Wir fragen Männer, was sonst nur Frauen gefragt werden. Wir wollen damit einen Dialog über Stereotypen in Gang setzen, zum Nachdenken und Schmunzeln anregen, aber auch Toxizität entlarven.
Ruedi Blumer ist Vater von drei Kindern, Präsident des Verkehrs-Clubs Schweiz (VCS) und politisierte während rund 30 Jahren. Weshalb bei ihm immer wieder Tränen fliessen, warum er zuerst an die anderen denkt und was er sich zum 40. Hochzeitstag wünscht, erzählt er in den Männerfragen.
Warum fahrt ihr Männer lieber Velo als Auto? Liegt es daran, dass ihr nicht einparken könnt?
(Schmunzelt.) Das ist leider nicht bei allen Männern so, aber bei mir schon: Velofahren macht mir einfach viel mehr Spass als Autofahren und Einparkieren. Man ist viel agiler. Man kann links oder rechts an den Autos vorbeifahren. Zudem bin ich wahnsinnig gerne draussen an der frischen Luft. In diesen Kisten von Autos gefällt es mir nicht. Und zu guter Letzt hält das Velofahren auch fit. Ich muss nicht ins Fitnesscenter oder mich an irgendeine Stange hängen. Ich mache Sport auf meinem Arbeitsweg oder auf dem Weg zum Einkaufen.
Was für eine flammende Rede. Du legst also Wert auf einen gestählten Körper?
Gestählt ist jetzt etwas übertrieben. Aber ich bin schon ein bisschen stolz darauf, dass ich mit 66 Jahren noch immer gleich leicht bin wie in der Rekrutenschule.
Was bringst du denn so auf die Waage?
60 Kilogramm. Ich bin aber auch nur 1,65 Meter gross. Es geht mir aber nicht nur ums Gewicht. Es ist einfach ein gutes Gefühl, fit zu sein. Und das Velo hilft mir dabei.
Du machst dich stark für Tempo 30. Warum legt ihr Männer so viel mehr Wert auf Sicherheit als auf Spass?
(Lächelt und nickt.) Sicherheit macht eben Spass. Sie ist sogar die Voraussetzung für Spass.
Aha …
Ja, ja, das ist wirklich so. Fangen wir bei den Kindern an. Die Kinder müssen doch Freude haben an ihrem Schulweg. Wenn sie ständig aufpassen müssen, dass nichts passiert, dann macht der Schulweg keine Freude. Das zieht sich durch. Sicherheit ist auch ein wichtiges Thema für Menschen, die nicht oder nicht mehr so fit sind wie wir zwei. Tempo 30 bringt Sicherheit für die ganze Gesellschaft. Und mehr Lebensqualität durch weniger Lärm.
Herzerwärmend, wie umsichtig ihr Männer seid und wie ihr immer an alle denkt.
(Schmunzelt.) Viele Männer machen das ja eben nicht. Viele sind Egoisten und wollen viel Geld verdienen. Ich bin anders. Das habe ich von meiner Mutter. Sie war sehr fürsorglich und hat darauf geachtet, dass es allen gut geht. Das habe ich übernommen. Ich will nicht, dass es den einen auf Kosten der anderen zu gut geht. Es braucht einen Ausgleich. Leider geht die weltweite Entwicklung in eine andere Richtung. Die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich immer mehr.
Wie hältst du das als zartes Gemüt aus?
Mit Velofahren (lacht herzhaft). Nein, im Ernst: Ich habe viel Übung darin, Dinge zu akzeptieren. Ich politisiere schon lange im links-grünen Lager. In der konservativen Ostschweiz gehöre ich fast konstant zu den Verlierer:innen. Das halte ich aber aus, weil ich die Fähigkeit habe, mich voll für etwas einzusetzen, es wegzustecken, wenn ich scheitere, und mich dann auf das nächste bedeutende Anliegen zu fokussieren. Ich bin nicht nachtragend und habe nach dem Verlieren keine schlechte Laune. Zudem hilft oft eine Prise Humor.
Und eine starke Frau, die dich hin und wieder in den Arm nimmt und tröstet …
Das ist wirklich so. Meine Frau tröstet mich tatsächlich immer wieder mal. Sie kritisiert mich aber auch. Der Austausch mit ihr ist für mich sehr wichtig. Wir feiern übrigens im Oktober unseren 40. Hochzeitstag.
Oh wow, gratuliere. Schenkt sie dir einen neuen Staubsauger?
Hahaha, im Haushalt bin ich nicht der Beste, das muss ich zugeben. Aber ja, Staubsaugen ist meine Aufgabe. Und ein neuer Staubsauger wäre gar nicht so schlecht, ich habe mich nämlich erst gerade über unseren geärgert, weil er nicht richtig funktioniert.
Na dann. Neben dem Haushalt bist du Präsident des VCS Schweiz. Wie ist es so als Mann an der Spitze, musstest du mehr Einsatz geben, um akzeptiert zu werden?
Das würde ich nicht sagen. Aber meine Vorgängerin und auch meine Vorvorgängerin waren beide Frauen. Mit mir hat es diesbezüglich also einen Wechsel gegeben. Das Präsidium war umkämpft, aber wir waren zwei Männer, die es wollten.
Und du hast den Posten dank deines Charmes und einem tiefen Ausschnitt bekommen?
