Brütende Hitze, der gärende Geruch der gefüllten Mülltonnen. Ich spüre Erleichterung beim dumpfen Aufschlagen der weissen Säcke. Ein wenig fühle ich mich wie eine Mörderin aus einer Geschichte von Patricia Highsmith, die über Tage hinweg eine zersägte Leiche in Plastikbeutel packt und in der Tonne verschwinden lässt.
Und auch, wenn es sich «nur» um Abfall handelt, so habe ich doch ein schlechtes Gewissen, gegenüber all den Dingen, die sich angesammelt haben. Dinge, die keine brauchbare Funktion haben. Dinge, die überall herumliegen. Dinge, die zu klein oder zu gross sind oder zerlöchert.
Viel zu viele Dinge, die einen müde machen. Die man gar nie wollte. Dinge, die sich in fast jedem Haushalt mit Kindern sammeln, jeden und jeden und jeden Tag aufs Neue. Inklusive unzählige Zeichnungen, mit viel Liebe und Zeit hergestellt. Kleine Gesichter mit schiefem Lächeln, Wölfe und Elefanten, über denen Regenbogen leuchten. Aber wohin damit?
Was keinen Nutzen hat, macht schwer. Verkrustet den Alltag. Besonders dann, wenn die Besitztümer mit Gefühlen und Wünschen beladen und aufgeladen sind, wenn sie zu Monumenten der Erinnerung werden.
Erinnerung schränkt ein, zwingt uns in Schonhaltung, wenn wir sie nicht pflegen. Und so wird der Gang in den Keller zu einer Reise durch die Zeit. Durch ein Universum an genutzten – oder eben ungenutzten Möglichkeiten.
Da gibt es Schlafsäcke aus Daunen und Ultraleicht-Matten, die nie über die Alpen getragen wurden. Das getupfte Sommerkleid, das sich mit mir durch drei Schwangerschaften dehnte und streckte. Mintgrüne Stiefeletten aus dem Berlin der frühen Nullerjahre, die seit Jahren keinen Dancefloor mehr gesehen haben, weil sie Blasen an den Füssen machen. Aber eben …
Ich denke an die gigantische Informationsflut, die jeden Tag auf uns einströmt. Und die wir verarbeiten müssen. Die Neurowissenschaft geht davon aus, dass wir pro Sekunde mit 11 Millionen Sinneseindrücken konfrontiert sind. Wirklich bewusst verarbeiten wir aber nur gerade mal 0,0005 Prozent, wie die Universität Luzern in einem Artikel schreibt.
Unser Gehirn reduziert somit die Informationen, die in unser Bewusstsein gelangen, radikal. Ganz unbewusst entwickeln wir mentale Abkürzungen und Daumenregeln. Sie sind es, die unser Leben erleichtern. Wir können durch sie Situationen schneller erfassen und in nützlicher Zeit Entscheidungen fällen. Natürlich helfen Konzepte, natürlich hilft die Erfahrung. Und doch bleibt es eine lebenslange Suche nach einer Formel, irgendeiner Formel, die es uns erlaubt, in der Welt, in die wir hineingeboren sind, zurechtzukommen.
Und dann blitzt es wieder auf, das schlechte Gewissen, gerade keine anderen Probleme zu haben als ein von Erinnerungen verkrustetes Kellerabteil in einem sanft sanierten Altbau am Fusse des Zürichbergs. Wir sind weder auf der Flucht vor autoritären Regimen, noch ist das Haus von einer Jahrhundertflut überschwemmt worden.
Es stellt sich eigentlich nur die eine Frage: Was halte ich fest, was lasse ich los? Zumindest für die Kinderzeichnungen habe ich eine Lösung gefunden. Eine Art Heimatschutz, für jede Epoche wird eine Stellvertreterin ausgewählt, in einem Portfolio gesammelt. Und die anderen, die bündle ich zwischen den Zeitungen.