Frau Windhövel, Frauen erhalten durchschnittlich über 60 Prozent weniger Rente aus der Pensionskasse, ihrer zweiten Säule. Warum ist das so? (Anmerkung der Redaktion: Zum Zeitpunkt dieses Interviews lag der gender pension gap bei 60 Prozent, mittlerweile wurden aktuellere Zahlen publiziert. Du findest sie hier.)

Dieser Gap ist tatsächlich noch massiver als in den anderen beiden Säulen. Gründe dafür gibt es viele. Zum einen arbeiten Frauen oft in Branchen mit merklich tieferen Löhnen. Und im Gegensatz zur AHV ist die Pensionskasse direkt an den Lohn gebunden. Jeder Franken, den man nicht einzahlt, resultiert im Alter in einer tieferen Rente. Der Hauptgrund aber ist, dass Frauen öfters in Teilzeit arbeiten oder spätestens, wenn die Kinder kommen, das Pensum stark reduzieren.

Welche Konsequenzen hat ein solches Teilzeitpensum?

Je nach Pensum liegt der Lohn unter 20’000 Franken im Jahr. Damit fallen diese Frauen zum einen ganz aus der Pensionskasse raus. (Anmerkung der Redaktion: Das Mindesteinkommen, um versichert zu sein, beträgt 2022 21 510 Franken). Und selbst wenn sie später ihr Pensum wieder erhöhen und mehr verdienen, haben sie grosse Lücken in der zweiten Säule. Auch, wenn der Lohn knapp über diesen 20’000 liegt, bringt das für eine Rente aus der 2. Säule nicht viel: Dann schlägt nämlich der Koordinationsabzug von rund 25’000 Franken zu, der vom Lohn abgezogen wird. Am Schluss hat die Teilzeit arbeitende Frau bei einem Lohn von 30‘000 Franken gerade noch 5‘000 Franken jährlich, die versichert sind. Das ist einfach «nüt». Und natürlich ist es immer noch so, dass Frauen oft für die gleichen Jobs schlechter bezahlt werden, was sich dann wiederum in tieferen Renten niederschlägt. Aber dieses Problem kennen wir ja schon lange.

Was empfehlen Sie Frauen, die nach der Geburt Teilzeit arbeiten?

Man kann zum Beispiel mit dem Partner ausmachen, dass er die fehlenden Beiträge in der Pensionskasse ausgleicht. Wenn die Frau selbstständig ist, kann der Partner direkt in ihre ausgewählte Kasse einzahlen. Sozusagen als «Ausgleich» für ihre Rente, wenn sie mehr reduziert hat als er, um die Kinder zu betreuen. Ist sie angestellt, geht das so leider nicht, weil Zahlungen für die Pensionskasse direkt vom Arbeitgeber kommen und freiwillige Mehrzahlungen nicht immer möglich sind.

Welche Alternativen gibt es in diesem Fall?

Der Partner könnte die 3. Säule der Frau entsprechend auffüllen, indem er die Einzahlungen für ihre 3. Säule übernimmt. Aus dieser Säule wird die Frau aber nie eine Rente bekommen. Die Säule 3a ist so ausgelegt, dass man bei der Pensionierung das Kapital bezieht. Meine Empfehlung für eine eigenständige Rente wäre also: Frauen, seid nie unter 60 Prozent erwerbstätig! Und nehmt euren Partner mit in die Pflicht, wenn ihr wegen eurer Kinder das Pensum mehr reduziert als er! Auch wenn sein Lohn höher ist, sollte er trotzdem auf 80 Prozent reduzieren und sich an der Kinderbetreuung beteiligen. So kann man selber in einem höheren Pensum weiterarbeiten. Arbeit bedeutet auch den Erhalt von Wissen und praktischer Erfahrung im erlernten Job. Ein Wiedereinstieg nach über zehn Jahren Pause ist meist ungeheuer schwierig.

Inwiefern unterscheidet sich das Thema für verheiratete und unverheiratete Frauen?

Egal ob Ehe oder eine Partnerschaft, erst einmal zahlt jede und jeder selbst in die eigene Pensionskasse ein. Kommt es zu einer Trennung oder Scheidung, gehen die Wege unterschiedlich weiter: War man verheiratet, hat diejenige Person, die während der Ehe weniger in die Pensionskasse einbezahlt hat, einen Anspruch auf einen Teil der Pensionskasse des besserverdienenden Partners oder Partnerin. Wer aber im Konkubinat gelebt hat, hat keinen gesetzlichen Anspruch auf einen Anteil der Vorsorge der Ex-Partner:in. Und da entsteht eine riesige Lücke, gerade wenn sie merklich weniger verdient hat als er.

