Diese Kolumne beginnt mit einem Stossseufzer. Denn es ist meine letzte. Und sie fällt mir schwer. Wobei sie sich darin nicht von allen anderen unterscheidet, die ich geschrieben habe.
Denn was hoffentlich locker-flockig daherkam, war in Wahrheit jedes Mal das Resultat eines zähen Prozesses: die Wahl des Themas. Worüber will, kann, soll ich schreiben? Das Verstehen des Themas: Bin ich kompetent genug? Die persönliche Meinungsbildung zum Thema: Macht diese Ansicht/das wirklich Sinn? Das Ausformulieren dieser Meinung, und zwar möglichst knackig und witzig: Naja, ich habe mein Bestes gegeben. Aber es war einer meiner härtesten Jobs.
Stilistisch war es mein Anspruch, über ethische Fragen zu schreiben, ohne dabei akademisch oder sonst irgendwie oberlehrerinnenhaft daherzukommen. Kein erhobener Zeigefinger und schon gar keine Moralkeule sollten in meinen Kolumnen zu sehen sein. Stattdessen wollte ich zeigen, dass ethische Reflexion lustvoll, humorvoll und (selbst-)ironisch sein kann.
Und thematisch? Da habe ich mich von Finanzethik über Umweltfragen zu sozialer Gerechtigkeit bis hin zu KI und Ethik bewegt.
Der Finanzsektor hat mich gleich mehrfach ethisch herausgefordert. Am Anfang stachen mir die aggressiven Trading-Apps ins Auge, die jede von uns mit ein paar Swipes mitten in den Finanzmarkt befördern. Was vordergründig als «Demokratisierung der Finanzmärkte» verkauft wird, entpuppt sich auf den zweiten Blick als aggressives Werben um Spekulation. Zusätzlich unterstützt durch sogenannte «dark patterns» auf den Websites von Neo-Brokern, die User:innen gezielt in einen Dopaminrausch und damit in einen rausch-ähnlichen Zustand versetzen.
Im Februar 2022 erschütterte Russlands völkerrechtswidriger Angriff gegen die Ukraine die Welt. In Windeseile zeigten wir Haltung und protestierten auf allen Ebenen – auf Demonstrationen, über Konsumboykotte und mit vielen Flaggen-Emojis und Hashtags auf Social Media. Aber die Frage nach der Verantwortung, die wir als Anlegerinnen tragen, verdrängten wir lieber. Meine Botschaft dazu lautet: Bei allem Aktivismus, den wir ausüben, dürfen wir nie vergessen, dass wir immer auch über unsere Finanzanlagen Einfluss auf die Welt ausüben.
A propos Politik und Portfolio: In einem anderen Text ärgerte ich mich über sogenannte Nimpfs. Der Ausdruck steht für «not in my portfolio» und bezeichnet Menschen, die beispielsweise gerne ihre Wohnung fossil auf 23 Grad erwärmen, aber auf keinen Fall die dazu notwendigen Brennstoffe in ihrem Anlageportfolio abgebildet sehen möchten. Die Frage, die ich stellte, lautet: Wie sähe ein Portfolio aus, das meinen frei gewählten Lifestyle widerspiegelt?
Eine Sonderkolumne verdiente der Niedergang der Credit Suisse. Bei allem Verständnis für die berechtigte Wut angesichts des Versagens von Geschäftsleitung, Verwaltungsrat, Staat und Markt irritierten mich Menschen, die das Gefühl hatten, den «Grossen» geschähe es recht. Schadenfreude als Ausdruck von Kälte und Kurzsichtigkeit gilt es zu vermeiden. Schon alleine, um uns in aller Form von allem zu distanzieren, was auch nur im Entferntesten an das Verhalten der Verantwortlichen erinnert.
Beinahe die Finger verbrannt habe ich mir beim Thema «Nein, ESG ist nicht woke». Zumindest erwartete ich schon nur bei der Verwendung des Begriffs «woke» böse Zuschriften. Das ist aber nicht passiert. Entweder hatte ich also recht mit meiner Analyse, oder ich habe mir derart auf die Zunge gebissen beim Schreiben, dass der Text nicht mehr pointiert genug war. Jedenfalls kann ich die Mutprobe, eine Kolumne über Wokeness zu schreiben, als erledigt abhaken. Ob sich der Übermut, der mich kurz später dazu bewog, eine Kolumne über die Anzahl Geschlechter zu schreiben, ausgezahlt hat, sei dahingestellt.
