Ende September letzten Jahres starb mein Vater. Er war 80 und körperlich topfit. Er ist buchstäblich tot umgefallen. Meine Mutter ist jetzt plötzlich allein. Meine Eltern lebten das klassische Familienmodell: Mein Vater hat Verträge gemacht und Rechnungen bezahlt. Er hat das Geld verdient und verwaltet – meine Mutter hat ihm zu Hause den Rücken freigehalten mit unbezahlter Care-Arbeit.

Erst jetzt, wo wir für die Erbteilung die ganze Buchhaltung meiner Eltern durchdringen, wird mir klar, was der unbezahlte Beruf «Hausfrau» für ein Armutsrisiko ist. Oder wäre, wenn meine Eltern nicht zusätzlich vorgesorgt hätten. 

Ich teile unsere Geschichte, weil ich zeigen will, wie wichtig es ist, auf den Tod der Eltern gut vorbereitet zu sein und die eigene Vorsorge im Griff zu haben.

Die Patientenverfügung 

Als mein Vater zusammenbrach, rief meine Mutter die Ambulanz an und dann meine Schwester und mich. Meine Eltern hatten uns im Jahr zuvor je eine Kopie ihrer Patientenverfügungen geschickt, und so wussten wir alle, dass die Sanitäter die Reanimation nach 15 Minuten stoppen konnten. Mein Vater hatte es so gewollt, es war so besprochen und festgehalten.

Ich habe auch eine Patientenverfügung, denn ich möchte, dass mein Wille allen klar ist, wenn es drauf ankommt. Sie hilft den Nahestehenden und den Fachleuten in einem Extremfall, ruhig, konfliktfrei und konsequent zu entscheiden. Ich habe meine Patientenverfügung mit meiner Tochter besprochen, und sie war mit meinen Inhalten einverstanden. Es war mir wichtig, dass wir uns einig sind.

Der Vorsorgeauftrag

Im Vorsorgeauftrag meiner Eltern wird festgehalten, wer die betreffende Person vertritt, falls diese nicht mehr urteilsfähig ist. Und falls mehrere Personen als Vertretung bestimmt werden, in welcher Reihenfolge dies geschieht. Das ist wichtig im Falle einer Bewusstlosigkeit oder Reanimation. 

Es war daher klar geregelt, dass meine Mutter die Leitung der Geschehnisse übernimmt, solange sie das kann. Übrigens: Meine jüngere Schwester steht an zweiter Stelle, da sie nur wenige hundert Meter von meinen Eltern entfernt wohnt. Ich komme an dritter Stelle.

Esther-Mirjam de Boer
Meine Mutter hatte das Testament handschriftlich erstellt, und sie und mein Vater haben es unterschrieben. Nur: Das reicht nicht.

Je nach Familiendynamik kann diese Reihenfolge bereits problematisch sein. Normalerweise werden Geschwister nach ihrer Seniorität aufgeführt oder gleichgestellt. Ich gebe zu: Ich fühlte mich zuerst zurückgesetzt, denn meine Schwester trägt so mehr Verantwortung, zu entscheiden und zu handeln.

Das Testament

Im Testament regelt man den Nachlass innerhalb der Gestaltungsräume, die das Erbrecht in Sachen Erbfolge und Pflichtteil zulässt. Meine Eltern hatten ein gemeinsames Testament erstellt, das für beide gleichermassen gelten sollte. Sie hatten ihre Wünsche mit uns besprochen, und wir waren uns einig. Meine Mutter hatte das Dokument handschriftlich erstellt, und beide hatten es unterschrieben. 

Nur: Das reicht nicht. Damit ein Testament ohne Notar gültig ist, muss es der Verstorbene selbst handschriftlich erstellt haben. Zudem hatten meine Eltern einen Punkt aufgenommen, der gemäss Erbrecht nicht zulässig ist. Konkret:  Wir Töchter sollten auf das Erbe verzichten, solange ein Elternteil  lebt. Das Gesetz sagt aber, dass die Eltern das nicht einseitig verfügen dürfen. Dafür braucht es einen Erbvertrag mit den Kindern. Um den Wunsch der Eltern umzusetzen, hätten wir das Erbe ausschlagen müssen. Der Notar fand zum Glück eine pragmatischere Lösung, die dem letzten Willen entsprach.