Kerstin Windhövel
Meine Empfehlung für eine eigenständige Rente wäre also: Frauen, seid nie unter 60 Prozent erwerbstätig!

Welche Möglichkeiten gibt es dann?

Für einen Ausgleich während der Zeit einer Partnerschaft «ohne Ehe» gibt es bei einer Trennung keine Möglichkeiten mehr. Man sollte unbedingt vorher eine Lösung finden.

Werden Unverheiratete gegenüber den Verheirateten bei den Pensionskassen grundsätzlich schlechter gestellt?

Nein, nicht immer. Im Falle, dass ein:e Konkubinatspartner:in verstirbt, ist dies bei den meisten Pensionskassen ähnlich geregelt wie bei einer Ehe. Man hat Anspruch auf eine Hinterlassenenrente. Das gilt übrigens auch für gleichgeschlechtliche Paare mit eingetragener Partnerschaft. Dafür muss man jedoch entsprechend vorsorgen, indem man die andere Person namentlich bei der Pensionskasse als Konkubinatspartner eintragen lässt. Das möchte ich allen Unverheirateten wirklich dringend nahelegen. Man muss das aber zu Lebzeiten erledigen, sonst zahlt die Kasse gar nichts. Und: Sobald Kinder da sind, sollte man immer besser heiraten, damit man auch in der AHV gegenseitig abgesichert ist, falls einem etwas zustossen sollte. Nur Verheiratete haben Anspruch auf Witwenrente.

Was sollen Frauen ganz grundsätzlich beachten bei der zweiten Säule?

Fast niemand fragt bei Vorstellungsgesprächen auch nach der Vorsorgeeinrichtung des Arbeitgebers. Dabei wäre das so wichtig.

Das habe ich auch noch nie getan. Weshalb sollte man das ansprechen?

Das BVG schreibt einen Minimalbetrag an Pensionskassenbeiträgen und eine daraus resultierende Minimalrente vor. Alles, was darüber hinausgeht, muss die Arbeitgeberin nicht anbieten. Sie hat aber sehr wohl die Möglichkeit dazu. Diese Unterschiede bei Beiträgen wie Renten – auch im Falle einer IV-Rente – sind immens. Bevor man einen Job antritt, sollte man also abklären, ob zum Beispiel auch überobligatorische Lohnbestandteile in der Pensionskasse mitversichert sind. Und – vor allem für Frauen wichtig – ob es beim Koordinationsabzug eine Reduktion aufs Arbeitspensum gibt.

Kerstin Windhövel
Fast niemand fragt bei Vorstellungsgesprächen auch nach der Vorsorgeeinrichtung des Arbeitgebers. Dabei wäre das so wichtig.

Können Sie das genauer erklären?

Überobligatorisch sind heute alle Lohnbestandteile über 86‘040 Franken im Jahr. Bezahlen mein Arbeitgeber und ich bei einem höheren Lohn nur darauf Rentenbeiträge, erhalte ich später auch nur aus diesen obligatorischen, gesetzlich vorgeschriebenen Einzahlungen eine Rente. Wird jedoch der ganze Lohn verbeitragt, kostet das heute den Arbeitgeber und auch den oder die Versicherten zwar mehr, ergibt später aber auch eine erheblich höhere Rente.

Und warum ist die Reduktion des Koordinationsabzugs für Frauen wichtig?

Bezüglich Koordinationsabzug würde dies bedeuten: Wenn ich mit einem aufs Pensum angepassten Koordinationsabzug heute 50 Prozent arbeite, so werden mir 12’048 Franken Koordinationsabzug abgezogen – anstelle der 25’095, die gesetzlich abgezogen werden können. Das heisst: Es ist ein höherer Lohnanteil in der zweiten Säule versichert, und es gibt höhere Beiträge. Das ist jedoch eine freiwillige Leistung der Arbeitgeberin. Es kostet sie mehr, wenn sie den Koordinationsabzug dem Pensum angleicht, da sie immer mindestens die Hälfte der Beiträge an die PK zahlen muss. Dies ist natürlich besonders interessant für Personen, die viele Jahre in Teilzeit arbeiten. Von daher möchte ich das allen Frauen ans Herz legen: Wenn ihr den Lohn verhandelt, muss es auch um die Pensionskasse gehen. Lasst euch beim zweiten Vorstellungsgespräch das Reglement und den Anschlussvertrag der Pensionskasse zeigen. Das macht fast niemand, und dabei ist es so wichtig!

Guter Punkt, das habe ich mir so noch nie überlegt.