Haha, also der Ausschnitt war’s definitiv nicht – mein Lächeln auf den Stockzähnen hat aber vielleicht schon geholfen (lacht leicht verlegen). Ich mag Menschen und kommuniziere gerne. Entscheidend war damals aber vermutlich vor allem meine Erfahrung, die ich mitgebracht habe, und vielleicht noch die Region, aus der ich komme. Das Besetzen dieser Posten hat ja immer mit verschiedenen Faktoren zu tun.
Anderes Thema. Du bist seit fast 30 Jahren politisch aktiv. Wie war das damals als Mann in der Politik?
Einseitig, männerlastig. Der Kantonsrat war damals eine ziemliche Männerrunde. Das hat sich erst mit der Zeit langsam verändert.
Hat sich das Klima in der Politik durch die Diversität über die Jahre verändert?
Hmm, eigentlich nicht. Leider. Auf bürgerlicher Seite herrscht nach wie vor eine Männerdominanz, vor allem in der Ostschweiz. Wenn es darauf ankommt, sind es immer noch die Männerseilschaften und die Gier nach Macht, die das politische System bestimmen. Ich hoffe, dass diese Änderung noch bevorsteht.
Das hoffen wir auch. Wie hast du eigentlich deine Gefühle beim Politisieren in den Griff bekommen?
Gar nicht. Ich finde Emotionen wichtig, sie gehören dazu. Darum zeige ich bewusst Gefühle, und es kann auch mal heftig werden. Ich bleibe aber immer anständig.
Hast du oft geweint?
Ja, das ist schon mal vorgekommen.
In politischen Debatten?
Nein, da nicht. Da bin ich vom Adrenalin angetrieben. Die Tränen kommen eher bei persönlichen Begegnungen. Beispielsweise bei Führungsgesprächen, wenn es um eine Absage, eine Versetzung oder so geht. Da kann es schon vorkommen, dass auch mir als Vorgesetzter mal eine Träne kommt.
Typisch Mann, ein richtiges «Sensibeli» …
Ich gebe zu, ich bin etwas nahe am Wasser gebaut, und ich bin kein Hardliner. Ich verfolge nicht einfach stur ein Ziel oder erledige meine Aufgaben, ohne Gefühle dabei zuzulassen. Gerade in schwierigen Situationen wie bei Kündigungen ist es mir wichtig, den Prozess so gut wie möglich zu begleiten und den Mitarbeitenden zur Seite zu stehen. Ich möchte meine Mitarbeitenden mit Einfühlsamkeit und Anteilnahme führen.
Du hast drei erwachsene Kinder, warst immer berufstätig und hast politisiert: Wie hast du das alles unter einen Hut gebracht?
(Seufzt und blickt betroffen auf.) So, wie ich das gemacht habe, ist es natürlich absolut nicht mehr zeitgemäss, vor allem nicht für jemanden, der denkt wie ich. Ich war zu wenig zu Hause und hatte zu viele Engagements ausser Haus. Meine Frau hat den grössten Teil der Erziehungsarbeit geleistet. Immerhin habe ich einen kleinen Schritt geschafft, als ich etwa 30 Jahre alt war.
Wie sah der aus?
Ich habe damals mit meiner Frau vereinbart, dass ich einen halben Tag auf die Kinder aufpasse, damit sie nach der Babypause in einem kleinen Pensum wieder in den Beruf einsteigen kann. Ich habe zu jenem Zeitpunkt gerade den Job gewechselt. Die Stelle war für 100 Prozent ausgeschrieben, ich habe gepokert und gesagt: Ich nehme die Stelle gerne, aber nur zu 90 Prozent. Das hat geklappt. Ab da war ich jeweils am Mittwochmorgen mit den Kindern zu Hause und habe versucht, mein Bestes zu geben.
Wurdest du oft als Rabenvater bezeichnet, weil du so viel weg warst?
(Lacht und stockt.) Nein, das war nie der Fall. Aber es gab schon mal Situationen, in denen ich mich wie ein Rabenvater gefühlt und in meiner Vaterrolle nicht gerade brilliert habe (lacht). Ich war zum Beispiel an einem Mittwochmorgen einkaufen. Als ich nach Hause kam, standen die Kinder vor verschlossener Türe, weil ich viel zu spät dran war.
Du hast es schon fast geschafft. Wir kommen noch zum Lieblingsthema der Männer: Beauty. Verrätst du uns dein Schönheitsgeheimnis?
(Lacht verlegen.) Ich war grad vor einer Stunde bei der Coiffeuse. Ich weiss nicht, ob man es sieht?
Extra fürs Interview?
Nein, nein (lacht nochmal verlegen).
Schade, sieht aber fresh aus. Ich frage mich nur, warum du nicht gefärbt hast, wenn du doch bei der Coiffeuse warst?
Hahaha, schön, dass du das Thema aufgreifst. Mittlerweile habe ich ein paar graue Haare, aber bis vor wenigen Jahren hatte ich ganz dunkle Haare. Ohne Färben. Darauf war ich ziemlich stolz. Meine Kollegen sind schon eine Weile Silberfüchse. Was übrigens auch zu meinem Look gehört, sind Farben. Ich bin nicht gerne eine graue Maus, sondern trage lieber was Buntes und kombiniere auch mal wild. Und natürlich mein Schnauz, den habe ich seit Jahrzehnten.
Damit bist ja wieder total im Trend.
Ich weiss, aber ich habe ihn auch getragen, als er völlig out war.
Alles klar. Du hast es geschafft. Wie war’s?
Sehr gut. Es hat Spass gemacht, und du hast es geschafft, mir das eine oder andere zu entlocken, das ich sonst nicht so erzähle.