Sinnstiftend, nachhaltig und sicher sollen sie sein – die sogenannten Green Jobs boomen. Auf der ganzen Welt versuchen Staaten, ihre Wirtschaft umzukrempeln, um die Klimaziele zu erreichen. Dies treibt auch die Schaffung neuer grüner Arbeitsplätze voran. Die Internationale Arbeitsorganisation ILO rechnet damit, dass es allein für die Umsetzung des Pariser Klimaabkommens bis 2030 weltweit rund 18 Millionen davon braucht.
Die grünen Arbeitsplätze entstehen laut einer Studie von PwC vorwiegend in der Energie- und Versorgungswirtschaft, im Bausektor und im verarbeitenden Gewerbe. Nebst ihrer Wichtigkeit zur Erreichung der Klimaneutralität haben diese Sektoren noch eine andere Gemeinsamkeit: Sie beschäftigen mehrheitlich Männer. In der gesamten OECD sind über 31 Prozent der männlichen und nur 11 Prozent der weiblichen Arbeitskräfte in diesen drei Sektoren tätig. Insofern wird sich die Schaffung neuer Green Jobs stärker auf die Gesamtbeschäftigung der Männer auswirken. Peter Gassmann, ESG-Leiter bei PwC, schreibt: «Um neben dem Gender-Pay-Gap einen zusätzlichen Green-Job-Gap zu verhindern, sind Wirtschaft und Politik gefordert, innerhalb der aktuellen ESG-Transformation die Gleichberechtigung und Repräsentation von Frauen in der Arbeitswelt zu verbessern.»
Jungunternehmerinnen revolutionieren den Strommarkt
Eine Massnahme, um diesen Green-Job-Gap zu verhindern, ist laut der Studie die finanzielle Förderung von Unternehmerinnen, die Klimaschutzprojekte leiten. Liliane Ableitner und Anselma Wörner gehören zu diesen Unternehmerinnen. Die Wirtschaftsinformatikerin und die Wirtschaftsingenieurin haben sich während ihres Doktorats an der ETH Zürich kennengelernt. Aus einem Forschungsprojekt ist das Unternehmen Exnaton entstanden. Wörner erinnert sich: «Damals wurde uns gesagt, dass der Markt für unser Produkt noch nicht bereit ist. Die Ergebnisse aus unserem Pilotprojekt haben uns aber überzeugt, sodass wir im Juli 2020 Exnaton gegründet haben.»
Mit Exnaton wollen die beiden Jungunternehmerinnen den Strommarkt in Europa revolutionieren. Liliane Ableitner, die in der Rolle der CEO für die Marktbearbeitung und Produktvision von Exnaton verantwortlich ist, erklärt: «Unsere Software ermöglicht es, nachhaltig produzierten Strom in lokalen Energiegemeinschaften zu handeln.» Konkret können Hausbesitzer mit einer Solaranlage auf dem Dach ihren überschüssigen Strom lokal vermarkten. Mithilfe der Software von Exnaton können Nachbarn, die beispielsweise in einer Mietwohnung leben und keine Solaranlage haben, diesen Strom kaufen und nutzen. Technisch wird das lokale Verteilnetz für die Übertragung des Stroms verwendet.
Viele Länder in Europa haben bereits neuartige Tarifmodelle angekündigt, die es Konsument:innen in Energiegemeinschaften nun erlauben, Geld einzusparen, während Stromproduzent:innen weniger abhängig von der heute starren Einspeisevergütung sind und möglicherweise mehr für ihren Strom bezahlt bekommen als bisher. Ableitner ergänzt: «Das ist eine Win-Win-Situation. Die Produzent:innen können ihren Strom zu einem flexiblen Preis verkaufen, je nachdem wie viel Strom sie gerade produzieren. Gleichzeitig können die Abnehmer:innen nachvollziehen, woher der Strom tatsächlich kommt, und ihren Beitrag zur Energiewende leisten.» Im Vergleich zu beispielsweise Grünstromprodukten von grossen Energiefirmen verbrauchen die Abnehmer:innen bei Exnaton den grünen Strom auch tatsächlich, nicht nur auf dem Papier.
Mit seinem Produkt konnte das Start-up auch bereits erste Energieversorger überzeugen. Wörner erklärt: «Immer mehr private Stromkonsument:innen werden zu Stromproduzent:innen. Das bedeutet, sie werden künftig auch weniger Strom von den grossen Energiefirmen kaufen. Das traditionelle Geschäftsmodell von Energieversorgern ist demnach im Wandel, deshalb versuchen diese, sich umzuorientieren.»
Weiblicher Fachkräftemangel
Die beiden Unternehmerinnen spüren immer wieder, dass sie als Frauen in der Energiebranche zu einer Minderheit gehören. Ableitner erzählt: «Ich erinnere mich an ein Kundengespräch, an dem ich mit unserem dritten, männlichen Mitgründer Arne Meeuw unterwegs war. Vor ein paar Herren habe ich den ganzen Start-up-Pitch vorgetragen. Danach richteten sich die Fragen aus dem Publikum aber ausschliesslich an meinen Geschäftspartner Arne. Das war kein schönes Gefühl.» Wörner ergänzt: «Wir werden auch regelmässig an Start-up-Events aus der Energiebranche eingeladen. Unter den Gründern sind fast ausschliesslich Männer.»