Ich weiss, das sind alles wahnsinnig unsexy Begriffe, und niemand hat grosse Lust, sich damit auseinanderzusetzen. Aber es ist so ungemein wichtig für die spätere Rente. Man muss das alles nicht bis ins letzte Detail verstehen. Aber es ist unabdingbar, die Zusammenhänge zwischen dem tatsächlich bei der Pensionskasse versicherten Lohn, dem Koordinationsabzug und der späteren Rente zu verstehen. Wir können mit diesem Grundwissen auch viel besser verhandeln.

Aber für Frauen im Niedriglohnsektor dürfte das schwierig sein, oder?

Ja. Wenn die Arbeitgeberin gar nicht bereit ist für Lohnverhandlungen oder einen verbesserten Anschluss an die Pensionskasse und man es sich nicht leisten kann, zu kündigen, hat man sehr wenig Spielraum. Auch deshalb, weil die Arbeitgeber gesetzlich nicht zu Flexibilität verpflichtet sind. Wir sind in der 2. Säule aber davon abhängig, und wenn die Arbeitgeberin uns eine Minimalvorsorge präsentiert, dann müssen wir diese so annehmen. Oder eben die Arbeitgeberin wechseln. Ich würde diesen Frauen daher empfehlen, sich nach einer besseren Arbeitgeberin umzuschauen, die über diese gesetzlich festgeschriebenen Beiträge hinausgeht. Aber es ist ein Privileg, das tun zu können, das muss man klar festhalten.

Was sollten Frauen mit unregelmässigem Einkommen beachten, zum Beispiel Selbstständige?

Selbstständigerwerbende sind nicht pflichtversichert in der Pensionskasse. Ich finde das übrigens grundsätzlich falsch.

Warum?

Wir haben ein Drei-Säulen-System, das sehr gut funktioniert. Und die dritte Säule alleine ersetzt die zweite einfach nicht, auch wenn man dies von Banken und Versicherungen gerne erzählt bekommt. Wenn ich ein Haus auf einem Zweidrittel-Fundament baue, dann steht es schief. Natürlich kann man sich in einer Säule 3a Kapital ansparen, aber man hat dann trotzdem keine Rente aus der zweiten Säule. Und im Falle einer Invalidität erhält man ohne aktive Versicherung in der zweiten Säule auch keine IV-Rente einer Pensionskasse. Von den Leistungen aus der AHV und IV kann man schlichtweg nicht leben, da kann man sich direkt bei der Sozialhilfe anmelden.

Was können Selbstständige dann tun?

Berufsverbände bieten oft eigene Pensionskassen-Lösungen an, denen man im entsprechenden Beruf beitreten kann. Für die Yogalehrerin, die Beraterin oder die Übersetzerin gibt es jedoch keinen Berufsverband, und somit ist ein Zugang zur zweiten Säule schwierig. Es gibt aber einerseits die Stiftung Auffangeinrichtung, der man sich anschliessen kann. Die versichert einem zwar nur das BVG-Minimum, aber immerhin. Und dann gibt es Pensionskassen, die als Sammelstiftung für einen Verband selbstständiger Dienstleister fungieren, wo auch ein Anschluss für diese Berufsgruppen möglich ist. Man zahlt dort einen jährlichen Mitgliederbeitrag und kann dann die Vorsorgelösung für Selbstständige in Anspruch nehmen. Das geht problemlos auch mit schwankenden Salären.

Kerstin Windhövel
Von den Leistungen aus der AHV und IV kann man schlichtweg nicht leben, da kann man sich direkt bei der Sozialhilfe anmelden.

Das BVG steht vor der Revision. Wie sieht Ihr perfektes Pensionskassensystem aus?

Ich würde den Koordinationsabzug abschaffen und den Umwandlungssatz Schritt für Schritt auf ein langfristig tragbares Niveau reduzieren. Heute ist er mit 6.8 Prozent versicherungsmathematisch viel zu hoch. Es sollte zudem Pflicht sein, dass auch Selbstständige sich einer Pensionskasse anschliessen müssen – zumindest im Obligatorium. Auch eine freie Wahl der Pensionskasse wäre wichtig. So ist man weniger von der Wahl des Arbeitgebers abhängig. Zusätzlich sollte man den Sparbeginn in der 2. Säule auf 20 statt 25 Jahre absenken, weil so der Zinseszinseffekt gut zur Rente mithelfen könnte. Gleichzeitig sollte allen der gleiche Prozentsatz vom Lohn abgezogen werden, egal wie alt man ist. So würde der Fehlanreiz wegfallen, ältere Menschen nicht einstellen zu wollen, weil sie für die Rente zu teuer sind.

