AG. Gibt es da inzwischen noch andere Männer?
(Schmunzelt.) Es hat keine Frauen bei uns. Im grossen Board der Holcim Ltd. schon, jedoch gibt es in meinem kleineren Team und in der Geschäftsleitung von Holcim Schweiz leider keine Frau mehr. Das ist bedauerlich.
Sehr. Was läuft falsch bei der Frauenförderung von Holcim Schweiz?
Als ich noch CEO von Holcim Schweiz war, hatten wir eine Gruppe an fähigen, talentierten Frauen. In einer Männerumwelt muss man Frauen den Rücken stärken. Als Frau alleine ist man isoliert. Ich habe mich immer für Frauen eingesetzt, weil ich mir sage: Die Durchmischung der Geschlechter in einem Gremium ist sehr hilfreich und führt zu besseren Lösungen.
Genau, es ist erwiesen, dass gemischte Teams erfolgreicher sind als reine Männergruppen. Fragst du dich oft, ob du genügend kompetent für deine Tätigkeiten bist?
Ja, oft! Ich zweifle immer wieder an mir – Zweifeln und sich hinterfragen ist menschlich. Für jede Führungskraft ist das schwierig, egal ob Frau oder Mann.
Wurdest du schon mal aufgrund deines Geschlechts im Beruf diskriminiert?
Nicht in dem Sinne. Aber ich habe mit meiner Familie länger in China gelebt. An meinem Aussehen erkannte jeder, dass ich ein Ausländer bin. Als ich in Deutschland arbeitete, machte man sich über den Kuhschweizer lustig. Es gibt Situationen, in denen man merkt, wie die Menschen einen von aussen schubladisieren. In solchen Situationen muss man Klischees widerlegen und sich immer wieder anstrengen, um das Gegenteil zu beweisen. Ich kann mir vorstellen, dass als Frau, oder teilweise auch als Mann, diese Diskriminierung einschneidend ist. Darum glaube ich, dass es schwierig ist als Frau in einer männerdominierten Welt. Heute ist die Gesellschaft toleranter, aber wir sind noch nicht am Ziel.
Was braucht es denn noch, bis ihr Männer gleichgestellt seid?
Damit die Männer gleichgestellt sind, müssen die Frauen gleichgestellt sein. Als Frau und als Mann muss man sich durchsetzen und wehren. Dabei darf man nicht wehleidig sein. Jeder muss für sich einstehen und Widerständen trotzen. Und ich glaube, wenn man das erfolgreich macht, wird man auch respektiert.
Das ist leichter gesagt als getan. Männer sind ja das emotionalere Geschlecht und immer so schnell eingeschnappt, wenn man sie mal zurechtweist. Bist du eigentlich ein emotionaler Mensch?
Ich bin in meiner Männerrolle emotional. Auch Männer können so sein – entgegen des klassischen Rollenverständnisses. Traditionell sind Gefühle nichts Männliches. Das Bild sollten wir vergessen. Ein Mensch, egal welchen Geschlechts, kann hart und stur, aber auch emotional sein.
Du bist auch Führungsperson. Führst du mit Gefühl?
Ich bin von Natur aus ein emotionaler Mensch. Aber in vielen Momenten muss rational und faktenbasiert entschieden werden. Da gibt es keinen Platz für Gefühle. Ich finde wichtig für Frauen wie für Männer, dass es in verantwortungsvollen Positionen Entscheide gibt, die man unabhängig von den eigenen Gefühlen treffen muss. Wenn man zum Beispiel einen Angestellten entlassen muss, der ein guter Typ ist, dann muss man ihm trotzdem kündigen – obwohl er ein guter Typ ist.
Du bist ein wahrer Power-Mann. Obwohl du Unternehmer bist und zahlreiche Posten innehast, hast du trotzdem Kinder. Warum?
Ich wollte immer eine Familie haben. Ohne Familie wäre mein Leben nicht komplett gewesen. Ich wuchs in einem Haushalt auf, in dem beide Eltern berufstätig waren. Damals war es aussergewöhnlich, dass meine Mutter berufstätig war und die Familie managte. Ich hatte das Glück, dass meine Frau für meinen Erfolg ihre beruflichen Ambitionen zurücksteckte und Familienfrau wurde. Sie führte die Familie souverän in allen Lebenslagen, damit ich meine Karriere entwickeln konnte.
Wie grosszügig von ihr. Wie bewertest du dieses traditionelle Rollenmodell?
Heute würde ich es nicht mehr wollen, meine Frau übrigens auch nicht. Die Integration der Frau ins Berufsleben nach ihrer Karriere als Familienfrau ist praktisch unmöglich. Als wir uns Mitte der 1990er-Jahre für dieses Lebensmodell entschieden, war das Familienbild in der Gesellschaft traditioneller als heute. Hinzu kam, dass wir längere Zeit im Ausland lebten und meine Frau dort keine Arbeitsbewilligungen hatte. Heute sind wir da weiter: Expats gehen häufig nur dann ins Ausland, wenn auch die Frauen arbeiten können.
Was würdest du heute anders machen?
