Kennt ihr den Begriff «Truther»? Er wurde nach den Terroranschlägen von 9/11 populär und bezeichnet Menschen, die glauben, hinter den Informationen in Medien und Politik eine geheime Wahrheit zu erkennen.
Truther sehe ich auch in der Debatte um Nachhaltigkeit in der Wirtschaft. Nennen wir sie Greenwashing Truther. Greenwashing Truther wittern hinter allen Nachhaltigkeitsversprechen von Unternehmen Lug und Trug. Was Unternehmen grün nennen, nennen sie Greenwashing. Mit anderen Worten: Sie werfen Unternehmen vor, Nachhaltigkeit immer nur vorzutäuschen, um mit einem grünen Deckmäntelchen den Umsatz zu steigern.
Grundlage für dieses Misstrauen ist oft die Überzeugung, dass sowieso alles, was Unternehmen tun, immer nur Abzockerei und Ausbeutung unter dem Vorwand der Wertschöpfung und Wohlstandserzeugung ist. Nachhaltigkeitsversprechen sind für Greenwashing Truther nur eine Fortsetzung der Lügen mit anderen Mitteln. So richtig auf die Palme bringen diese Truther vor allem Unternehmen, die explizit mit Nachhaltigkeit werben oder die behaupten, dank Nachhaltigkeit erfolgreich zu sein. Truther finden: Das kann, darf und soll nicht sein.
Eine gewisses Skepsis ist angebracht
Greenwashing Truther haben durchaus recht: Ein «gesundes» Misstrauen gegenüber «Ethik-Marketing-Claims» ist angebracht. Gerade im Kontext von Nachhaltigkeit versprechen Unternehmen gerne das Blaue vom Himmel, ohne dass die Welt dadurch auch nur ein bisschen grüner wird. Firmen sind teilweise sehr charmant und kreativ, wenn es darum geht, dank Nachhaltigkeit ihren Absatz zu steigern.
Wir runzeln zu Recht die Stirn, wenn behauptet wird, dass wir mehr konsumieren müssen, damit die Welt besser wird. Etwa nach dem Motto: «Du kaufst ein T-Shirt, wir pflanzen einen Baum.» Solche Tricks maximieren vor allem T-Shirt-Verkäufe. Man fühlt sich fast schon schlecht, wenn man das Angebot nicht annimmt, weil dann ja irgendwo ein Baum fehlt. Diese Art von Werbung ist ein Beschiss. Denn letztlich wissen wir alle, dass der beste Konsum für die Umwelt derjenige Konsum ist, der nicht stattfindet. Aber ohne Konsum können wir nicht leben. Das wissen auch die radikalsten Truther.
Wir müssen differenzieren
Ich persönlich weigere mich aber, zu glauben, dass alle Unternehmen immer und überall lügen. Wer behauptet, dass Unternehmen das tun, impliziert damit, dass auch die Menschen in diesen Unternehmen lügen. Das sind aber die gleichen Menschen, denen wir als Freund:innen, Eltern, Töchter, Söhne, Geschwister, Nachbar:innen etc. vertrauen. Wie stellen wir uns das vor? Privat verhalten sich die meisten Menschen rücksichtsvoll, verfolgen nicht ausschliesslich egoistische Zwecke und gehen liebevoll mit ihren Nächsten um. Aber wenn sie das Büro, den Laden oder die Fabrik betreten, werden sie zu blinden Mitläufer:innen oder gar zu eiskalten Monstern? Das Blanko-Misstrauen der Greenwashing Truther gegenüber der Wirtschaft ist ein Affront gegenüber allen, die irgendwie in diese Wirtschaft involviert sind. De facto gegenüber uns allen.
Ich finde es auch nicht per se verwerflich, wenn Unternehmen mit Nachhaltigkeit Gewinn erzielen. Wenn wir davon ausgehen, dass Unternehmen einen gewissen Anteil an Gewinn erzeugen müssen, um zu bestehen, dann ist es mir lieber, sie tun das mit Nachhaltigkeit als ohne. Hauptsache, sie werfen Nachhaltigkeit nicht als erstes über Bord, wenn das Geschäft mal harzt. Genau dieses Verhalten fördern Truther aber, wenn sie jedes Mal, wenn ein Unternehmen mit Nachhaltigkeit wirbt, Greenwashing schreien. Insgesamt macht ihre Haltung die Welt keinen Deut besser.
Vor allem aber: Was bedeutet es, wenn wir die Logik der Greenwashing-Truther zu Ende denken? Konsequenterweise müssten dann Unternehmen, die das Motto «Geiz ist geil» leben, eher vertrauen als jenen, die sagen: «Bei uns ist das gute Gewissen Teil vom Produkt.» Denn Erstere sind gemäss Truthern entwaffnend ehrlich, während Letztere garantiert lügen.
Letztlich bieten Truther mit ihrer Behauptung, dass Unternehmen pauschal lügen, eine Steilvorlage, um sich selbst von jeder Verantwortung freizusprechen. Wenn alle Unternehmen lügen, kann ich ja eh nichts richtig machen. Also darf ich alles falsch machen. Ist zwar bequem. Aber will ich das auch?