Es ist morgens sieben Uhr, es ist dunkel. Weisser Nebel schluckt die Geräusche der Strasse. Die Rosskastanien im Hof sind die ersten, die ihr Blätterkleid ablegen. Schon seit Wochen ziehen die Bäume ihre Kraft zurück. Lassen fallen, was sie nicht mehr brauchen. Wenn sich auch bei uns Menschen das Leben wieder nach Innen zurückzieht, führt das bei mir unweigerlich zu einer Bestandsaufnahme, dem Drang das Leben zu entrümpeln. Jede Schublade wird umgedreht. Das war schon so, lange bevor Marie Kondo ihren Siegeszug durch Schränke und verramschte Garagen der Wohlstandsgesellschaften dieser Welt antrat. Ich nehme jeden Gegenstand in die Hand. Brauche ich ihn? Mag ich ihn? Verbinde ich eine Erinnerung damit? In einer idealen Welt treffen alle drei Punkte zu.
Doch die Welt ist meist nicht ideal. Also sitze ich jeden Herbst wieder vor Dingen, die wir nicht brauchen, die mir in materialisierter Form die eigenen Unzulänglichkeiten der vergangenen Monate aufzeigen: Die zu klein bestellte Regenjacke für den Waldtag der Tochter, es war keine Zeit mehr, um sie umzutauschen. Und noch weniger, in den Laden zu gehen. Das kaputte Plastikfernrohr aus dem Bussi-Bär-Heft vor der Kasse im Grossverteiler, weil ich an diesem Tag keine Kraft für ein Nein hatte. Aber auch der Nussholztisch in der Küche, der eigentlich viel zu gross ist, wenn auch erst vor vier Jahren gekauft, auf dem sich täglich wieder neu Dinge sammeln, die dort nicht hingehören...
Dennoch, kommen Gäste zum ersten Mal zu uns, heisst es oft: Oh, ihr habt ja so wenig Sachen. Und ich finde dann meist, dass es eben doch immer noch sehr viele sind. Ich fühle ich mich dann schuldig, weil ich mir denke, dass eben auch schon wieder überheblich ist, sich mit ungenutzter Fläche in einer Wohnung zu umgeben, mitten in einer Stadt, in der Wohnungsnot herrscht. Am Ende führt der Weniger-ist-mehr-Trend zu einem gigantischen Rebound-Effekt. Wenn zuerst Besitz angehäuft und dann wieder losgeworden wird. Und wieder Platz für Neues entsteht. Auch eine Form, wie man einen übersättigten Markt immer und immer und immer wieder neu bespielen kann…
Daran denke ich, wenn ich den weissen Müllbeutel zuschnüre, ihn in den modrig riechenden Herbstmorgen hinaustrage. Und mir schwöre, nur noch wertige Dinge zu erstehen, für die man vielleicht eine Weile sparen muss, die sich dafür aber reparieren lassen, die für ein Leben lang gemacht sind. Und dann denke ich, dass doch eigentlich alles da ist. Ein zu grosser Nussbaumtisch in der Küche zum Backen. Regale voll mit zu lesenden Büchern, vielleicht sogar nach einigen Jahren ein weiteres Mal. Ein Bastelkeller voller Bastelsachen.
Ja, es ist alles da. Bis auf die Zeit, es zu nutzen.