Wenn ich heute nochmals eine Familie gründen würde, dann würde ich meiner Frau raten, dass sie als Familienfrau Teilzeit weiterarbeitet. Und: Wäre meine Frau beruflich erfolgreicher, dann könnte ich mir heute vorstellen, meine Karriere zurückzustellen. Schlussendlich ist es auch eine Frage der Finanzierbarkeit.
Interessant. Hattest du als Vater nie ein schlechtes Gewissen, etwas zu verpassen?
Nein, das hatte ich nicht. Aber an meinen Enkeln sehe ich, was ich alles verpasst habe. Nicht, dass ich das bereuen würde, aber ich hätte viel gewinnen können, wenn ich das bewusster gelebt hätte.
Kannst du konkrete Beispiele nennen, was du bei deinen Kindern verpasst hast?
Beispielsweise wie die Kinder vom Säugling zum Kind heranwachsen und wie intensiv dieser Prozess beide Eltern braucht. Kinder sind nichts, was man bestellen kann und dann hat man es.
Wenn du dich entscheiden musst: Job oder Familie?
Meine Familie ist mir sehr wichtig! Wenn ich meine Karriere für meine Familie opfern müsste, dann würde ich das heutzutage machen. Aber ich bin mir bewusst, dass dies nicht jeder Mann kann und möchte. Nicht alle Männer können es mit ihrem Ego vereinbaren, mit dem Kinderwagen zur Kita zu spazieren.
Wie alt bist du?
Ich bin 65 Jahre alt.
Merkst du dein fortgeschrittenes Alter an Körper und Gesundheit?
Ich würde lügen, wenn nicht. Ich habe chronische Arthrosen, einiges tut weh, und ich bin nicht mehr so beweglich. Trotzdem gebe ich mein Bestes. Man muss akzeptieren, dass man nicht mehr die gleiche Qualität und Energie hat wie früher.
Wie gehst du mit den Hormonschwankungen der Wechseljahre um?
Das ist lustig, weil ich jetzt gerade bei einer Untersuchung war. Ich spürte, dass etwas komisch ist mit mir. Die Ärztin hat mich auf eine Menopause bei Männern untersucht, eine sogenannte Andropause. Bei mir wurde das jedoch nicht diagnostiziert. Für jeden Mann ist die Andropause eine Chance für eine Standortbestimmung, da es ein körperliches Zeichen ist, dass man eine gewisse Altersschwelle erreicht hat, in der man innehalten muss.
Nun zu den wirklich wichtigen Dingen: Wie hat dein Aussehen deine Karriere beeinflusst?
Ich als Mann behaupte, gar nicht. Ich trage einen Anzug mit Hemd und Krawatte. Heute trägt man keine Krawatte mehr, was ich sehr bedauere, weil es wie eine Uniform ist und einfach passt. Ich kann mir aber sehr gut vorstellen, dass es diesbezüglich als Frau anders ist.
Du vermisst den Krawattentrend. Wie wählst du deine Krawattenfarben aus? Wer hilft dir dabei?
Das mache ich alleine. Ich habe gewisse Lieblingsfarben. Ich habe rote, blaue, gelbe, braune, grüne … Krawatten.
Wenn du unsicher bist, ob eine Kombination oder ein Outfit passt, wen fragst du dann?
Meine Frau. Das ist klar. Man braucht jemanden, dem man vertraut. Meine Frau ist absolut stilsicher. Das ist toll, weil ich sie jederzeit fragen kann, ob etwas passt. Wenn sie findet, dass etwas gar nicht geht, dann schlägt sie mir eine andere Kombination vor, und die befolge ich dann.
Wie schön, dass du eine Frau zur Unterstützung an deiner Seite hast. Hast du Styling-Tipps?
Mein Stil ist an sich sehr klassisch. Anzug, Krawatte, Smoking, Frack. Das ist ein fixes Outfit, da gibt es nicht richtig oder falsch. Häufig sehe ich Männer, die unsicher sind in der Blazer- und Krawattenwahl. Generell sind Männer geschmacklich nicht so sicher wie Frauen. Dabei sollten Männer sich Mühe geben für sich selbst und ihre Umwelt. Denn Kleider machen eben doch Leute.
Du scheinst dir da viele Gedanken zu machen. Wie viel Zeit investierst du täglich in dein Aussehen?
Eigentlich wenig. Ich bereite jeweils am Vorabend meine Kleidung vor, also Anzug oder keinen Anzug, Shorts oder keine Shorts, Blazer oder keinen Blazer. Dann die Farbkombination, das Einstecktuch … Das Hemd spielt auch eine Rolle, weil es zum Anzug passen muss. Heute trage ich einen karierten Anzug und deshalb ein weisses Hemd, weil zum Muster muss das Hemd neutral sein. Das sind alles so Themen, mit denen ich mich befasse.
Wenn du die Zeit für deine Outfit-Planungen mit dem Aufwand deiner Beauty-Routine zusammenzählst, wie viel Zeit investierst du dann am Tag?
Es kommt darauf an. Rasieren, Creme, Gesicht, anziehen … all in all brauche ich dafür etwa eine Stunde.