Fliegen ist eine der schädlichsten Handlungen fürs Klima. Das wissen wir inzwischen alle. Wir tun es deshalb möglichst selten. Und wenn wir es tun, schämen wir uns dafür. Oder wir werden von anderen, die sich dazu berufen fühlen, dafür beschämt.
Aber wie sieht es denn mit den Flugmeilen unserer Lebensmittel aus? In der Schweiz ist die Flugdiskussion jüngst von Menschen auf Lebensmittel übergesprungen. Denn wenn wir Klimaschutz ernst meinen, müssen wir nicht nur unsere eigenen Flugmeilen anschauen, sondern auch diejenigen der Ware auf unserem Esstisch. Konkret geht es um Früchte und Gemüse.
Lanciert wurde die Debatte durch Meldungen, wonach Aldi und Lidl keine Früchte und Gemüse mehr verkaufen, die per Flugfracht in die Schweiz transportiert werden. Lidl hält sich schon seit Beginn ihrer Geschäftsaktivitäten in der Schweiz an diese Regel und wendet sie seit ein paar Jahren auch auf Fleisch- und Fischprodukte an. Aldi hat Anfang dieses Jahres damit begonnen, beschränkt sich dabei aber vorerst auf Gemüse und Obst.
Aber was bringt das überhaupt fürs Klima? Gemäss Angaben von Aldi spart der Verzicht auf Flug-Früchte und -Gemüse jährlich 5000 Tonnen CO2 ein. Ist das viel? Ist das wenig? Zum Vergleich: Menschen in der Schweiz verursachen im Schnitt im Jahr zirka 13 Tonnen CO2 pro Kopf. In dieser Bilanz sind die Emissionen, welche durch Importgüter verursacht werden, schon eingerechnet. Rechnen wir das um, so entsprechen Aldis Einsparungen immerhin dem CO2-Ausstoss von knapp 385 Menschen in der Schweiz. Nicht schlecht, oder?
Und was sagen unsere heimischen Lebensmittelgiganten, Migros und Coop, dazu? Migros und Coop liefern sich seit Jahren ein Duell punkto Nachhaltigkeit. Trotzdem wollen sie vorderhand nicht darauf verzichten, uns mit Airbus-Spargeln aus Peru und Boeing-Trauben aus Südafrika gluschtig zu machen. Das erstaunt. Denn Coop brüstet sich auf seinem «Taten statt Worte»-Portal gar explizit damit, dass das Unternehmen «Verantwortung für jede Flugmeile» übernimmt. Darunter versteht Coop aber nicht Verzicht auf Flugware, sondern dass seit 2007 alle Flugwaren mit dem «By Air»-Aufkleber gekennzeichnet sind. Ausserdem werde der CO2-Ausstoss aller Flugtransporte durch hochwertige Klimaschutzprojekte kompensiert, unter anderem mit der Stiftung Fair Recycling, die in Brasilien Kühlschränke sachgerecht entsorgt.
Natürlich freue ich mich, wenn in Brasilien keine FCKW-haltigen Kühlschränke vor sich hin brummen und CO2 abgeben. Der Zusammenhang zu den Flugmeilen unserer am Baum gereiften Vitaminbomben erschliesst sich mir allerdings nicht. Wahre Verantwortung für Flugmeilen zeigt sich im Verzicht darauf.
Auch die Migros verweist darauf, dass sie CO2 über die eigene Klimastiftung kompensiert. Sie rechnet ausserdem vor, dass der Anteil an Flugobst und -gemüse bei ihr weniger als ein Prozent des Sortiments ausmache. Das klingt nach wenig. Aber die Migros verrät auch, dass die Transportflüge für dieses eine Prozent 18'000 Tonnen CO2 ausstossen. Umgerechnet auf Menschen in der Schweiz entspricht das dem CO2-Ausstoss von zirka 1385 Personen. Wenn wir bei Coop der Einfachheit halber ähnliche Zahlen nehmen, kommen wir schon auf über 2700 Menschen. Das entspricht einem kleinen Dorf wie beispielsweise Lotzwil im Kanton Bern.
Soviel zur Mathematik. Und wie lautet die moralische Begründung? Aldi und Lidl verweisen bei ihrem Entscheid auf den Klimaschutz. Sprich: Sie gewichten die Notwendigkeit des Klimaschutzes höher als das Recht ihrer Kundschaft auf pralle Papayas, die bis vor kurzem noch in der Tropensonne reiften. Migros und Coop setzen hingegen im Unterschied zu ihren aus Deutschland zugewanderten Konkurrenten in guthelvetischer Manier die Eigenverantwortung an die erste Stelle. Wahlfreiheit heisst das Gebot der Stunde! Die Kund:innen müssen die Wahl haben, sich für oder gegen Flugobst zu entscheiden.
Besonders befremdlich mutet der Hinweis von Coop an, dass ein Verzicht auf Flugobst zu einem eingeschränkten Sortiment an exotischen Früchten und Gemüsen führen würde. Das will ich doch hoffen! Wäre das nicht so, würde Coop zugeben, dass sie schon längst darauf hätten verzichten können.
Das Pochen auf Eigenverantwortung überrascht hingegen vor allem von Seiten der Migros. Schliesslich hat sie die Einschränkung der Wahlfreiheit ihrer Kund:innen sogar in den Statuten verankert. Ganz konkret da, wo es um Alkohol und Tabakwaren geht. Und wie die gescheiterte Abstimmung über die Aufhebung des Alkoholverbots letztes Jahr zeigt, steht bei den Migros-Genossenschafter:innen diese Wahlfreiheit keineswegs an oberster Stelle.
Ich kann es drehen und wenden wie ich will: Mich überzeugt dieser vorgeschobene Vulgärliberalismus nicht. Er ist zu kurz gedacht. Den grössten Einfluss darauf, was wir kaufen oder nicht, hat das Sortiment, das wir im Laden vorfinden. Und darüber entscheiden die Einzelhändler. Erst an zweiter Stelle kommt die Eigenverantwortung der Kundschaft zum Tragen. Hier ist es uns überlassen, ob wir uns von einer saftigen Ananas verführen lassen oder nicht.
Ausserdem: je stärker die Konkurrenz das Angebot an Köstlichkeiten mit Kerosin-Hintergrund einschränkt, desto weniger steht auf dem Spiel, wenn Migros und Coop nachziehen. Kund:innen würden sie wohl deswegen kaum verlieren. Und wenn es doch so wäre, dann müssten beide ernsthaft über die Bücher gehen. Denn das würde bedeuten, dass sie einen Wettbewerbsvorteil durch klimaschädliche Güter erzielen. Und das ist, bei allem Respekt für das Hochhalten der individuellen Freiheit, definitiv nicht mit dem sorgfältig gepflegten grünen Image vereinbar.