Nachhaltig zu investieren ist in den vergangenen Jahren immer wichtiger geworden. Als Orientierungshilfe in Sachen Nachhaltigkeit wurden in der Finanzwelt unter anderem die ESG-Prinzipien etabliert. ESG steht für Umwelt, Soziales und Governance. Die Prinzipien helfen Investor:innen, Unternehmen hinsichtlich dieser drei Aspekte von Nachhaltigkeit zu bewerten. Gemäss aktuellen Studien positionieren sich von allen Schweizer Anlagefonds im Jahr 2023 22 Prozent als nachhaltig – das sind 15 Prozent mehr als noch vor einem Jahr.
Trotz dieser erfreulichen Steigerung fehlen weltweit nach wie vor jährlich nachhaltige Investitionen im Wert von zwei bis drei Billionen US-Dollar, um die Sustainable Development Goals (SDGs) – das sind die nachhaltigen Entwicklungsziele der UNO – zu erreichen. ESG-Investitionen sind also nicht nur ein Trend, sondern eine dringende Notwendigkeit.
Soziales im Schatten der Umwelt
Von den 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDGs) der UNO sind elf soziale Entwicklungsziele. Dazu zählen die Bekämpfung von Armut, der Zugang zu Bildung und die Förderung der Geschlechtergleichstellung. Von den Investitionen, die im Zusammenhang mit den SDGs stehen, flossen jedoch in den vergangenen Jahren rund 60 Prozent in den Umweltsektor und rückten damit das E in den Fokus. Investor:innen stecken ihr Geld also lieber in erneuerbare Energien statt in Bildung oder die Bekämpfung von Armut. Dass das S oft in den Hintergrund rückt, scheint vielen bewusst zu sein. In Umfragen nennen über 40 Prozent der Investor:inen die Befürchtung, dass soziale Themen zugunsten von Klimafragen vernachlässigt werden.
Dieses Ungleichgewicht hat gemäss Expert:innen verschiedene Gründe. Zum einen lassen sich Nachhaltigkeitsaspekte im Umweltbereich häufig einfacher messen als im sozialen Bereich. Für Investor:innen ist dies wiederum von grosser Bedeutung, da sie den Impact ihres Geldes nachvollziehen wollen. CO2-Emissionen beispielsweise sind eine vermeintlich (dazu mehr in diesem Artikel) klar messbare Grösse. Weit schwieriger ist es, faire Arbeitsbedingungen zu quantifizieren. Anhand welcher Zahlen misst man, ob ein Unternehmen den Gesundheitsschutz der Mitarbeitenden ernst nimmt? Ob Teams divers sind und die Firma familienfreundlich?
Zum anderen sind die regulatorischen Rahmenbedingungen und Gesetze im Umweltbereich deutlich fortgeschrittener als im sozialen Bereich. Die Europäische Union hat mit der EU-Taxonomie ein ökologisches Regelwerk geschaffen, das seit Januar 2022 schrittweise in Kraft tritt. Der Kriterienkatalog legt europäische Standards fest und beurteilt jegliches Wirtschaften danach, wie ökologisch es ist. Europa vereinheitlicht somit das E der ESG-Kriterien fortlaufend. Für das S der ESG-Kriterien fehlen solche einheitlichen Standards momentan noch gänzlich. Es wird wohl auch noch eine Weile dauern, bis es ein umfassendes Regelwerk gibt, das alle Wirtschaftsaktivitäten und alle Formen der Nachhaltigkeit umfasst.
Erfolgsgeheimnis: Zufriedene Mitarbeiter:innen
Trotz fehlender regulatorischer Rahmenbedingungen sollten Unternehmen und Investor:innen den sozialen Nachhaltigkeitskriterien Beachtung schenken. Für den Erfolg eines Unternehmens sind sie nämlich häufig genauso wichtig, wenn nicht sogar wichtiger, als Umweltkriterien. Denn: Unternehmen, die beim S von ESG gut abschneiden, kümmern sich gut um ihre Mitarbeitenden. Ein faires und gesundes Arbeitsumfeld steigert wiederum nachweislich die Produktivität und vor allem auch die Zufriedenheit der Mitarbeitenden. Dies spart Unternehmen erhebliche Kosten: Zufriedene Mitarbeitende wechseln den Arbeitsplatz seltener. Kurz gesagt: Unternehmen, die die Bedürfnisse und das Wohlergehen ihrer Mitarbeitenden ins Zentrum stellen, sind wirtschaftlich erfolgreicher – sie machen mit weniger Ressourcen mehr Umsatz und haben tiefere Personalkosten aufgrund der tieferen Fluktuation.
Unternehmen, die das S von ESG wiederum nicht ernst nehmen, laufen Gefahr, in den Fokus der Öffentlichkeit zu geraten und können sich mit Boykottaufrufen und Imageproblemen konfrontiert sehen. Aber nicht nur das: Verliert ein Unternehmen die Loyalität seiner Mitarbeiter:innen, kann es komplett lahmgelegt werden. So konnten schon zahlreiche internationale Luftfahrtunternehmen tagelang nicht operieren, weil Flugbegleiter:innen, Pilot:innen und Bodenpersonal aufgrund ungelöster Probleme bei den Arbeitsbedingungen und Gehaltsfragen grossflächig streikten. Die finanziellen Verluste eines Unternehmens aufgrund solcher Streiks sind oft beachtlich – die Swiss kosteten die diesjährigen Ausfälle aufgrund von Streiks bereits einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag. Streiks und soziale Skandale können Firmen aber auch langfristig schädigen, wenn sie das Image und die Kundenloyalität beeinträchtigen und deshalb beispielsweise die Zahl der Buchungen zurückgeht.
E, S und G stehen in einer Wechselwirkung
Investor:innen sollten aber auch die Wechselwirkung zwischen den unterschiedlichen Nachhaltigkeitsaspekte berücksichtigen. Wirkungsvolle und ganzheitliche Nachhaltigkeitspraktiken haben nämlich alle ESG-Kriterien im Blick. Entsprechend betrachtet man sie am besten nicht isoliert. Als Beispiel: Was bringt es mir als Kund:in, wenn mein T-Shirt zwar aus Biobaumwolle hergestellt ist, aber von Kindern genäht wurde? Es lohnt sich also auch für Investor:innen, genau hinzuschauen, ob Unternehmen über alle ESG-Kriterien hinweg gut abschneiden und die Verantwortung, die sie gegenüber der Umwelt, der Gesellschaft und ihren Mitarbeitenden haben, ernst nehmen.
Zu diesem Schluss kommt übrigens auch die Wissenschaft. Ein neues Paper zu Impact Investing der Universität Hamburg zeigt, dass Impact in einzelnen ESG-Kategorien nicht aufsummiert werden sollte. Anhand des vorherigen Beispiels erklärt: Die Nachhaltigkeit der Biobaumwolle sollte nicht mit der Nachhaltigkeit der Arbeitsbedingungen in einem Rating zusammengefasst werden, weil dann eben wichtige Informationen verloren gehen. Anhand eines übergreifenden Nachhaltigkeitsratings wird nicht ersichtlich, dass ein Unternehmen im Bereich der ökologischen Nachhaltigkeit gut abschneidet, bei der sozialen Nachhaltigkeit aber eben nicht. Für eine ganzheitliche Nachhaltigkeitsbetrachtung und expliziten Impact ist aber genau diese differenzierte Betrachtung wichtig.