Am 22. September stimmen wir über die BVG-Reform ab. Ist diese im Sinne der Gleichstellung?

Melanie Mettler: Ja. Die Gleichstellung war sogar das Hauptanliegen dieser Reform. Seit 30 Jahren haben Parlamentarierinnen von links bis rechts darauf hingearbeitet, dass auch Teilzeitangestellte und tiefere Einkommen in der 2. Säule vorsorgesparen/sparen dürfen. Diese sind im heutigen System ungenügend oder gar nicht versichert. Weil das Rentensystem aus der Zeit stammt, in der es fast nur Einverdiener-Haushalte gab. Meist also der Mann auswärts arbeitete und die Frau zu Hause unbezahlte Care-Arbeit leistete. Mit der BVG-Reform können wir das Gesetz endlich modernisieren und auf die heutige Lebens- und Arbeitswelt anpassen. Tatsache ist: Kommt diese Reform nicht durch, gibt es keine Verbesserung. Dann bleibt der Ist-Zustand.

Samira Marti: Vor zwei Jahren hat man das Frauenrentenalter erhöht. Damals wurde den Frauen versprochen, ihre Pensionskassenrenten zu verbessern. Dieses Versprechen wurde mit dieser Vorlage gebrochen. Frauen – und übrigens auch Männer – müssen mit der Vorlage mehr in die Pensionskasse einzahlen. Trotzdem sinken die Renten um bis zu 3’200 Franken pro Jahr. Schuld daran ist die Senkung des sogenannten Umwandlungssatzes. Wichtig für die Gleichstellung wäre die Absicherung der unbezahlten Arbeit, so wie dies in der AHV mit Betreuungsgutschriften der Fall ist, und die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Nur so können wir die Rentenlücke zwischen Frauen und Männern endlich schliessen. Die SP hat dies in der Kommission vehement gefordert, die bürgerlichen Parteien haben alle Anträge abgelehnt.

Nationalrätin Melanie Mettler (GLP/BE)
Mit der BVG-Reform können wir das Gesetz auf die heutige Lebens- und Arbeitswelt anpassen. Kommt diese Reform nicht durch, gibt es keine Verbesserung.

Hand aufs Herz: Profitieren Frauen nun von dieser Reform oder nicht?

Marti: Nein. Mit der Vorlage drohen allen Versicherten Rentenkürzungen, obwohl sie während des Erwerbslebens jeden Monat mehr in die Pensionskassen einzahlen. Konkret: Eine 50-jährige Gärtnerin mit einem monatlichen Einkommen von 4500 Franken müsste bis zur Pensionierung jeden Monat 147 Franken mehr einzahlen. Geld, das ihr im Alltag fehlt. Die Rente wird ihr aber trotzdem um 8 Franken pro Monat gekürzt. Schuld daran ist die Senkung des Umwandlungssatzes. Besonders stossend ist die Situation für Frauen mit sehr tiefen Löhnen. Die höheren Beiträge sind für sie besonders schmerzhaft. Trotzdem haben die Betroffenen im Alter oft nicht mehr Geld zur Verfügung, denn was sie zusätzlich ansparen, wird ihnen direkt bei den Ergänzungsleistungen gekürzt.

Mettler: Frauen profitieren absolut von dieser Reform. Das bestätigen Zahlen von Bundesrat und Alliance F, dem grössten schweizerischen Frauendachverband. Aus der Alliance-F-Studie geht hervor: Über eine Viertelmillion Frauen bekommt mit der Reform eine zum Teil deutlich höhere Rente. Dazu werden 100'000 tiefe Einkommen neu in der zweiten Säule versichert. Sie erhalten damit einerseits eine Rente, andererseits sind sie und ihre Familien bei Schicksalsschlägen wie Invalidität und Tod endlich besser versichert.

Nationalrätin Samira Marti (SP/BL)
Wichtig für die Gleichstellung wäre die Absicherung der unbezahlten Arbeit, so wie dies in der AHV mit Betreuungsgutschriften der Fall ist. Nur so können wir die Rentenlücke zwischen Frauen und Männern endlich schliessen.

Der Teufel steckt im Detail: Was bringt die Neuerung mit dem Koordinationsabzug für Frauen?

