Altersarmut ist weiblich – auch noch im Jahr 2023. Laut einer Umfrage von Pro Senectute leben aktuell in der Schweiz rund 300'000 Senior:innen an oder unter der Armutsgrenze. Damit sind ein Fünftel der Menschen im Alter über 65 von Armut betroffen oder armutsgefährdet. Frauen haben dabei ein deutlich höheres Risiko, im Alter finanziell schlecht dazustehen. Sie erhalten rund ein Drittel weniger Rente als Männer. Mit 17,7 Prozent sind sie zudem fast doppelt so häufig von Altersarmut betroffen wie Männer (9,9 Prozent) und beziehen öfter Ergänzungsleistungen. Konkret waren 66 Prozent der Bezüger:innen im Jahr 2022 weiblich.
Eine von ihnen ist Janka Babic. Sie ist seit Februar 2022 frühpensioniert, zuvor war sie acht Jahre lang auf Sozialhilfe angewiesen. «Mit der AHV und Ergänzungsleistungen komme ich auf insgesamt 2600 Franken pro Monat, davon bleiben 400 Franken für meinen persönlichen Bedarf übrig.» Janka Babic arbeitete viele Jahre als Pflegefachfrau in einem 80-Prozent-Pensum. Sie verdiente 2800 Franken monatlich und brachte damit ihre drei Kinder alleine durch. Im Jahr 2014 wurde sie krankheitsbedingt arbeitsunfähig. Janka Babics Erwerbsbiografie ähnelt jener von vielen Frauen in der Schweiz: Teilzeitarbeit, Tieflohnbranche, Unterbrüche. All das spiegelt sich auch in der Rente wider. Zwar konnte Janka Babic in ihre zweite Säule einzahlen, ihr Erspartes war aber aufgrund ihres tiefen Lohnes bescheiden. Für eine private Vorsorge mit einer Säule 3a reichte das Geld nicht.
Zu wenig, um über die Runden zu kommen
Das Schweizer Rentensystem ist aufbauend und setzt sich aus drei Säulen zusammen. Fast alle Pensionierten erhalten Geld aus der AHV, der ersten Säule. Der Unterschied zwischen Frauen und Männern ist in dieser Säule relativ klein. Die Frauenrenten sind hier sogar leicht höher als jene der Männer (3,7%). Bei der zweiten Säule, der beruflichen Vorsorge, sieht es etwas anders aus. Der Gender Pension Gap ist hier besonders gross: Die Renten von Frauen sind rund 60 Prozent tiefer als jene von Männern. Zudem bekommt nur knapp die Hälfte der heutigen Rentnerinnen überhaupt Geld aus der beruflichen Vorsorge. Bei den Männern sind es rund 70 Prozent. Gelder aus der privaten Vorsorge, der dritten Säule, beziehen bloss etwa 26 Prozent der Rentner und 14 Prozent der Rentnerinnen.
Als altersarm gelten Menschen, die mit ihren Renten ihren Lebensunterhalt nicht bestreiten können. Häufig betroffen sind Personen, die nur aus der ersten Säule eine Rente erhalten und nicht auf ein Vermögen zurückgreifen können. Die aktuelle Minimalrente in der ersten Säule beträgt für Einzelpersonen 1225 Franken pro Monat, die Maximalrente 2450 Franken. Die Höhe der Rente hängt von der Beitragsdauer und vom durchschnittlichen Jahreseinkommen ab. Die Gründe für Altersarmut sind vielfältig, wie Tatjana Kistler, stellvertretende Kommunikationsleiterin bei Pro Senectute Schweiz, erklärt: «Die meisten der Betroffenen haben immer gearbeitet und in die Altersvorsorge eingezahlt.» Manche hätten gesundheitlich Schwierigkeiten gehabt oder andere Schicksalsschläge erlitten. Einige seien auch schon vor der Pensionierung auf staatlicher Unterstützung angewiesen gewesen.
Ein System, das nicht für Frauen gemacht ist
Daneben spielt aber auch das System der Altersvorsorge eine wichtige Rolle, wenn es um die finanzielle Situation im Ruhestand geht. Sowohl die Autor:innen des Buches «Ungleichheit im Alter» als auch Tatjana Kistler führen den Gender Pension Gap und das damit verbundene höhere Armutsrisiko für Frauen vor allem auf die Rahmenbedingungen in der zweiten Säule zurück. Denn die zweit Säule ist auf die Erwerbsbiografien von Vollverdiener:innen ausgerichtet. Wer hier viel Geld fürs Alter ansparen möchte, sollte konstant hochprozentig arbeiten, keine Unterbrüche haben und gut verdienen. Laut den Expert:innen ist das für Frauen eine schwierige Ausgangslage, da sie nach wie vor deutliche mehr unbezahlte Care-Arbeit für Kinder und Angehörige leisten und deshalb häufig Teilzeit arbeiten. Auch sind sie öfter im Niedriglohnsektor tätig und verdienen bei gleicher Arbeit oft noch immer weniger als ihre Kollegen.
Laut Tatjana Kistler gibt es für Frauen zudem zwei weitere Hürden: «Die von Altersarmut betroffenen Frauen hatten oft mehrere Jobs gleichzeitig, erreichten aber die Eintrittsschwelle für die Pensionskasse von 21'600 Franken bei keinem Arbeitgebenden.» Und der Koordinationsabzug erschwert das Sparen zusätzlich. Zwar kann man über die AHV seit 1997 Erziehungs- und Betreuungsgutschriften beantragen: «Diese sind jedoch Teil der ersten Säule und kein Einkommen an sich. Ihre Auswirkung auf die Altersrente ist daher insgesamt verschwindend klein», so Kistler.
Scham überwinden, sensibilisieren und unterstützen
Das Schlimmste am Leben mit wenig Geld und besonders der Altersarmut ist für viele Betroffene die Angst, dass andere von ihrer schwierigen finanziellen Situation erfahren könnten. So ging es auch Janka Babic: «Lange Zeit habe ich mich sehr geniert. Ich dachte, ich sei die Einzige mit so wenig Geld.» Bei Pro Senectute versucht man, dem Thema mit einer offenen Haltung und leicht zugänglichen Informationen entgegenzuwirken. So finden sich auf der Website der Organisation zahlreiche Unterlagen praktische Hilfestellungen wie beispielsweise ein Ergänzungsleistungs-Rechner. Für Kistler ist zudem wichtig, dass das Thema enttabuisiert wird, wie sie betont: «Altersarmut ist das Ergebnis von bestimmten Arbeitsbiografien und Schicksalsschlägen – und nichts, für das man sich schämen müsste.»