Ein Workshop in Zürich mit 20 Top-Manager:innen, Ende Juni. Zum Abschluss fragt eine Teilnehmerin: «Und warum waren jetzt alle Referentinnen Deutsche?»

Gute Frage. Schwierige Frage.

Zahlen des Schilling-Report zeigen: 2024 hatten auf Geschäftsleitungsebene 57 Prozent der weiblichen Top-Managerinnen keinen Schweizer Pass. Deutlich mehr als bei den Männern: Hier beträgt der Ausländeranteil 45 Prozent. 

In den 20 grössten Schweizer Firmen sind 26 Prozent der Geschäftsleitungsmitglieder  Frauen. Von ihnen haben 86 Prozent keinen Schweizer Pass. Warum ist das so?

Katia Murmann
Auf Geschäftsleitungsebene haben 57 Prozent der weiblichen Top-Managerinnen keinen Schweizer Pass.

Diese Frage beschäftigte mich schon einige Monate vor besagtem Workshop. Ganz einfach deshalb, weil ich mehr und mehr Top-Frauen treffe, die keinen Schweizer Pass haben. Erst dachte ich, das sei kein Thema. Denn am Ende geht es nicht um Nationalitäten. Sondern darum, dass Frauen wie Männer in der Schweiz die gleichen Aufstiegschancen und die gleiche Repräsentation in den Chefetagen haben. Egal, ob sie Schweizerinnen sind oder nicht.

Trotzdem zeigen die Zahlen: Die Schweizerinnen hinken in punkto Karriere im eigenen Land hinterher. Deshalb lohnt es sich, hinter diese Zahlen zu schauen – denn sie weisen auf einen wichtigen Punkt hin: Noch immer ist es in der Schweiz weder selbstverständlich noch einfach, Kinder und Karriere zu vereinbaren. Darum sollten wir diskutieren, was diese Zahlen konkret bedeuten. Und was wir ändern wollen.

Ende Juni erschien ein Whitepaper von advance. Die Autor:innen befragten rund 600 berufstätige Frauen in der Schweiz: 56 Prozent von ihnen gaben an, dass sie es «ausserordentlich schwierig» finden, ihre Karriere mit der Kinderbetreuung zu vereinbaren. Zeitmanagement, psychischer Druck und hohe Kosten für die familienergänzende Betreuung sind die Hauptprobleme.

Reicht das, um zu erklären, warum es im Schweizer C-Level mehr Ausländerinnen als Schweizerinnen gibt? Guido Schilling, Herausgeber des Schilling-Report, spricht von einer «gewachsenen Struktur» in der Schweiz, die es Frauen schwerer mache als in anderen Ländern, Karriere zu machen. «Mittlerweile sehen die Unternehmen, dass es sich lohnt, Frauen in Führungspositionen zu haben», so Schilling. Doch auch die Frauen müssten den Vorteil sehen, berufstätig zu sein.

Katia Murmann
Die Schweizerinnen hinken in punkto Karriere im eigenen Land hinterher.

Expert:innen auf dem Gebiet sehen zwei Haupthandlungsfelder:

  1. Der Staat muss Strukturen schaffen, die Vereinbarkeit fördern. Er muss Doppelverdienst steuerlich attraktiver machen (Stichwort Individualbesteuerung). Aber auch Kitas und Tagesschulen zur Verfügung stellen und finanzieren. Hier besteht grosser Nachholbedarf, wie das Whitepaper von advance zeigt: Derzeit gibt die Schweiz lediglich 0,1 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Kinderbetreuung aus. Der OECD-Durchschnitt liegt bei 0,8 Prozent.
  2. Das Sozialprestige von arbeitenden Frauen muss sich verbessern. Was in Frankreich völlig normal und angesehen ist, wird hierzulande noch immer mit Skepsis beäugt. Advance spricht im Whitepaper von einer «Stigmatisierung von erwerbstätigen Müttern durch die Gesellschaft». Im Workshop erzählten die Frauen, dass sie sich Sätze anhören müssen wie: «Warum hast du überhaupt Kinder, wenn du sie nur am Abend siehst?» – «Hast du es wirklich nötig, zu arbeiten?»

Eine junge Kollegin erzählte, dass in ihrem Umfeld nun alle Kinder bekommen – und dann entweder ganz aufhören, erwerbstätig zu sein, oder mit kleinen Pensen weitermachen. «Meine Freund:innen schauen mich komisch an, wenn ich sage, dass ich auch mit Kind Vollzeit berufstätig sein will.» Und das im Jahr 2024.

Was also tun? It’s time for a change! Nicht nur bei Struktur und gesellschaftlicher Stellung von erwerbstätigen Frauen. Sondern auch bei den Spielregeln in Unternehmen. Denn hier zeigen Zahlen: Frauen kommen zwar in Top-Jobs, aber sie bleiben im Schnitt nur drei Jahre, während es Männer sieben Jahre aushalten. ellexx hat über die Gründe berichtet, warum Frauen wieder gehen.

Katia Murmann
It’s time for a change! Nicht nur bei Struktur und gesellschaftlicher Stellung von erwerbstätigen Frauen. Sondern auch bei den Spielregeln in Unternehmen.

«Die heutigen Spielregeln in den Führungsetagen wurden von weissen, älteren Chefs gemacht», sagt Guido Schilling. Das bestätigt auch Nicole Niedermann vom Competence Centre for Diversity and Inclusion (CCDI) der Universität St. Gallen: «Die Kultur vieler Unternehmen ist entstanden und gewachsen mit männlich dominierten Werten. Das spürt man als Frau.» Guido Schilling ergänzt zudem: «Frauen sind nicht bereit, unter diesen Bedingungen zu arbeiten.» 

Deshalb gibt es viel zu tun für uns alle. In der Wirtschaft, in der Politik, der Gesellschaft. Wenn wir ehrlich sind: Wir alle wissen, was zu tun ist. Warum wird es trotzdem nicht umgesetzt? Woher kommt das Zögern? Fragen, die wir diskutieren müssen. Aber: Wenn jede und jeder von uns in diese Richtung arbeitet, kommen wir schneller voran.

Und zum Schluss noch dies: Die drei «Deutschen» im Workshop waren eine Österreicherin und zwei Schweizerinnen. Eine davon hat deutsche Wurzeln. Die andere war ich, in Deutschland aufgewachsen mit Schweizer Pass. Nationalität ist relativ. 

Katia ist Unternehmerin und Verwaltungsrätin. Mit ihrer Firma WolfPak.ai begleitet sie Führungskräfte und Organisationen. Ihre Mission: eine bessere Arbeitswelt dank besserer Chef:innen. Sie ist Mitgründerin der Initiativen EqualVoice und Edit-a-thon und setzt sich dort für mehr Sichtbarkeit von Frauen in den Medien und auf Wikipedia ein. Zudem ist sie Stiftungsrätin der Public Discourse Foundation gegen Hate Speech im Internet. Weiter ist sie Verwaltungsrätin, verheiratet und Mutter von drei Kindern.

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