Ein wichtiger Treibstoff für meine Kolumnen war ausserdem Kerosin: Mal ging es um Tropenfrüchte, die frisch ab Plantage per Flugzeug in die Fruchtabteilung von Coop oder Migros geliefert wurden. Mal ging es um die mehr oder weniger überzeugenden Versuche von uns allen, unseren reisebedingten CO2-Abdruck dadurch zu rechtfertigen, dass wir im Tropenparadies noch ein paar PET-Flaschen am Strand aufsammeln. Unabhängig vom Inhalt – das Fliegen beflügelte offensichtlich meine Kreativität.
Mehrfach bewegte mich auch das Fleisch. Und zwar sowohl aus tierethischer als auch aus politischer und ökologischer Perspektive. Einmal wunderte ich mich über das plumpe Virtue Signalling der Genfer Grünen, die ihren Kandidierenden vorschrieben, bei offiziellen Auftritten auf Fleisch zu verzichten. Ein anderes Mal verglich ich gesundheitliche, tierethische und ökologische Gründe gegen Fleischkonsum miteinander. Dabei kam ich zum Schluss, dass eine CO2-arme Diät zwar weitgehend vegetarisch, vor allem aber auch schokoladen- und koffeinfrei wäre.
Weiterhin auf dem Speiseplan stünden so gesehen Bananen. Denn diese haben angeblich einen sehr kleinen CO2-Abdruck. Allerdings sind sie ein zentrales Gut im Preiskampf unter den Supermärkten, wie ich in einer späteren Kolumne feststellte. Dieser Preiskampf wiederum, bei dem das Kartellrecht echte Transparenz verhindert, begünstigt prekäre Arbeitsbedingungen auf den Plantagen.
Ein weiteres Gebiet, das meine Lust am Schreiben stimuliert hat, war die soziale Gerechtigkeit: Ich erzählte die Geschichte von indischen Näharbeiterinnen, die in Umständen wohnen, die nach westlichen Standards einem Gefängnis gleichkommen, die für sie aber Freiheit bedeuten. Ich fragte dabei: Was, wenn Opfer ihre Opferrolle verweigern? Ein anderes Mal überlegte ich anhand der Kontroverse um die Abtreibungsfrage in den USA, ob es Aufgabe von Arbeitgeber:innen sein kann oder soll, sich für die sexuelle Gesundheit ihrer Angestellten einzusetzen. Kann ein solches Engagement je aufrichtig gemeint sein?
A propos sexuelle Gesundheit: Da geht es ja nicht nur um das Recht auf Abtreibung, sondern auch um das Recht auf Fortpflanzung. Wobei ein paar besonders findige Ökonomen in der Schweiz aus letzterem am liebsten eine Pflicht machen würden. Zumindest schlagen sie vor, Menschen, die dieses Recht nicht wahrnehmen, also Kinderlose, in die Pflicht zu nehmen. Und zwar, indem sie ihnen die Rente kürzen. Dieser Vorschlag befeuerte meine Fantasie. Ich zitierte aus fiktiven Briefen, die sich im Falle eines solchen Gesetzes in meiner Kummerbox stapeln würden.
Gesundheit war auch das einzige Thema, bei dem ich eine Ausnahme machte und für einmal aus meinem eigenen Leben berichtete. Nämlich über einen Spitalaufenthalt, bei dem ich für 24 Stunden das Zimmer mit einer Frau geteilt habe, die mir die Augen geöffnet hat über unbewusste Vorurteile. Wie ich später erfahren habe, war das die am meisten gelesene Kolumne von mir.
Und auch wenn ich hoffe, dass meine Überlegungen Denkanstösse und Impulse für die Zukunft gegeben haben, erübrigt sich vielleicht bald alles. Nämlich dann, wenn wir dem neuesten Marketing-Trick aus dem Silicon Valley glauben. Dort wird uns weisgemacht, dass wir schon bald von einer Killer-KI ausgelöscht werden. Ich habe versucht, dagegen anzuschreiben. Ich glaube nämlich nicht, dass KI eines Tages aus einem Cloudserver ausbrechen und sich in den Minen dieser Welt mit Rohstoffen versorgen wird, die sie nutzt, um uns alle umzubringen. KI ist von der physischen Infrastruktur abhängig. Das bedeutet, dass der Klimawandel auch an ihr nicht spurlos vorbeigeht. Deshalb sollten wir besser cool bleiben und uns darauf konzentrieren, den Planeten zu retten.
In diesem Sinn: vielen Dank für die Aufmerksamkeit, fürs explizite oder implizite Liken oder Disliken. Es war mir eine Ehre und eine Freude, euch hier zu unterhalten. Und nun mache ich einen Abflug. Kerosinfrei natürlich.