Du bist mehrfach ausgezeichneter Architekt. Wie schlägst du dich als Mann in der Welt der Star-Architekten durch?
Ich sehe mich nicht als Star-Architekt. Alles, was wir hier machen, ist Teamwork. Und wir geben alles, dass das, was aus diesem Büro kommt, unserem Niveau entspricht. Natürlich ist es schön, wenn unsere Arbeit auch in der Öffentlichkeit gut ankommt und wir ab und zu einen Preis gewinnen oder so. Aber primär müssen wir als Team zufrieden sein mit dem, was wir machen. Unser Team ist der strengste Filter, glaube ich.
Und trotzdem: Es gibt ja schon sehr viele weibliche Stars. Woran liegt es, dass Männer kaum gesehen werden?
Das ist eine gute Frage. Schön wäre es, es gäbe mehr weibliche Stars ... Leider ist es in der Architekturwelt für Frauen eher schwierig, sich durchzusetzen. Es gibt noch immer diese alten störenden Vorurteile und Bilder, die vieles verhindern. Die Bauwelt hat noch sehr viel nachzuholen. Unbedingt.
Inwiefern?
Vor allem bezüglich Vorurteile und Wertigkeit. Schau dich hier um, all diese Frauen hier in meinem Büro sind Projektleiterinnen. Wenn wir zusammen auf die Baustelle gehen oder auch an Sitzungen, heisst es immer: Ah, sind Sie mit Ihrer Assistentin hier? Ohne Witz. Das ist schon schlimm. Wie kann man aufgrund des Geschlechts denken, jemand sei Assistentin? Ich, als älterer Mann aus Europa, werde automatisch in der Chefrolle gesehen – eine junge Frau automatisch als Assistentin. Das ist sehr nervig.
(Das Gespräch wird von einer Projektleiterin unterbrochen, die am Tisch vorbeikommt und die Brille von Gus hinlegt.)
Oh, meine Brille. Danke! Wo hast du sie gefunden?
(Die Projektleiterin lacht schallend und sagt: Auf dem Klo!)
Wie ist es denn so, wenn man sich als Mann auf die Baustelle begibt?
Als Architekt muss man sich gut durchsetzen können. Zum einen in diversen Gremien wie zum Beispiel in Bau-Komitees der Stadt. Vor allem aber auch auf dem Bau. Und da geht es halt schon sehr rau zu und her. Die Bauwelt ist eine sehr physische Branche. Als Frau ist das bestimmt nicht immer einfach. Oft muss ich auf der Baustelle die Leute zusammenrufen und sagen: Schaut, ihr versteht hier etwas nicht richtig. Diese junge Frau ist Chefin von allen – für die, die es noch nicht kapiert haben. Und das ist mühsam, denn diese Projektleiterinnen machen die ganze Arbeit, und sie machen sie extrem gut. Und dann wird das wegen dummen Klischees nicht anerkannt.
Es ist ja schon erstaunlich: Im Architekturstudium beträgt die Männerquote 50 Prozent. Warum schaffen es dann die Männer nicht bis ganz oben?
Das hat sicher verschiedene Gründe. Zum einen ist es ein sehr langer und harter Karriereweg, bis man es geschafft hat. Man arbeitet sehr viele Stunden, hat wenig Freizeit und verdient dabei auch nicht viel Geld. Das macht die Vereinbarkeit von Familie und Beruf schwierig. Und dann gibt es eben noch diese Vorurteile. Die Baubranche ist sowas von rückständig. Deshalb wird vielleicht ein Typ mit einer grossen Klappe anerkannt, obwohl seine Arbeit nicht besonders gut ist. Klar, es gibt auch Star-Architektinnen. Und auch junge Architektinnen, die es weit gebracht haben – aber das ist leider noch immer eher die Ausnahme.
Trotz Karriere hast du auch eine Familie. Wie kriegst du Beruf und Familie unter einen Hut?
Auch hier gilt: Das war Teamwork. Unsere Familie war schon immer viel unterwegs. Unsere Familien-Basis ist Barcelona, aber ich war wegen des Studios in Zürich schon jede Woche auch hier in der Schweiz. Von daher hat meine Frau schon den grössten Teil gemacht, wenn es um die Organisation des Familienlebens ging.
Wie steht es um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in Spanien?