Mettler: Heute werden Teilzeitpensen und kleinere Einkommen in der zweiten Säule systematisch benachteiligt und schlechter versichert. Arbeitet eine Frau zusätzlich zur unbezahlten Care-Arbeit Teilzeit oder arbeitet eine Frau im Tieflohnbereich, kann sie kaum etwas ansparen. Das ist unfair. So entstehen Rentenlücken. Altersarmut ist in der Schweiz dann am grössten, wenn Menschen Lücken in der zweiten Säule haben. Die Reform bringt einen Systemwechsel, weil Erwerbsarbeit neu bei allen Einkommen und Pensen zu 80 Prozent vorsorgeversichert ist. Davon profitieren Frauen weit überdurchschnittlich. Das ist wichtig, um den Gender Pension Gap zu reduzieren.

Marti: Der starre Koordinationsabzug gehört reformiert, das ist unbestritten. Allerdings bieten bereits heute 90 Prozent der Pensionskassen Teilzeitlösungen an. Die Renten der Frauen sind trotzdem viel zu tief. Der Grund: Frauen leisten jedes Jahr für 200 Milliarden Franken unbezahlte Sorgearbeit, die nicht versichert ist. Wir brauchen, wie bereits erwähnt, auch in der beruflichen Vorsorge Betreuungsgutschriften. Den Koordinationsabzug anzupassen, aber gleichzeitig die Renten durch den tieferen Umwandlungssatz zu senken, bringt sowohl den Frauen als auch den Männern nichts.

Nationalrätin Samira Marti (SP/BL)
Eine 50-jährige Gärtnerin mit einem monatlichen Einkommen von 4500 Franken müsste bis zur Pensionierung jeden Monat 147 Franken mehr einzahlen. Die Rente wird ihr aber trotzdem um 8 Franken pro Monat gekürzt.

Apropos Umwandlungssatz: Wen betrifft dessen Senkung konkret? 

Marti: Das BVG regelt das gesetzliche Minimum, also das, was allen Versicherten, unabhängig von ihrer Pensionskasse, zusteht. Wenn nun der Mindestumwandlungssatz gesenkt wird, sinken die Rentengarantien für alle Versicherten.

Mettler: Vorweg: Alle laufenden Renten sind und bleiben unverändert gesichert. Auch alle Versicherten mit ausreichend überobligatorischen Renten sind nicht betroffen. Das sind schon zwei Drittel aller Versicherten. Ebenso nicht betroffen sind all jene, die sich für einen Kapitalbezug entscheiden. Heisst: Betroffen sind etwa 15 Prozent. Die Übergangsgeneration, jene Menschen, die heute über 50 Jahre alt sind, bekommt einen fairen Rentenzuschlag. Es sei denn, sie haben mehr als 440’000 Franken Vorsorgevermögen angespart in der PK.

Nationalrätin Melanie Mettler (GLP/BE)
Über eine Viertelmillion Frauen bekommt mit der Reform eine zum Teil deutlich höhere Rente. Dazu werden 100'000 tiefe Einkommen neu in der zweiten Säule versichert.

Letzte Frage: Braucht es die Reform, damit die 2. Säule auf sicheren Füssen steht?

Mettler: Ja, die braucht es unbedingt. Einerseits um der heutigen Arbeits- und Lebensrealität gerecht zu werden. Andererseits um die zweite Säule auch für die jungen und kommenden Generationen zu sichern. Und das ist wichtig, denn die 2. Säule ist sehr effizient, jeder Franken, den ich als Angestellte anspare, wird durch Arbeitgeber:innenbeiträge und Zinsen bis zur Pension verdreifacht. Wenn wir also diese 2. Säule für die nächsten Generationen stabilisieren wollen, braucht es ein Ja zu BVG-Reform.

Marti: Die 2. Säule steht bereits heute auf sicheren Füssen. Man muss wissen: Die Vorlage entstand in einem historischen Tiefzins-Umfeld. Gewisse Pensionskassen konnten in dieser Zeit die Rentenversprechen nicht mehr halten. Das führte zu einer Umverteilung der Pensionskassengelder von jüngeren zu älteren Versicherten. Das wollte man mit der Vorlage korrigieren. Doch diese Umverteilung ist bereits gestoppt, wie auch die Oberaufsichtskommission der beruflichen Vorsorge bestätigt. Die Zinsen steigen, die Rendite liegt deutlich über dem 10-Jahres-Mittel. Das Problem ist nun weitgehend behoben. Sogar die Branche selbst sagt, es gehe den Pensionskassen finanziell hervorragend. Es gibt keine Gründe mehr für diese radikalen Rentenkürzungen.