Bei 1,5 Grad kriegen die einen kalte Füsse, die anderen rote Köpfe – und über keine Zahl wurde in den letzten zwei Wochen an der 26. UN-Klimakonferenz COP26 in Glasgow hitziger debattiert. Gemeint ist damit das mit dem Übereinkommen von Paris definierte 1,5 Grad-Ziel, das bis 2050 durch das Netto-Null-Prinzip erreicht werden sollte. Nur so könnte die von Menschen gemachte Klimaerwärmung begrenzt werden.
Am Ende des Mammuttreffens kam es aber nur zu einer Mini-Einigung. Die rund 200 beteiligten Staaten konnten sich zwar darauf einigen, dass der Ausstoss fossiler Energieträger allmählich gesenkt wird, aber der ursprünglich geforderte Kohleausstieg kam nicht zustande. China und Indien haben in letzter Minute eine Umformulierung erwirkt und damit das 1,5 Grad-Ziel deutlich abgeschwächt.
Da schüttelt nicht nur Bundesrätin Simonetta Sommaruga den Kopf, welche stellvertretend für die Schweiz in Glasgow verhandelt hat. Das Resultat sei «nicht wirklich zufriedenstellend», sagte sie in einer Videobotschaft auf Twitter.
Collective Action Problem
Seit Jahrzehnten wissen wir alle, dass es schlecht ums Klima steht. Dennoch scheinen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft nicht richtig in die Gänge zu kommen. Warum ist das so und was hält die verschiedenen Gruppen davon ab, endlich zu handeln?
Die Resultate aus Glasgow veranschaulichen einmal mehr, was der Ökonom Mancur Olson bereits 1965 in seinem Werk «The Logic of Collective Action» als Collective Action Problem bezeichnet hat. Es gibt zwar immer wieder Bestrebungen, als Gruppe eine Lösung für ein gemeinsames Problem zu finden, von der langfristig alle profitieren würden, erfolgreich sind diese aber selten.
So stören nach Olson die «Free Rider» den Gruppenerfolg. Nehmen wir das Beispiel eines Bergbauern. Er weiss, dass sein dieselbetriebener Vierradantrieb der Natur nicht gut tut. Ohne das Vehikel könnte er sich aber nicht effizient fortbewegen und seine Arbeit verrichten. Sein persönliches, wirtschaftliches Interesse - das durchaus rational ist - steht im Vordergrund und ist ihm näher als das gemeinschaftliche Wohl.
«Leider werden die nationalen Wirtschaftsinteressen immer noch höher gewertet als unser kollektives Bedürfnis nach Schutz von Klima und Umwelt», münzt Daniella Nosetti-Bürgi diesen Mechanismus auf die Politik um. Die Psychotherapeutin ist Teil der «Psychologists for Future», einer 2019 in Deutschland entstandenen Vereinigung von Fachmenschen, die sich für den Klimaschutz einsetzen. Die Psychologin ist überzeugt: «Das Handeln des Kollektivs beginnt beim Einzelnen.»
Die Überforderung der Einzelnen
Tatsächlich überfordert dieses Handeln manche Menschen im Alltag. Psychologinnen beobachten vor allem drei Phänomene. Einige verhalten sich klimafreundlich. Oft steht dahinter allerdings die Angst vor der Umweltkatastrophe, die auch als «Eco-Anxiety», bezeichnet wird. Diese Furcht bringt Menschen dazu, Abfall zu trennen, weniger Fleisch zu essen, mit Bambusbürsten die Zähne zu putzen oder sich vorwiegend mit dem Velo oder ÖV fortzubewegen.
Andere wiederum wollen oder schaffen es nicht, klimafreundlich zu leben. Sie sehen es nicht ein, warum sie ihre Gewohnheiten ändern sollten. Sie haben es schon immer so gemacht - und nützen würde es ja doch nichts. Dieses Verhalten nennen Psychologen den «Sunk-Cost-Effekt».