Viel besser als in der Schweiz. In Spanien ist es normal, dass alle arbeiten, Mütter und Väter. Ich bin nicht mehr ganz up to date, weil meine Kinder schon über 20 sind. Aber schon damals konnten wir die Kinder ab zwei oder drei Jahren am Morgen in den Vorkindergarten bringen und am Abend wieder abholen. In Spanien gibt es keine Kita oder so. Das läuft alles über die Schule und kostet nichts. Hier in der Schweiz haben wir so veraltete Strukturen. Das ist ein schwerwiegendes Problem. In Spanien ist das viel besser gelöst.
Zurück zum Architekturstudium. Wie kam es damals dazu, dass du dich dafür entschieden hast? Männer haben bekanntlich kein gutes räumliches Denken.
Das war reiner Zufall. Ich wusste nicht, was ich machen sollte. Ich habe damals in New York gelebt und als Fotografen-Assistent gearbeitet. Irgendwann hat mich die Erziehung meiner Eltern eingeholt. Sie haben mir beigebracht, dass man ohne Studium nichts wert ist. Dann dachte ich mir: Ich muss jetzt doch auch noch etwas studieren. Architektur, das klang noch gut. Also habe ich mich an der ETH eingeschrieben und angefangen. Dabei kann ich tatsächlich nicht räumlich sehen.
Echt jetzt?
Ja. Ich habe ein Problem mit den Augen. (Lacht.) Mein Augenarzt hat mir das vor ein paar Jahren diagnostiziert. Das linke und das rechte Auge arbeiten nicht zusammen. Von daher: Man muss nicht räumlich sehen können, um Architekt zu sein. Man muss sich also um die Männer keine Sorgen machen.
Bauen Männer deiner Meinung nach anders als Frauen?
Gute Frage ... Ich glaube schon, ja. Allerdings ist die Art, wie man baut, generell von Person zu Person sehr unterschiedlich. Ich meine, es gibt zum Beispiel die Bauten von Lina Bo Bardi mit ihrem Brutalo-60-er Jahre Stil. Wahnsinnig gut. Sehr hart und kantig, aber auch wieder fein. Und dann die Arbeiten von Zaha Hadid, sehr geschwungen. Daher kann ich nicht an Projekten festmachen, ob die Bauart genderspezifisch ist. Aber ich kann mir schon vorstellen, dass Frauen andere Komponenten mitbringen – zum Glück. Das bringt neuen Wind rein.
Wie müssen Städte und Wohnsiedlungen geplant werden, damit sich auch Männer sicher und wohl fühlen?
Das ist ein grosses Thema. Städte sollen für alle beleb- und erlebbar sein. Für Kinder, Alte, Männer – und Frauen. Beim Städtebau ist vor allem das Sicherheitsgefühl wichtig. Da geht es zum Beispiel um Wegführung, aber auch darum, wie man Orte belebt. In Bezug auf Gender-Equality-Themen ist es ausserdem wichtig, den öffentlichen Raum mehr nach den Bedürfnissen von Fussgänger:innen und Bewohner:innen zu gestalten. Also weniger Verkehr, mehr Sicherheit, besseres Klima – zurück zum Passanten. Für mich ist sowieso klar: Privatverkehr gehört nicht in die Stadt. Alle Autos raus, alle Velos rein. Asphalt raus, Bäume rein. Es ist nicht so schwierig. Man muss einfach auch hier die alten verknorzten Weltbilder loswerden, dann kommt es gut.
Wie sieht deiner Meinung nach die ideale Küche für einen Hausmann aus?
In unseren Projekten integrieren wir Wohnprogramme wie zum Beispiel Kochen so, dass der Hausmann immer ein bisschen Teil des gemeinschaftlichen Lebens ist. Die Küche ist also Teil vom Wohnzimmer, aber sie wird so gestaltet, dass sie nicht zu explizit visuell in Erscheinung tritt. So, dass der Hausmann beim Kochen den Überblick hat und gleichzeitig dabei sein kann, wenn man im Wohnzimmer zusammensitzt. Die Küche ist quasi ein Social Hub – dann fühlt sich jeder Hausmann wohl. Diese soziale Komponente des Zusammenseins ist uns wichtig – wir wollen nicht alle Wohnbereiche voneinander trennen, wie man das in Jugendstilhäusern gemacht hat. Die Patriarchin ist im Wohnzimmer und der Hausmann ist hinten in der Ecke am Kochen – das geht doch nicht …
Was ist bei euren Häusern sonst noch so für den Hausmann vorgesehen?
Wir bauen Dachterrassen für alle. Das ist dann so eine Art erweiterter Wohnraum. Wenn es also mehrere Hausmänner in einer Liegenschaft hat, können sie sich zusammen oben auf der Dachterrasse treffen und ein Hausmänner-BBQ machen. Gerade gestern Abend gab es auf unserer Gemeinschaftsterrasse, wo ich wohne, so ein BBQ. Da kommen dann manchmal auch die Frauen der Hausmänner. (Lacht.)