Doch auch beim Rekrutieren für eigene Mitarbeitende im technischen Bereich fällt der Mangel weiblicher Fachkräfte auf. Wörner, die bei Exnaton als Chief Operating Officer auch für die Rekrutierung von Personal verantwortlich ist, sagt: «Wir sind immer wieder auf der Suche nach Software-Ingenieur:innen. Obwohl wir diese Stellen auch sehr gezielt auf FemTech-Netzwerken ausschreiben, erhalten wir von hundert Bewerbungen circa fünf Bewerbungen von Frauen.» Das sei schade, denn die beiden Gründerinnen sehen den Aufbau ihres zwölfköpfigen Teams als einer der grössten Erfolge: «Es macht uns stolz, dass wir interessante und sinnstiftende Arbeitsplätze schaffen und zeigen können, dass es coole Anwendungsbereiche für Technologie gibt.»
Damit sich künftig auch mehr Frauen für die Energiebranche und technische Berufe im Allgemeinen interessieren, würde Ableitner bereits in der Primarschule ansetzten: «Ich wünsche mir, dass Mädchen schon im frühen Kindesalter ermutigt werden, sich mit technischen Fragestellungen auseinanderzusetzen. Wir können Stereotypen nicht früh genug aus dem Raum schaffen.»
Grüne Arbeitsplätze – gute Arbeitsplätze?
Diesen Ansatz befürwortet auch Beate Littig. Sie ist Soziologin am Institut für Höhere Studien in Wien und forscht schon seit Jahrzehnten zum Thema Ökologie und Arbeit. Allerdings sei die Förderung von Frauen in MINT-Fächern nicht die einzige Stellschraube: «Grüne Jobs beschränken sich nicht mehr nur auf Kernbranchen wie zum Beispiel die Energiewirtschaft. Es ist ein sehr breites Segment der Wirtschaft davon betroffen.» Auch die Internationale Arbeitsorganisation ILO und das Statistische Amt der EU zählen in ihren Statistiken alle Jobs zu den grünen, die zur Erhaltung und Wiederherstellung der Umwelt beitragen. Dazu gehören auch Jobs in der Abwasser- und Abfallentsorgung, der Landwirtschaft sowie im Handel.
Das Problem sei vor allem, dass Frauen nicht in den guten Green Jobs tätig sind. Littig erklärt: «Damit meine ich gut bezahlte Arbeitsplätze, mit Aufstiegschancen und Weiterbildungsmöglichkeiten. Die gibt es in erster Linie in technischen Bereichen, in denen vor allem Männer zu finden sind.» Gemäss Littig sind deshalb auch Berechnungen, die neue grüne Arbeitsplätze versprechen, mit Vorsicht zu geniessen: «Im Handel beispielsweise wird der mit grünen Produkten erzielte Umsatz in Arbeitsplätze umgerechnet. Nur weil eine Verkäuferin an der Supermarktkasse neuerdings Bioprodukte verkauft, ist noch keine neue grüne Arbeitsstelle geschaffen worden. Geschweige denn eine gute Arbeitsstelle.»
Keine Nachhaltigkeit ohne Geschlechtergleichstellung
Littig hält deshalb die Diskussion rund um Green Jobs in spezifischen Segmenten für überholt. «Aus meiner Sicht sollte es darum gehen, die gesamte Wirtschaft nachhaltiger zu gestalten. Und Nachhaltigkeit erhebt auch die Forderung, gendergerecht zu sein. Das ist in Einklang mit den UN Sustainable Development Goals. Das SDG 8, wo es um ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum geht, benennt explizit die Geschlechtergleichstellung in der Arbeitswelt.» Aus Sicht der Soziologin sollte deshalb der gleichberechtigte Zugang zur Arbeit sowie die Verbesserung der Arbeitsbedingungen für alle Arbeitsplätze im Fokus stehen. Sie fordert: «Für weibliche Arbeitskräfte braucht es vor allem bessere Einstiegsmöglichkeiten, mehr Flexibilität und mehr Zeit für Weiterbildungen. Es macht auch auf wirtschaftlicher Ebene Sinn, Arbeitnehmer:innen aus prekären Arbeitsbedingungen rauszuholen und Voraussetzungen zu schaffen, damit diese sich bei Bedarf neu orientieren und eine andere Karriere machen können.»
Eine weitere Studie von PwC bestätigt, dass sich Frauen im Vergleich zu Männern weniger bereit fühlen, grüne Arbeitsplätze anzunehmen, unter anderem aufgrund eines wahrgenommenen Qualifikationsdefizits. Laut Littig sei deshalb das Ziel, die Arbeitsbedingungen in allen Feldern so zu verbessern, dass Frauen und Männer gerüstet sind, um die Arbeitsplätze und Chancen in der grünen Wirtschaft zu nutzen.