Was ist mit dem Rentenalter?

Wir werden langfristig nicht darum herumkommen, das Renteneintrittsalter für Frauen und Männer zu erhöhen. Schon nur deshalb, weil wir alle länger leben. Ich habe keine Probleme damit, das Rentenalter für Frauen auf 65 Jahre zu erhöhen. Aber zuerst muss zwingend auch ein gleicher Lohn für gleiche Arbeit durchgesetzt werden. Im Moment müssten Frauen theoretisch viel länger arbeiten als Männer, damit sie das fehlende Geld in der Vorsorge wieder aufholen könnten, das ihnen aufgrund der Lohnungleichheit über viele Jahre flöten gegangen ist. Und das darf auch nicht sein.

Gerade junge Frauen setzen sich viel zu wenig mit ihren Finanzen und ihrer Vorsorge auseinander. Warum ist das so?

Das ist für mich eine Henne-Ei-Frage. Einerseits wird uns schon als Mädchen beigebracht, dass wir keine Ahnung haben von Mathematik. Und Finanzen sind Mathematik. Liegt es also daran, dass uns eingeredet wird, wir würden Finanzen nicht verstehen? Oder wollen wir uns wirklich weniger damit beschäftigen als Männer? Wenn es um die Vorsorge geht, würde ich sagen: Eigentlich hat gar niemand grosse Lust, sich damit auseinanderzusetzen. Egal ob Frau oder Mann. Und das ist für mich wirklich problematisch, weil bei den meisten Schweizerinnen und Schweizern das Altersguthaben in der Pensionskasse das grösste Vermögen ist, das sie Zeit ihres Lebens angespart haben. Sie interessieren sich aber nicht im Geringsten dafür – fatal!

Kerstin Windhövel
Im Moment müssten Frauen theoretisch viel länger arbeiten als Männer, damit sie das fehlende Geld in der Vorsorge wieder aufholen könnten, das ihnen aufgrund der Lohnungleichheit über viele Jahre flöten gegangen ist. Und das darf auch nicht sein.

In Beziehungen beobachtet man allerdings oft, dass sich die Frau um die Budgetplanung kümmert. Beim Geld für sich selbst hört die Aufmerksamkeit aber auf. Warum?

Wenn es um unser eigenes Geld geht, sind Frauen schwächer aufgestellt. Wir schneiden auch bei Lohnverhandlungen oft immer noch schlechter ab. Haben wir Frauen kein Verhandlungsgeschick in uns oder wird es uns aberzogen? Ich tendiere grundsätzlich zu letzterem. Wenn ich mir kleine Mädchen anschaue, dann können viele sehr wohl für ihre Meinung einstehen, und zwar lautstark. Und ihnen wir oft viel öfter als den Buben gesagt, dass sie brav und leise sein müssen und zurückstecken sollen. Natürlich hat das Auswirkungen darauf, wie wir uns als Erwachsene verhalten.

Jetzt haben wir viel über die persönliche Verantwortung gesprochen. Was können Staat und Politik tun?

Es braucht zum Beispiel dringend bezahlbare, staatlich unterstützte Kinderbetreuung. Diese ist heute viel zu teuer und viel zu unflexibel. Das ist für mich ein existenzieller Punkt, um Frauen eine höhere Partizipation am bezahlten Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Wenn eine Mutter mehr Geld für die Betreuung der Kinder bezahlen muss als sie verdienen würde, geht keine mehr arbeiten. Warum sollte sie? Und das betrifft alle Frauen aus jeglichen Einkommensschichten.

Was halten Sie vom Gedanken, dass der Staat die Care-Arbeit zu Hause bezahlt? Auf diesen Lohn könnten ja theoretisch auch Pensionskassenbeiträge erhoben werden.

Wenn man das so machen könnte, dann fände ich das super und wäre sofort dafür. Aber die Ausgestaltung wäre natürlich essenziell. Schon die Frage, wer dann den Pensionskassen-Beitrag der Arbeitgeberin bezahlt, wäre eine Grundsatzdiskussion wert. Der Partner? Die Gemeinde? Der Kanton? Die Eidgenossenschaft? Das müsste sehr sorgfältig ausgestaltet werden. Aber grundsätzlich bin ich dafür, sich Alternativen für einen Ausgleich der Rente zu überlegen, die auch Care-Arbeit miteinbeziehen. Gleichzeitig sollte es Frauen aber nicht davon abhalten, auch einer externen Arbeit nachgehen zu können.

Kerstin Windhövel ist Kompetenzfeldleiterin Vorsorge am Schweizerischen Institut für Finanzausbildung der Kalaidos Fachhochschule in Zürich.