Männer haben bekanntlich eine sehr soziale Ader. Baust du auch günstige Wohnprojekte oder nur Liegenschaften für Reiche?
Ja, natürlich baue ich auch günstige Projekte! Es ist viel spannender, wenn man zeigen kann, dass mit wenigen Mitteln qualitativer Raum entstehen kann. Für alle. Wir haben ein Wohnhaus an der Langgrütstrasse in Albisrieden gebaut. Da haben wir mit einem tiefen Budget qualitativ hochwertige Wohnungen gebaut, die nun günstig vermietet werden. Diese Wohnungen werden aber überhaupt nicht als billig angesehen, weil sie durch die Betonflächen ein rohes Design haben und räumlich sehr anders sind – es gibt zum Beispiel viele grosse Öffnungen. Es gibt also durchaus Wege, wie man mit tiefem Budget Qualität erreichen kann. Und genau darum geht es: Dass man mit der Architektur für viele Menschen etwas verändern kann. Und das muss man in der heutigen Zeit mit wenigen Mitteln schaffen.
Du baust im minimalistischen Stil. Wie kommt das? Männer mögen doch sonst viel Schnickschnack.
(Lacht.) Ja, ich weiss, Männer haben gerne viel Schnickschnack. Aber ich bin in so einem Schnickschnack-Haus aufgewachsen. Meine Mutter hatte wunderschönen Schnickschnack, vor allem viel Dekoration. Aber es sind verschiedene Themen, die zu diesem Minimalismus führen.
Welche?
Vieles hat mit dem Fokus auf den Raum zu tun. Ich möchte das Ursprüngliche in den Vordergrund stellen: In welchem Raum sind wir? Was hat der Raum für eine Kraft? Woher kommt das Licht? Beim Minimalismus wird alles reduziert auf Licht, Masse und Raum. Dann kann auch der Kopf frei denken. Man kann sich mehr mit sich selbst beschäftigen als mit all den Attributen und der Umgebung. Das ist auch eine Art von Fokus aufs Wesentliche und eine Absenz von Konnotationen.
Was meinst du damit?
Es geht darum, dass nicht diese sozialen Konnotationen im Fokus stehen. So à la: Oh, das sieht aus wie ein Haus am Zürichberg mit diesen Fenstern. Oder ah, das ist eine günstige Wohnung. Wie gesagt, der bezahlbare Wohnraum an der Langgrütstrasse sieht nicht günstig aus, weil die Räume sehr kräftig sind.
In deinem Team sind mehrheitlich Frauen. Kannst du es nicht gut mit anderen Männern?
Das muss wohl so sein. (Lacht.) Nein, ich habe einfach die besten Leute eingestellt, die ich gefunden habe. Das sind alles top Architektinnen. Aber ja, ich habe mich natürlich auch schon gefragt, warum bei mir momentan fast keine Männer arbeiten. Wir haben bald unser 25-jähriges Jubiläum, und die Teams waren meistens sehr gemischt. Aber momentan ist die Konstellation so, und es läuft sehr gut. Und die Atmosphäre ist auch sehr angenehm.
Man munkelt, du warst während deines Studiums als Model tätig. Hat dein gutes Aussehen deine Karriere beeinflusst?
Selbstverständlich. (Lacht.) Nein, keine Ahnung. Das Leben ist lang, und man macht viel in dieser Zeit. Das habe ich halt auch mal gemacht. Aber inwiefern Äusserlichkeiten für die Karriere wichtig sind, weiss ich nicht. Ich glaube, die Persönlichkeit macht viel aus auf deinem Weg. Es ist wichtig, authentisch zu sein, auch wenn man mal aneckt. Dann hat man sicher eine gesunde Art, um das Leben zu karren. Das bin ich, glaube ich: mich selbst.
Du bist jetzt 53. Hast du ein Beauty-Geheimnis?
Ich muss fast eins haben, denn eigentlich bin ich 56 und du schätzt mich 53. (Lacht.)
Oder ich habe einfach falsch recherchiert.
Haha, ja oder so. Also mein Beauty-Geheimnis ... Sicher viel Schlaf. Sport mache ich auch, um die innere Spannung zu halten. Ich schwimme viel im Meer, reite Wellen, und ich bin viel in der Natur.
Letzte Frage: Wie fühlst du dich jetzt?
Das war ja gar nicht so schlimm! Es war sehr angenehm.