Bettina Hanimann ist Kaffeerösterin, Kaffee-Consultant und «Swiss Cup Tasters Champion 2024». Im Money Talk spricht sie über die wirtschaftlichen Seiten von Kaffee, wie sie selbst dazu kam – und warum sie einmal fast reich geworden wäre.
Bettina, du bist frische «Swiss Cup Tasters Champion 2024». Was hast du in dieser Competition gemacht?
Ich habe Kaffee analysiert (lacht). Das kann man sich so vorstellen, dass ich jeweils ein Set von drei Tassen Kaffee vor mir hatte. Zwei Tassen waren gleich und eine war anders. Ich musste möglichst schnell herausschmecken, welche Tasse sich unterscheidet. In einer Runde machst du das acht Mal, und die Competition hatte insgesamt drei Runden.
Wie schwierig war es für dich, die Unterschiede herauszuschmecken?
Wenn man nicht nervös ist, ist es nicht schwierig. Schwierig wird es erst, wenn die Nervosität hinzukommt. Das verändert deine Sinneswahrnehmungen. Ich war in den ersten zwei Runden sehr nervös und im Finale nicht mehr. Aber es war definitiv das letzte Mal, dass ich teilgenommen habe. Du darfst mich gerne zitieren (lacht).
Wie bist du überhaupt zum Kaffee gekommen?
Für mich war nach einer Reise durch Australien klar, dass ich selbstständige Kaffeerösterin werden wollte. Allerdings hat es einige Jahre gedauert, bis ich den Mut fand, meinen Job bei einer Grossbank zu kündigen. Danach habe ich von Null auf im Musterzimmer eines Kaffeehändlers angefangen, um mein Kaffeewissen aufzubauen. Dort wird der Kaffee physisch und sensorisch analysiert. Da habe ich regelmässig «gecuppt» (Anm. d. Red.: Beim «Cupping» brüht man frisch gerösteten Kaffee auf und bestimmt seine Aromen.) Eine Ausbildung zur Kaffeerösterin gibt es in dem Sinne nicht.
Wie ging das finanziell für dich auf?
Ich hatte Erspartes von meiner Zeit bei der Bank. Davon habe ich gelebt. Aber Business-Flüge und mein 1.-Klasse-GA lagen definitiv nicht mehr drin. Ich habe aber festgestellt, dass ich grosszügiger geworden bin, seit ich weniger Geld habe.
Woran, denkst du, liegt das?
Wenn man viel Geld verdient, hat man einen bestimmten Standard, den man halten will. Man denkt, dass es ohne das Geld nicht geht. Wenn es weg ist, merkt man, dass es mit viel weniger geht und dass Geld allein nicht Sicherheit gibt.
Kaffeebohnen können alles kosten: von 12 Franken im Detailhandel für ein Kilogramm Bohnen bis zu 1000 Dollar für 500 Gramm. Wie erklären sich diese Preisunterschiede?
Kaffee ist ein Rohstoff, der an der Börse gehandelt wird. Dementsprechend schwanken die Preise. Dabei gibt es zwei Extreme: Grosse Händler kaufen den Kaffee ein Jahr im Voraus, zu günstigeren Preisen und in Baskets; sie kaufen also keinen Kaffee aus Mexiko, sondern Kaffee aus Zentralamerika mit einem bestimmten Geschmacksprofil. Der Kaffeehändler schaut dann, wo er die günstigsten und passendsten Bohnen findet.
Und was ist das andere Extrem?
Das andere Extrem ist, wenn man mit Bauern direkt handelt. Gerade Specialty Coffee wird ausserhalb der Börse gehandelt oder nur zu einem Aufpreis. Das sozial Nachhaltigste ist, wenn man langfristig über mehrere Jahre mit einem Kaffeebauern zusammenarbeitet, den Kaffee zu einem fixen Preis kauft und sowohl die guten als auch die schlechten Bohnen kauft. So hat der Kaffeebauer Sicherheit, und man kann als Rösterei ebenfalls planen.
Aber wie kommt es, dass 500 Gramm Kaffee 1000 Franken kosten können?
Manchmal gibt es Regionen, die per se teurer sind. Die Varietät Geisha, die etwa so viel kostet, ist vor rund 20 Jahren bei einer «Cup of Excellence»-Veranstaltung aufgetaucht und hat alle überrascht: Sie behält, egal auf welchem Boden, auf welcher Höhe und mit wie viel Sonneneinstrahlung sie wächst, ihr typisches Jasmin-Aroma. Es war eine Sensation, ein Geschmacksprofil aus Ostafrika in Zentralamerika vorzufinden. Das Ganze wurde natürlich auch gut vermarktet.
Abgesehen von so speziellen Kaffees: Findest du die Preise, die wir für Kaffee bezahlen, angemessen?
Teilweise finde ich es frech, was verlangt wird für Kaffee. Vor allem, wenn die Qualität nicht stimmt. Aber grundsätzlich, wie bei den meisten Lebensmitteln, ist Kaffee zu billig für den Aufwand, der dahintersteckt.
Was meinst du damit?
Wenn die Preise die realen Kosten abbilden würden, würde eine Tasse Kaffee schätzungsweise 10 bis 12 Franken kosten. Insbesondere, wenn man die Ökobilanz mit einberechnet. Kaffee hat überhaupt keine gute Ökobilanz, weder beim CO2-Ausstoss – er muss ja aus bestimmten Regionen eingeflogen werden – noch beim Wasserverbrauch.