Aber auch ein drittes Verhalten verhindert den klimafreundlichen Fortschritt und nennt sich die «Single Action Bias»: Wer zum Frischhalten von Speisen statt Plastikfolie Bienenwachstücher verwendet, hat oft den Eindruck, vermeintlich schon viel für das Klima zu tun und ist dafür an anderer Stelle weniger konsequent.
Klimasorge und Burnout
"Wir müssen von der Vorstellung wegkommen, dass wir als Individuen diese Krise schon richten können”, stellt Fina Girard klar. Die Co-Präsidentin des Jungen Grünen Bündnis Basel und Studentin der Politik- und Religionswissenschaften erklärt, dass die Bedrohung im Alltag nicht immer akut sei, weshalb man das Ohnmachtsgefühl gerne einfach wegstecke.
Girard unterdrückte die mit dem Klima verbundene Verzweiflung lange. Das Gefühl der sogenannten Klimasorge kannte die heute 20-Jährige schon als Jugendliche. Ein Phänomen, das unter jungen Menschen immer öfter Verbreitung findet. Erleichterung erfuhr sie erst 2018, als sich mit den von Greta Thunberg weltweit initiierten Schul- und Klimastreiks kollektiv etwas in Bewegung setzte.
Es tat ihr gut, sich als Teil eines grossen Ganzen zu verstehen, endlich auch gehört zu werden. Doch ihre neu gewonnene Energie schlug bald in Wut um: «Ich investiere politisch viel in die Klimabewegung und trotzdem bewegt sich so wenig. Das Kernthema wird auf allen Ebenen ignoriert. Das macht mich rasend», erklärt sie.
Auch die Umweltwissenschaftlerin und Extinction-Rebellion-Aktivistin Alexandra Gavilano schaut mit ihren 32 Jahren auf eine bewegte Klimakarriere zurück. Mit Anfang 20 erlitt sie deswegen ein Burnout. "Heute würde man es wohl Klimadepression nennen", sagt die Schweiz-Peruanerin. Bereits im frühen Kindesalter lernte sie, was Armut und Umweltzerstörung im Land ihres Vaters bedeutete. Und wie unter anderem Schweizer Bergbaufirmen die Natur ausbeuteten. "Viele Jahre schwelte deshalb Wut in mir, auch auf meine Schweizer Landsleute, die sich trotz des Wohlstands immer noch beklagten und keine Verantwortung für die in der Schweiz ansässigen Multinationalen übernahmen", erklärt sie.
Gavilano hat das Burnout überwunden. Seit 2019 setzt sie sich zusammen mit Gleichgesinnten bei Extinciton Rebellion für den Umweltaktivismus ein. «Sich gemeinsam weiterzuentwickeln ist wichtig», erklärt die Wissenschaftlerin.
Comeback des Wir-Bewusstseins
Damit sie sich beim Einsatz für eine gute Sache nicht verausgaben, haben sowohl Fina Girard als auch Alexandra Gavilano eine ähnliche Strategie gefunden. Letztere organisiert wöchentliche Empathiekreise, während erstere auf achtsames Abgrenzen vom Klimastress achtet.
Um auf politischer Ebene eine Lösung zu finden, geht die Psychologin Daniella Nosetti-Bürgi von ähnlichen Prämissen aus: "Die Politik ist immer noch von Egozentrik, narzisstischer Selbstdarstellung sowie persönlichen und nationalen Machtbedürfnissen geprägt." Gerade deshalb aber regt sie zum Umdenken an: «Was wir brauchen ist ein Wir-Bewusstsein. Dieses Gefühl, dass wir mit allem vernetzt sind und deshalb gemeinsam die Verantwortung für unseren Planeten tragen». Mit dieser Haltung, die beim Einzelnen und lokal ansetze, könne man sich auch politisch auf Gemeinschaftswerte und Kooperation zurückbesinnen.