Der Erbvertrag

Wenn eine Familie eine besondere Erbregelung will, die vom Erbrecht abweicht, dann müssen sie miteinander zu Lebzeiten einen Erbvertrag abschliessen. Das hätten wir auch tun sollen. Insbesondere wenn eine Familie eine Firma besitzt und das Unternehmen im Todesfall einem einzelnen Kind übertragen werden soll, ist ein Erbvertrag zwingend erforderlich. 

Die Verhandlung eines Erbvertrages kann Konflikte im Familiensystem auslösen. Wenn es ums Geld geht, sind oft Emotionen im Spiel. Es lohnt sich, den Konflikt auszutragen, solange alle noch leben. Sonst flammt der Konflikt nach dem Tod auf. Bei der Regelung sollte etwa berücksichtigt werden, dass manche Kinder viel oder mehr Betreuungsarbeit für die Eltern leisten. Das sollte im Erbvertrag eine Form von Wertschätzung erhalten. So bleibt die Kirche im Dorf.

Esther-Mirjam de Boer
Der Bestatter riet uns, innert Stunden mit allen Karten Bargeld abzuheben.

Das Steuerinventar

Wenn der Verstorbene bzw. das Ehepaar ein Vermögen von mehr als 100‘000 Franken hat, dann ordnet die Behörde eine Siegelung (=Sperrung) aller Konten und Vermögenswerte an und verlangt ein Steuerinventar des Erbes. Das dauert ein paar Wochen oder Monate. Das wussten meine Eltern zum Glück und hatten eine solide Bargeldreserve zu Hause. 

Der Bestatter riet uns ausserdem, innert Stunden mit allen Karten Bargeld abzuheben. Das wirkte etwas skurril, nachdem man gerade einen Elternteil verloren hat. Die Kontensperrung war dann zum Glück nicht ganz so verheerend, da meine Eltern ihr Vermögen erst wenige Monate zuvor auf mehrere Konten aufgeteilt hatten. Zwei dieser Konten lauten auf den Namen meiner Mutter. Diese wurden nicht gesperrt. Die Bank hatte sie da sehr gut beraten.

Die Vollmachten

Als Konsequenz aus dem Vorsorgeauftrag haben meine Schwester und ich Zeichnungsberechtigungen auf allen Konten meiner Eltern erhalten. Immer kollektiv zu zweien. Das erwies sich beim Tod meines Vaters als Segen, denn wir konnten sofort mit den Banken verkehren. Wir mussten zum Beispiel Kontoauszüge bestellen für das Steuerinventar. Ich hatte sogar noch eine gültige Generalvollmacht aus einem früheren Vorgang und war froh, mich auf diese berufen zu können. Maximale Vollmachten sind wirklich sehr praktisch, wenn das Vertrauen in der Familie intakt ist.


Die Witwenrente

Meine Mutter erhält jetzt eine Einzelrente der AHV sowie eine Witwenrente. Aus der zweiten Säule meines Vaters erhält sie ebenfalls eine Witwenrente. Hier gibt es eine gesetzliche Neuerung: Die Witwenrente aus der AHV soll bald gestrichen werden. 

Das halte ich inzwischen für problematisch, aus folgendem Grund: Wenn der Ernährer stirbt, erhält die Hausfrau rund 60 Prozent der bisherigen BVG-Rente. Wenn die Hausfrau stirbt, erhält der Ernährer weiterhin die volle BVG-Rente. Die Witwenrente der AHV gleicht diesen Gap nicht annähernd aus. 

Esther-Mirjam de Boer
Meine Mutter wird ab jetzt vom Ersparten leben, bis das Vermögen aufgebraucht ist. 


Das führt nun dazu, dass meine Mutter nur noch 60 Prozent des Einkommens zur Verfügung hat, aber immer noch 100 Prozent der Miete zahlen muss. Ihre Miete frisst nun die Hälfte ihrer gesamten Rente auf, die Krankenkasse ein weiteres Viertel. Der Rest reicht nicht für alle Kosten. Sie wird ab jetzt vom Ersparten leben, bis das Vermögen aufgebraucht ist. 

Meine Mutter findet diese Ungleichbehandlung am Lebensende sehr unfair, haben sie doch das Leben als Paar 58 Jahre lang zusammen gemeistert. Ich war mir dieser Form der Heiratsstrafe bisher nicht bewusst.

Another Gap to be closed.