Wären Schweizer:innen denn deiner Meinung nach bereit, für guten Kaffee mehr zu bezahlen?
Ich glaube, nicht wirklich. Viele Menschen trinken Kaffee nicht als Genussmittel, sondern aus Gewohnheit oder als Aufputschmittel. Dass manche zehn Tassen am Tag trinken, ist in meinen Augen ziemlich verschwenderisch.
Stimmt, Kaffee war ursprünglich ein Luxusgut.
Ja, früher hat man grüne Kaffeebohnen in der Apotheke gekauft und zu Hause auf dem Herd in der Pfanne geröstet. Dann hat man zusätzliche Gewürze dazu getan und pro Tasse vielleicht zwei bis drei Bohnen gebraucht. Heute werden rund 10 Gramm, also etwa 18 Bohnen, in einem Espresso komprimiert.
Wie realistisch ist es bei diesen Preisen eigentlich, dass die Kaffeebauern fair entlöhnt werden?
Das ist eine Frage, die ich immer wieder gestellt bekomme. Ich denke dann immer: Ja werden denn auch die Röster:innen fair entlöhnt? Man kann diese Frage nicht standardmässig beantworten. Das Kaffee-Business ist sehr alt und Kaffee ein globales, vernetztes Produkt. Vielleicht schafft man es mal mit neuen Technologien, das Geschäft gerechter zu machen, aber vermutlich nicht einmal das. Und: Wir reden sehr oft über Geld, aber eigentlich sollte Geld nicht der einzige Faktor sein, an dem man Wohlstand misst.
Was meinst du damit?
Wir westlich geprägten Menschen meinen oft, wir wüssten, was richtig und was falsch ist. Aber den Kaffeebauern geht es nicht schlecht, weil wir zu wenig bezahlen, sondern weil wir das System kaputt gemacht haben, in dem sie leben. Die grosse Schwierigkeit ist, dass Kaffeebauern nicht vorausplanen können. Es würde sehr viel Entspannung bringen, wenn Kaffee einen Fixpreis und eine garantierte Abnahme hätte.
Du hast vorhin auch die finanzielle Situation von Röster:innen angesprochen. Wie viel Geld hast du in deine Selbstständigkeit investiert?
Kapitalsmässig war es überschaubar. Ich habe zwischen 60’000 und 70’000 Franken investiert. Für den Raum, eine Röstmaschine, Rohkaffee, Abpackmaterial und etwas Gas.
Konntest du dir am Anfang einen Lohn auszahlen?
Es ist wie bei jedem Start-up. Zuerst arbeitet man ohne Lohn – natürlich mit dem Gedanken, dass man sich irgendwann einen Lohn auszahlt, Gewinn erwirtschaftet oder die Firma verkauft.
Kannst du heute davon leben?
Ja, ich kann davon leben. Dazu muss ich sagen, dass ich einen relativ tiefen Lebensstandard habe. Ich bin sehr minimalistisch unterwegs und lebe mit meinem Freund in einer Einzimmerwohnung. Jetzt, im dritten Jahr, komme ich langsam in den Bereich, in dem die Rösterei funktioniert und ich mir einen Lohn auszahlen kann. Keinen riesigen, aber so viel, dass ich leben kann.
Wie viel zahlst du dir aus?
Bis letzten November habe ich mir 2000 Franken im Monat ausbezahlt.. Mittlerweile bin ich bei 3600 Franken im Monat. Ich arbeite offiziell 80 Prozent. Inoffiziell sind es aber 120 Prozent.
Gab es Momente, in denen du neidisch warst auf den Lohn von Freund:innen?
Nein, eigentlich nicht. Klar würde ich einen höheren Lohn nehmen, aber neidisch war ich nicht. Sie werden teilweise sehr eingenommen von ihrer Arbeit. Ich würde nicht tauschen wollen.
Was macht für dich einen guten Kaffee aus?
Ich persönlich trinke am liebsten Filterkaffee, weil dieser Kaffee sehr hell geröstet wird. Man schmeckt den Ursprung der Bohne besser und kann mehr über die Qualität der Bohne sagen. Aber natürlich ist das Drumherum nicht zu unterschätzen: Mit wem du an welchem Ort bist, welche Geräusche du um dich hast oder wie du dich grundsätzlich fühlst.
Sehr ganzheitlich.
Ja, man sagt, man hat im Leben drei Kaffee-Momente, in denen man den Kaffee trinkt und richtig geflasht ist. Das ist sicher ein perfekt extrahierter Kaffee, aber auch die Umgebung.
Letzte Frage: Hast du den teuren Panama-Geisha-Kaffee je selbst probiert?
Ja, habe ich. Dazu gibt es sogar eine witzige Geschichte. Vor zwei Jahren rief mich jemand von der Entsorgungsstelle an und meinte, da hätte jemand drei Sack Kaffee abgeladen. Ich ging vorbei und habe nichts erwartet. Am Ende war eine Vakuumbox Panama Geisha dabei, rund 20’000 Franken Warenwert. Leider war er recht alt, und das merkt man bei Kaffee schnell. Er war immer noch sehr gut, aber nie auf dem Niveau, auf dem er frisch ist. Sonst wäre ich vermutlich reich geworden durch den Verkauf.